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Mathematik hat zu Unrecht eine schlechte Presse

22.04.2021 | TU Graz screenshots | TU Graz news | Forschung | Studium

Von Mag. Beate Mosing

„Mathematik? Hat mit meinem Leben nichts zu tun …“, meinen SchülerInnen. Irrtum! Uni-versitätsprofessor Peter Grabner über die Rolle der Mathematik im Alltag – bei Überweisungen, Wetter-Trends und Co.

Heute Sonne und vereinzelte Wolken - aber wie wird das Wetter morgen? Ohne die Mathematik würden im Wettbericht die Vorhersagen fehlen. Und noch vieles mehr in unserem Alltag wäre ohne Mathematik nicht möglich.

In der Schule scheint der Alltagsbezug der Mathematik manchmal zu fehlen. Wo ist sie unerlässlich?

Peter Grabner: Ohne Mathematik würden zum Beispiel beim Wetterbericht die Vorhersagen fehlen. Die mathematischen Modelle hinter diesen Strömungsentwicklungen gehören zu den kompliziertesten in der angewandten Mathematik. Dahinter steht eine Gleichung, über die man immer noch recht wenig weiß. Nämlich wie kontrollierbar das Verhalten der Lösung von den Anfangswerten abhängt. Das wird durch die Metapher des Schmetterlingseffekts gut umschrieben: Eine kleine Änderung zu Beginn kann in weiterer Folge eine große Änderung hervorrufen.

Sie meinen die Genauigkeit bei den Wettervorhersagen?

Eine Vorhersage ist so gut wie die Messdaten, die man hineinsteckt. Ausgangspunkt für die Prognose sind Messdaten, die an einzelnen Punkten auf der Erde erhoben werden. Man kennt also nie alle Details, sondern nur die gemessenen. Und den genannten Schmetterling kann man nicht einrechnen, weil er seinen Flügelschlag nicht neben der Messstation machen wird.

Das heißt, als Mathematiker trauen Sie einer Wettervorhersage schon aus Prinzip nicht?

Plane ich eine Bergtour für morgen, kann ich mich ja nur auf die Vorhersage verlassen. Man muss sich klar sein, wo die Beschreibung der Welt durch die Mathematik endet. In der Mathematik gibt es nur wahr oder falsch. Im Alltag gibt es viele Graustufen dazwischen.

Apropos Bergtour und Planung: Bei der modernen Mobilität kommen wir ja auch ohne Navi nicht mehr aus. Wie komplex ist das im Hintergrund?

Hinter Navis stecken diskrete Optimierungen in Wegenetzen, in Graphen. Das sind schwierige Probleme, bei denen der Rechenaufwand exponentiell mit der Datenmenge wächst. Die beste Lösung wäre hier teilweise mit einem hohen Zeitaufwand verbunden. Deshalb arbeitet man mit Näherungen. Diese sind mit einem geringeren Rechenaufwand zu erzielen. Denn man erlaubt dem Navi ja maximal eine Minute und da wird man schon ungeduldig. Diese Näherungen sind gut genug, um den optimalen Weg nach Wien und eine ziemlich realistische Ankunftszeit zu berechnen.

Stichwort Google. Jeder weiß, die Suchmaschine verwendet einen Algorithmus. Was heißt das genau?

Das Wort Algorithmus ist wertfrei. Es sagt nur, dass es ein Rechenverfahren ist. Dahinter steckt die Latinisierung des Namens des arabischen Gelehrten Muhammad ibn Musa al-Chwarizmi. Er hat ein erstes Buch über das, was man heute Algebra nennen würde, geschrieben. Also wie man Gleichungen löst. Er hat ein Verfahren angegeben, auf kleine Schritte heruntergebrochen. Das ist „der“ Algorithmus. Die Idee dahinter kann aber beliebig komplex sein. So wie bei Google. Google verrät seinen Algorithmus ja nicht. Aber ein Teil davon ist wohl ein Wahrscheinlichkeitsverfahren.

Können wir der Mathematik vertrauen?

Wenn wir unsere Kreditkartennummer im Internet verwenden, dann nutzen wir damit ein Kryptografiesystem. Von diesem versteht kaum jemand etwas und dem müssen wir vertrauen. Datenverschlüsselung ist wesentlich. Theoretisch kann ich natürlich jedes Krypotografiesystem knacken, wenn ich nur genug Zeit aufwende. Wenn ich für die Kreditkartendaten einer Person ein Jahr brauche, ist das unsinnig. Das ist also eine Kosten-Nutzen-Rechnung: Man muss den Rechenaufwand hoch genug halten, sodass es sich nicht lohnt.

Salopp gefragt – warum brauchen wir heute noch „menschliche“ Mathematikerinnen und Mathematiker? Die Computer machen doch alles.

Dass einmal alles durch die Artificial Intelligence (AI) erledigt wird, ist zu naiv und euphorisch. Denn der AI geht die Kreativität ab. Sie kann aus Unmengen von Daten Lösungen heraussuchen, aber sie nicht erklären. Sie liefert keine Antwort, wenn ich verstehen will, warum das so ist. Und das ist vom intellektuellen Standpunkt her unbefriedigend.

Womit beschäftigen Sie sich in der Forschung?

