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Biopolymere kommen in Mode

22.04.2021 | TU Graz screenshots | TU Graz news | Forschung | Studium

Von Mag. Beate Mosing

Was kann man aus Holz machen? Jedenfalls nicht nur Möbelstücke. Aus Zellulosefasern werden heute neue, nützliche Materialien – eingesetzt für die Mode ebenso wie für die künstliche Gewebezüchtung.

So sieht Mode aus Zellulosefasern aus. Die Grazer Designerin Bettina Reichl verwendet Modal und TencelTM für ihre Kollektionen des Labels odrowaz.

Mode und Nachhaltigkeit scheinen ja oft von den beiden sprichwörtlich verschiedenen Planeten zu kommen. „Fast fashion“ und kurzlebige Trends, monatliche neue Kollektionen und mindere Qualität lassen grüßen. Textilien aus Holzfasern können zwar unseren oft sorglosen Umgang mit Kleidung nicht verändern, aber die Ökobilanz verbessern. Die Materialien Modal und TencelTM zählen dazu. Sie sind aus Zellulose statt aus synthetischen Polymeren gefertigt und zusätzlich sind ihre Herstellungsprozesse sehr gut umweltverträglich. „Das sind die Materialien der Zukunft schlechthin“, schwärmt die Designerin Bettina Reichl. Die Grazerin hat schon mehrere Kollektionen daraus gefertigt. „Sie haben einen wunderbaren Griff, wie Seide. Sie sind hautverträglich und damit selbst für Allergikerinnen, Allergiker und Schmetterlingskinder geeignet. Und man kann sie dennoch in der Waschmaschine waschen. Kundinnen und Kunden, die diese Materialien bei mir kennenlernen, lieben sie. Mittlerweile sind sie ein wichtiges Kennzeichen meiner Kollektionen.“

Design aus dem „Müll“ der Wälder

Mit der Lenzing AG habe man zusätzlich den Weltmarktführer auf diesem Gebiet in Österreich, so Reichl: „Eingesetzt werden hier Reststoffe, die beim Durchforsten, also bei der Pflege zur Erhaltung der Wälder, anfallen. Es wird keine zusätzliche Anbaufläche verwendet. Und der ganze Produktionszyklus ist besser – wesentlich nachhaltiger als bei der Bio-Baumwolle.“ Reichl spricht von einer „Materialrevolution“, die gerade über die Bühne geht. „Synthetische Fasern wurden bisher einfach sehr gut vermarktet. Gerade im Sportbereich, dabei wäre hier die Atmungsaktivität von Naturmaterialien besonders interessant.“

Das Bewusstsein, dass selbst das Waschen von synthetischen Materialien das Mikroplastik-Problem in unseren Ozeanen erhöht, führe zu einer Wende, so Reichl: „Aber es muss auch wieder mehr Qualitätsbewusstsein entstehen. Sodass man Kleidungsstücke lange und nicht nur eine Saison nutzt. Gesamtheitlich betrachtet ist Mode aus Holzfasern ja auch nicht teurer als billige synthetische Stücke – aber da muss man das Müllproblem und Recycling miteinberechnen.“ Im Rahmen ihres interkulturellen Modeprojektes „Crossing Fashion“ macht Reichl von der Mongolei bis Sri Lanka übrigens die Materialien von Lenzing bei anderen Designerinnen und Designern weltweit bekannt.

Technische Potenziale sind groß

„Textilien aus Zellulosefasern sind ein sehr interessantes und durch die österreichische Weltmarktführerschaft auch ein regionales Thema. Aber das sind bei weitem nicht alle Anwendungen, die mit Zellulose und anderen Biopolymeren möglich sind“, greift Karin Stana Kleinschek den Faden auf und spinnt ihn weiter. Die Materialforscherin der TU Graz verweist auf die großen Potenziale, die sich aus der Verwendung von Polysacchariden ergeben. Zu dieser Gruppe von natürlichen Polymeren gehört nicht nur die Zellulose, sondern beispielsweise auch die im menschlichen Gewebe vorkommende Hyaluronsäure. Sie erfüllt dort wichtige Funktionen der Wasserbindung und Gelenksschmierung. Die Prozesse und Funktionen von biologischen Materialien, die die Natur schon lange „erfunden“ hat, versteht man heute besser. Man imitiert sie und setzt sie zu neuen Produkten mit besserer Umweltbilanz oder gewünschten medizinischen Eigenschaften um.

„Mit der richtigen Chemie können wir sehr viel Wertvolles aus Holzfasern herstellen“, verweist Karin Stana Kleinschek, Materialforscherin an der TU Graz, auf die großen Potenziale.

