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TU Graz/

Talk Science To Me #9: Smarte Materialien für die Luftfahrt


von Birgit Baustädter veröffentlicht am 02.02.2023 Forschung

Talk Science To Me #9: Smarte Materialien für die Luftfahrt

Sergio Amancio beschäftigt sich mit neuen Materialien und Produktionsmethoden in der Luftfahrt. Er hält mehrere Patente und untersucht, wie metallische Werkstoffe mit Verbundwerkstoffen gefügt werden können.

Hallo und schön, dass ihr heute wieder mit dabei seid. Mein Name ist Birgit Baustädter und ich darf euch durch den Wissenschaftspodcast Talk Science to Me führen. Mein Gast ist heute Sergio Amancio. Er beschäftigt sich vor  allem mit neuen Materialien und Produktionsmethoden in der Luftfahrt, hält mehrere  Patente und untersucht, wie metallische Werkstoffe mit Verbundwerkstoffen gefügt werden können.

Vielen Dank, dass Sie heute meine Fragen beantworten.

Sergio Amancio: Sehr gerne.

Wir haben heute einen wunderschönen Tag, an dem wir diese Folge aufnehmen. Ihr Büro ist auch gleich um die Ecke. Wie war Ihr Arbeitstag bisher? 

Amancio: Ja, grundsätzlich nur Besprechungen. Sehr spannend, wie fast jeden Tag, wenn man nur unterwegs in Besprechung ist.

Woran arbeiten Sie gerade?

Amancio: Revision und Korrektur von akademischen und wissenschaftlichen Manuskripten zurzeit. Was die Forschung anbelangt, da geht es in Richtung der additiven Fertigung und das Fügen von leichten Baustrukturen. Grundsätzlich die Verbindungen zwischen Verbundwerkstoffen und Metallen.

Warum ist das so wichtig? Wo wird das eingesetzt?

Amancio: Das ist ein sehr aktuelles Thema, weil die Verminderung von Gewicht bzw. die Verhinderung von Emissionen eine sehr große und wichtige Rolle spielt bei nachhaltigen Anwendungen. Und wir reden hier über die Anwendungen im Bereich Automobilbau, aber auch in der Luftfahrt, insbesondere in der Luftfahrt, wo mein  Schwerpunkt zu finden ist. Aber diese Materialien können sowohl in der Luftfahrt als auch in der Raumfahrt und wie gesagt Automobilbau, aber auch in Medizintechnik eingesetzt werden. Das sind so mehrere Industrie-Sektoren, die von den Ergebnissen unserer Forschung profitieren können.

Sie haben gesagt, Sie arbeiten daran, dass sich verschiedene Materialien miteinander verbinden können, unter anderem Kunststoff mit Metall. Was ist daran die Herausforderung? Warum geht es nicht einfach? 

Amancio: Man fragt sich, warum nicht eine Struktur, die voll metallisch ist oder voll aus dem Kunststoff oder mit Verbundwerkstoffen hergestellt wird? Das wäre so viel einfacher, was die Anwendung bzw. die Fertigungstechnik anbelangt. Aber die Herausforderungen der heutigen Automobile, also Autos und Flugzeuge, liegen auf den Mischverbindungen, das heißt die Mischbaustrukturen, verschiedene Materialien zusammenzufügen. Und wenn man Kunststoffe und Metalle besonders betrachtet, dann sind Kunststoffe sehr unterschiedlich, was ihre Struktur und chemische Zusammensetzung anbelangt im Vergleich zu Metallen. Also Metalle sind grundlegend kristallinische Materialien, haben auf atomarer Ebene eine regelmäßige Struktur, während der Kunststoff nicht so regelmäßige Strukturen hat. Das heißt, sie sind teils kristallinisch oder amorphisch. Und in der Praxis ist es so, dass wenn Sie versuchen, sie auf der geschmolzenen Ebene zu mischen, verhalten sie sich wie Essig und Öl. Das heißt, sie mischen sich ungern miteinander. Wenn man sie schweißen oder fügen möchte, also mit externer Wärme, was bei einem Schweißverfahren zu finden ist, braucht man eine sehr gute Kontrolle der Wärme, der Temperatur, damit man den Kunststoff, der weniger thermisch beständig ist, durch die Hitze nicht zerstört. Das ist eine große Herausforderung, also die geringere Mischbarkeit zwischen Kunststoffen und Metallen und die thermische Beständigkeit des Materials. Es gibt aber auch Unterschiede in der Ausdehnungskoeffizienz, das heißt, ein Material dehnt sich im Vergleich zu dem anderen aus. Beziehungsweise ziehen sie sich auch bei Stauchung zum Beispiel oder bei Kühlung in verschiedene Raten zusammen. Das heißt, wenn man Metall und Kunststoff durch herkömmliche Fügeverfahren, also Schweißverfahren zu fügen versucht, passiert in der Regel Delaminationen. Das heißt, sie werden während des Abkühlungs der Verbindung voneinander getrennt, wegen diesem unterschiedlichen Ausdehnungskoeffizient. 