Damit, wie man gut verteilte Punktmengen erzeugen kann. Zum Beispiel 10.000 Punkte auf einer Kugeloberfläche. Angewandt heißt das: Wie verteilt man meteorologische Messstationen auf der Erdoberfläche am besten? Das klingt einfach, aber da treten komplexe Fragen auf. Man weiß, dass manche Möglichkeiten besser als andere sind. Aber es gibt noch keinen Algorithmus, von dem man beweisen kann, dass diese Verteilung besser ist als die Zufallsverteilung. Und das interessiert mich: den Zufall zu schlagen!

Wie ist das Verhältnis von weiblichen zu männlichen Studierenden im Bereich der Mathematik an der TU Graz?

Wir haben 30 bis 40 Prozent Studentinnen. In den ersten Semestern sind die Lehramtsstudierenden dabei und da sind es über 70 Prozent Studentinnen. Aktuell läuft ein Prozess, mehr Frauen an unsere Fakultät zu bringen, sowohl als Studierende als auch als Mitarbeitende.

Studieren an der TU Graz: Das Mathematikstudium wird an der TU Graz als NAWI Graz-Studium im Verbund mit der Uni Graz angeboten. Weiterführende Studien sind neben dem Masterstudium Mathematik etwa das englischsprachige Masterstudium Computer Science oder – ab Herbst 2021 neu – das ebenfalls englischsprachige Masterstudium Computational Social Systems.
NAWI Graz, das naturwissenschaftliche Studienangebot von TU Graz und Uni Graz, umfasst 6 Bachelor- und 15 Masterstudien, davon 9 Master in Englisch. Das Spektrum reicht von (Technischer) Chemie, (Technischer) Physik oder Mathematik über Molekularbiologie, Umweltsystemwissenschaften und Geowissenschaften bis zu Biochemie, Molekulare Biomedizin, Geosciences und vielem mehr.
Weitere Infos unter www.tugraz.at/go/studienangebot.

Gab es in Ihrer Schulzeit einen Bereich der Mathematik, mit dem Sie auf „Kriegsfuß“ standen?

Ganz am Anfang hat es mich nicht besonders interessiert. Aber sobald es strukturierter und spezieller wurde, wusste ich, dass das mein Fach ist.

Die Mathematik ist für Sie also Begeisterung pur?

Es hat so vieles mit Mathematik zu tun. Und mir ist es wichtig, das bewusst zu machen. Aber jedes Jahr im Mai hat die Mathematik eine schlechte Presse, dass die Matura so schwer gewesen sei. Dabei sollte in der Öffentlichkeit präsent sein, dass die Mathematik ständig ins Alltagsleben hineinspielt. Sie bringt Schülerinnen und Schüler soweit, dass man sie später nicht für dumm verkaufen kann! Wenn sie zum Beispiel eine Grafik zu gewissen Entwicklungen oder Finanzen lesen sollen.

Universitätsprofessor Peter Grabner wünscht sich, dass das Image der Mathematik ob ihres Wertes für unser Leben steigt.

Die Mathematik hat das Image kompliziert zu sein …

Die Mathematik gibt Antworten, die nicht immer populär sind. Antworten, die man nicht hören will. Und dann sagt man halt, die Mathematik sei kompliziert. Sie hat wohl den Nachteil, dass sie mit der Vernunft korreliert. Wir wüssten, dass man nicht Lotto spielen sollte, aber man glaubt halt … Bei uns kokettieren Prominente und in der Politik Tätige damit, dass sie in Mathematik in der Schule schlecht waren. In anderen Ländern wäre das peinlich, aber in unserer Kultur geht das. Wenn wir davon wegkommen würden, hätten wir schon etwas gewonnen.

Einblicke und Kurse für wirklich alle

Man muss nicht zu den Studierenden an der TU Graz zählen, um hier zu lernen: Von der Mathematik über Digitale Skills, Mikrobiome und Gesundheit bis zum Programmieren (auch für Kinder) gibt es ein enormes Angebot an kostenlosen digitalen Uni-Kursen. Diese kann man einfach per Internet absolvieren.
Wer sich auf der Webseite www.imoox.at umschaut, staunt über die große Bandbreite und die spannenden Themen. Vor Studienbeginn im September wird als Starterpaket für Erstsemestrige übrigens „Mathe-Fit“ (auch als Teil der „Mathe-Fit Lehrveranstaltung“) sowie der Mathe-MINT Brückenkurs zeit- und ortsunabhängig angeboten.

iMooX ist die größte deutschsprachige Plattform dieser Art. Hier stehen die frei zugänglichen und offen lizenzierten Online-Kurse (so genannte Massive Open Online Courses oder MOOCs) der TU Graz aber auch anderer Universitäten allen Interessierten zur Verfügung – kostenlos, zeit- und ortsunabhängig. Für den Abschluss gibt es – nach Beantwortung der Selbstprüfungsfragen – eine Teilnahmebestätigung. Treibende Kraft hinter der größten deutschsprachigen MOOC-Plattform ist ebenfalls die TU Graz. „Wir wollen digital gestütztes Lernen und Lehren im deutschsprachigen Hochschulraum gezielt weiterentwickeln“, betont Martin Ebner, Mastermind hinter iMoox.

Die Forschenden der TU Graz suchen Lösungen für die brennenden Probleme der Gegenwart. Welche Themen sie derzeit auf dem Schirm haben und was man studieren kann, um wie sie die Zukunft zu verändern, erfahren Sie auf TU Graz screenshots.

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Peter GRABNER
Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn.
TU Graz | Institut für Analysis und Zahlentheorie

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Tel.: +43 316 873 7124
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