„Kunststoffe, also synthetische Polymere, waren und sind hoch anerkannte und für eine moderne Gesellschaft wichtige Materialien. Denn sie haben sehr nützliche Eigenschaften. Doch Abbaubarkeit, Ressourcennutzung, Recyclingfähigkeit und Emissionsreduktion sind wichtiger geworden. In jüngerer Zeit wird deshalb vermehrt versucht, synthetische Kunststoffe in Massenanwendungen durch Biopolymere zu ersetzen“, so Stana Kleinschek, Leiterin des Instituts für Chemie und Technologie Biobasierter Systeme an der TU Graz. Das betrifft Innenverkleidungen für Automobile ebenso, wie Computerbestandteile und Textilien. „Man kann Holz eben nicht nur verbrennen, wir können mit der richtigen Chemie sehr viel Wertvolles daraus herstellen. Zellulose ist ein vielversprechender Kandidat, wenn es darum geht, ein gut einsetzbares und erneuerbares Material mit geringeren Emissionen in der Herstellung, Nutzung und Entsorgung bereit zu haben.“ Biobasiert bedeutet nicht automatisch umweltverträglicher. Doch im Allgemeinen sind die Ökobilanzen dieser Materialien hervorragend. Man muss nur die richtigen Techniken und Verwendungen dafür finden.

Eine Aorta aus dem 3D-Drucker

Am Institut für Chemie und Technologie Biobasierter Systeme forschen die Universitätsprofessorin und ihr Team unter anderem am 3D-Druck von biogenen Materialien, auf denen sich lebende menschliche Zellen besonders wohlfühlen. Beim so genannten Tissue Engineering stehen Materialien für die künstliche Gewebezüchtung im Zentrum. Mit dem 3D-Drucker druckt man lebende Zellen und stellt Modelle von menschlichen Aorten oder Knorpel her, um diese für die Medizin verwendbar zu machen. Selbst Nanofasern, extrahiert aus dem Baustoff Holz, werden für die mechanische Verstärkung dieser Materialien untersucht. Genutzt werden dabei die Biokompatibilität, das Wasserrückhaltevermögen und die besonderen mechanischen Eigenschaften dieser ultrafeinen Pflanzenfasern.

Internationale Kooperationen

Zusammenarbeit wird in diesem Kontext großgeschrieben. Dies geschieht einerseits innerhalb der Grazer Stadtgrenzen – etwa mit der Medizinischen Universität Graz, die für Tests der neuen Materialien wichtig ist. Aber auch auf internationaler Ebene mit Forschungseinrichtungen in ganz Europa und den USA. „Forschung lebt von Kooperation und Interdisziplinarität“, so Stana Kleinschek. Interdisziplinär ist selbst ihr Institut an der TU Graz aufgestellt. Stana Kleinschek arbeitet als Technologin an Polymeren. Und die stellvertretende Institutsleiterin Universitätsprofessorin Tanja Wrodnigg beschäftigt sich mit der Chemie von Zuckern – den molekularen Bausteinen der Zellulose – und vieler anderer Biopolymere. Wenn das Herz von Karin Stana Kleinschek auch, wie man im Gespräch unmittelbar feststellt, vor allem für die Forschung schlägt, kann sie dennoch der Mode viel abgewinnen. „Modal und TencelTM sind wirklich extrem gute Materialien mit großer Zukunft. Es begeistert mich, dass ein österreichisches Unternehmen bei TencelTM weltweit führend ist.“

Studieren an der TU Graz: Wer sich für Materialwissenschaften interessiert, liegt mit einem Studium der (Technischen) Chemie oder (Technischen) Physik genau richtig. An der Schnittstelle von Technik, Medizin und Naturwissenschaften hat die TU Graz mit den Studien Biomedical Engineering und Verfahrenstechnik interessante, zukunftsorientierte Angebote.
Im Masterbereich gibt es zudem eine Vielzahl weiterer Auswahlmöglichkeiten – von den englischsprachigen Masterstudien Advanced Materials Science, Biomedical Engineering, Biorefinery Engineering, Biotechnology, Chemical and Pharmaceutical Engineering bis Biochemie und Molekulare Biomedizin, Molekulare Mikrobiologie oder Pflanzenwissenschaften. Einige genannte Studien sind NAWI Graz-Studien und werden von TU Graz und Uni Graz gemeinsam angeboten. Weitere Infos unter www.tugraz.at/go/studienangebot
 

Die Forschenden der TU Graz suchen Lösungen für die brennenden Probleme der Gegenwart. Welche Themen sie derzeit auf dem Schirm haben und was man studieren kann, um wie sie die Zukunft zu verändern, erfahren Sie auf TU Graz screenshots.

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Karin STANA KLEINSCHEK
Univ.-Prof. Dr.rer.nat.
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Tel.: +43 316 873 32070
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