Und warum verwende ich jetzt zum Beispiel nicht einfach nur einen sehr starken Klebstoff, um die miteinander zu verbinden?

Amancio: Klebstoff und mechanische Verbindungen wie Nieten oder Schrauben sind bis vor kurzem auch immer die erste Wahl gewesen, auch bei neuen Verbindungen oder bei neuen Strukturen, Mischmaterialien oder Mischverbindungen. Allerdings gibt es Limitationen bei den Verbundwerkstoffen und Metallen, die heutzutage erforscht werden bzw. schon in Anwendung sind teilweise. Die Kunststoffe, die in der Luftfahrt insbesondere, aber auch im Automobilbau angewandt werden, sind sehr schwer zu verkleben. Sie haben eine bestimmte Oberflächebeschaffenheit und die chemische Zusammensetzung der Oberfläche ist ungünstig für die meisten Klebstoffen. Das heißt, man muss eine sehr aufwändige Oberflächebehandlung machen. Und das ist manchmal sogar unmöglich bei manchen Kunststoffmatrizen, bei diesen Verbundwerkstoffen, weil sie chemisch sehr schlecht mit dem Klebstoff interagieren. Dann können Sie sagen, aber dann bohrt man so eine Durchbohrung und verbindet dann mit einer Niete oder einer Bolzenverbindung. Dann haben wir aber das zusätzliche Gewicht durch das Verbindungselement selbst, das nicht so zu unterschätzen ist. So ein Airbus A380 hat über eine Million Nieten in der Struktur. Und die Nieten und Bolzenelemente wiegen 15 Gramm bis 30 Gramm. Und das ist schon relevant in der Luftfahrt. Jeder Kilo, jedes Gramm zählt in den Flugzeugen. Und am Anfang der 2000er war in der Fertigungs-Community gab es neu die Notwendigkeit, neue Fügeverfahren bzw. am Ende der 2000er und Anfang der 2010er Jahren auch im Bereich additive Fertigung neue Verfahren, die besser geeignet sind für die Verbindung zwischen Kunststoffen und Metallen, zu entwickeln. Und das ist der Trend, Fügeverfahren, die eine geringere Wärmeentwicklung verursacht und die Festigkeit der Verbindung trotzdem so gut hält oder verbessert ist im Vergleich zu Klebstoffen und auch im Vergleich zu traditionellen Verbindungselemente wie Nieten oder Bolzen. Und das ist unser Ansatz gewesen, solche energieeffizienten Fertigungsverfahren, das heißt Fügeverfahren und additive Fertigungsansätze zu entwickeln, damit man am Ende eine festere Verbindung erreicht, die vielleicht auch nachhaltiger ist. Weniger Energie bedeutet, auch für die Umwelt etwas gut zu tun. Ja, das ist dann, was wir an der TU Graz weiter erforschen. 

Sie haben sehr viele Patente bereits in Ihrem Forschungsleben erteilt bekommen. Welche Möglichkeiten und welche Verfahren haben Sie bereits entwickelt und entwickeln Sie auch gerade?

