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Wenn der Motor unseres Körpers erkrankt

05.02.2024 | Planet research | FoE Human & Biotechnology

Von Birgit Baustädter

Im Zentrum unseres Körpers liegt das Herz. Es hält uns mit seinen Schlägen am Leben und wird auch als unser „Motor“ bezeichnet. An der TU Graz wird unser wichtigster Muskel mit Methoden der Biomedizinischen Technik, des Maschinenbaus, des Bauingenieurswesens, der Informatik und Mathematik erforscht.

Karin Ellermann und Gerhard A. Holzapfel leiten gemeinsam das Leadprojekt. Bildquelle: Lunghammer - TU Graz

Für den Transport unseres Blutes vom Herzen in die entlegensten Winkel unseres Körpers ist unter anderem die Aorta, die Hauptschlagader, zuständig. Und sie kann schwerwiegend erkranken. Gerhard A. Holzapfel, Leiter des Instituts für Biomechanik der TU Graz, hat sich in seiner Forschung auf Atherosklerose fokussiert und vor nunmehr sechs Jahren einen neuen Schwerpunkt gefunden: die Aortendissektion – eine Erkrankung, die rund sechs von 100.000 Menschen betrifft und wegen ihrer relativen Seltenheit noch wenig erforscht ist.

Eine gesunde Aorta besteht aus mehreren einzelnen Wandschichten, die miteinander verbunden sind. Bei einer Aortendissektion kommt es zur Ablösung der Wandschichten in der Aorta. Dadurch bildet sich ein „falsches Lumen“, also ein Hohlraum oder eine zweite Leitung parallel zum ursprünglichen wahren Lumen, wo Blut fließt. Die Aorta kann sich verengen oder reißen beziehungsweise können Thromben entstehen und sich ablösen. Finanziert von der TU Graz haben Forschende aus den Bereichen Biomedizinische Technik, Mathematik, Strömungsmechanik, Elektronik, Informatik, Bauingenieurswissenschaften und Maschinenbau im Leadprojekt „Mechanics, Modeling and Simulation of Aortic Dissection“ diese Krankheit und mögliche Diagnose-Optionen in den vergangenen sechs Jahren untersucht. „Die Aorta ist aus ingenieurwissenschaftlicher Sicht unglaublich interessant“, sagt Gerhard A. Holzapfel. „Sie hat eine Wand, die aus einem elastischen Festkörper besteht, dessen Mikrostruktur wir uns mit biophysikalischen und mikroskopischen Methoden ansehen können. Das Blut in ihrem Inneren folgt den Gesetzen der Strömungsmechanik und leitet gleichzeitig elektrischen Strom ganz ausgezeichnet – ich kann also beobachten, wie sich ein sehr schwaches elektrisches Feld auf die Leitfähigkeit und die Blutströmung auswirkt.“

Von den Grundlagen zur Simulation

Mit den Grundlagen der Aortenwand beschäftigt sich Selda Sherifova. Die Postdoktorandin untersucht Wandproben kranker Aorten, die die Medizinische Universität Graz zur Verfügung gestellt hat. Aus den Proben schneidet sie kleine Flächen aus, die sie im Labor mit verschiedenen Tests auf ihre Dehnbarkeit und ihr Verhalten unter Krafteinflüssen untersucht. „Ist die Aorta erkrankt, dann verändern sich bestimmte Proteine. So kann die Aorta ihre Struktur verlieren und bricht irgendwann. Es war unglaublich, das erstmals zu beobachten: Im Normalfall sind die einzelnen Schichten sehr gut verbunden – ist die Aorta aber krank, dann können sich die Schichten schon bei kleinsten Berührungen ablösen“, erklärt die Forscherin. Im Rahmen ihrer Forschung hat sie in den vergangenen Jahren Daten zum mechanischen Verhalten der Aortenwand unter verschiedenen Belastungsbedingungen generiert, die für Simulationen und Modellierungen eingesetzt werden, mit denen sich sowohl der Krankheitsverlauf als auch die Auswirkungen verschiedener Medikamente besser prognostizieren lassen.

Für diese Simulationen und Modelle ist unter anderem Malte Rolf-Pissarczyk zuständig. Er nutzt die zuvor generierten Daten sowie CT-Bilder von Patienten, um  patientenspezifische Geometrien der Aorta zu erstellen und diese anschließend mit numerischen Methoden zu modellieren. „So bekommen wir einen Eindruck, wie der Blutfluss in der Aorta funktioniert. Auf Basis dessen können wir uns dann Parameter wie die Wandspannung, Wanddeformationen und den Blutfluss über den ganzen Herzzyklus ansehen. Diese Parameter ändern sich, wenn sich die Aorta beispielsweise im Krankheitsfall remodelliert.“

Start-Up für neues Diagnose-Werkzeug

Die Forschungsergebnisse aus dem Leadprojekt sollen nun in einem vielversprechenden Spin-off der TU Graz der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Das Arterioskope, ein neuartiges Diagnosesystem, wurde entwickelt, um medizinischem Personal bei der Erkennung von Aortenerkrankungen zu unterstützen.

Bei der Impedanzkardiografie werden ähnlich dem Elektrokardiogramm (EKG) schwache elektrische Felder am Körper angelegt. Elektrischer Strom geht den Weg des geringsten Widerstandes – im Falle der Aorta nicht die Aortenwand, sondern das Blut. Gleichzeitig ist der Stromfluss von der Richtung abhängig, in der das Blut fließt. Bei jedem Herzschlag erzeugt die Aorta rhythmische Druckwellen, die die Leitfähigkeit verändern. „Verändern sich diese Faktoren, kann das auf eine Erkrankung hinweisen“, erklärt Sascha Ranftl, der gemeinsam mit Vahid Badeli im neuen Start-Up arbeitet. Gemeinsam soll eine Datenbank erstellt werden, auf die herkömmliche Diagnosemethoden zurückgreifen können und so krankhafte Veränderungen der Aorta automatisch identifizieren können. In einem nächsten Schritt soll das Arterioskope als Medizinprodukt zugelassen werden. 

Dieses Forschungsprojekt ist im Field of Expertise „Human & Biotechnology“ verankert, einem von fünf strategischen Schwerpunktfeldern der TU Graz.
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Kontakt

Gerhard A. Holzapfel
Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn.
Institut für Biomechanik
Stremayrgasse 16/II
8010 Graz
Tel.: +43 316 873 35500
holzapfelnoSpam@tugraz.at