Amancio: Wir haben mehrere Patente für verschiedene Fügeverfahren und ein additives Fertigungsverfahren zurzeit. Das sind fünf oder sechs Technologien, die wir patentiert haben in den letzten 10, 15 Jahren, die sich zurzeit in verschiedenen Entwicklungsstadien befinden. Wir arbeiten mit einer Variante des Schweißverfahrens, dem sogenannten Festphase-Fügeverfahren. Das sind Verfahren, die die Schmelztemperatur des Metalls nie erreichen. Das heißt, wir arbeiten mit niedrigen Temperaturen, aber das Metall wird teigartig weich, aber nicht geschmolzen. Es wird nicht 100% flüssig. Aber ganz nah, so 80 bis 90% der Schmelzpunkttemperatur wird erreicht bei der Legierung. Und diese sogenannten Festphase-Fügeverfahren sind Verfahren, die eine mechanische Schwingung, eine mechanische Bewegung, eine mechanische Energie, das heißt eine Arbeit in Wärme transformieren. Und wir kreieren Wärme durch die Reibung zwischen den zwei Bauteilen oder durch die Nutzung von externen Werkzeugen, die dann diese Bauteile irgendwie reiben und lokal erwärmen. Und das ist der Schwerpunkt gewesen. Es gibt eine Technologie, die Anfang der 90er entwickelt worden ist in England bei TWI, das sogenannte Friction Steel Welding, auf deutsch Rührreibschweißen. Und das ist die Inspiration für meine Arbeit gewesen. Und aus dieser Technologie wurde eine für Metall entwickelt. Ein Verfahren besonders für Aluminium-Schweißnähte, für Aluminium-Bleche. Und da habe ich die Idee, dieses Verfahren als Inspiration für die Verbindung von hybriden Bauteilen, Metalle und Kunststoffe, weiter zu entwickeln. Und daraus habe ich mehrere Verfahren entwickelt, die basierend auf dem Prinzip des Ruderreibschweißes gedacht worden sind. Mit Reibung, Wärme zu generieren und diese Verbindung, Thermik und Materialstoff auch zu verbinden. 

Geht es dann in die Richtung des Ultraschallfügens oder ist das das Friction Reverting

Amancio: Genau, wir haben mehrere Verfahren für verschiedene Anwendungen. Wir haben ein Verfahren, das wir hier in der TU Graz schon seit 2018 weiterentwickelt und untersucht haben, das sogenannte Friction Riveting. Das Friction Riveting, das Reibenieten, ist ein Verfahren, das noch mit einem metallischen Verbinder arbeitet, aber das Verfahren verlangt keine Durchbohrung. Das heißt die Niete wird direkt in das Bauteil eingesetzt, sie perforiert das Bauteil und kreiert die mechanische Verankerung direkt am Bauteil, ohne sie zu durchzudringen. Es gibt da mehrere Vorteile: Durchbohrungen sind Stresskonzentratoren und anfällig für Rissbildung und -wachstum. Wenn wir ein Bauteile nicht total durchdringen, dann erhöhen wir die Schadenstoleranz der gesamten Struktur. Wenn wir keine Bohrung im Vorfeld, bevor wir die Niete einsetzen, herstellen müssen, dann sind wir auch schneller, also haben kurze Fertigungszeiten. Das sind die Vorteile von dieser Technologie. Das ist dann ein Nietverfahren.

Wir haben aber auch andere Fügeverfahren wie das Friction Spot Joining, das keine metallischen Nieten oder Elemente oder Klebestoffe nutzt. Das ist ein Verfahren, wo wir , wie das Wort auf Englisch schon sagt, eine Punktschweiß- oder Punktverbindung herstellen. Ich vermeide das Wort Schweißen, weil beim Schweißen geht man davon aus, dass eine Diffusion entweder auf atomarer oder molekularer Ebene stattfindet. Und bei Metallverbundwerkstoffverbindungen findet keine große atomare oder molekulare Diffusion statt. Deswegen sage ich Verbindung und nicht Schweißungen. Aber am Ende ist es eine Verbindung, eine Struktur, die gefügt wird. Und dieses Verfahren nutzt ein Werkzeug, das aus zwei Teilen besteht. Dieses Werkzeug dringt lokal in das Material und generiert Hitze durch Reibung. Gleichzeitig formt es lokal das Blech, also das Metallbauteil, leicht um. Und man hat dann am Ende eine Verbindung, die aus einer Mischung von mikromechanischer Verankerung des Metalls im Kunststoff und die Konsolidierung des Kunststoffes in der Übergangszone, der durch die Reibung erwärmt worden ist, als eine Art Klebstoff, aber ohne den Zusatz von Klebstoff. Von der gleichen Matrix des Materials hat man dann die Entstehung von Adhesionskräften. Das heißt, es ist ein Verfahren, das den Klebstoff ersetzt in der Anwendung der Leichtbaustrukturen. Dann haben wir auch ein anderes Verfahren, wo wir Ultraschall als Energie, als Schwingungsenergie nutzen. Das ist auch ein Reibschweißverfahren, weil eine sogenannte Sonotrode, das ist das Schweißwerkzeug oder das Fügewerkzeug, vibriert ein Bauteile, sie ist in Kontakt mit einem der Bauteile. Man kann sich eine Überlappverbindung mit zwei Bauteilen vorstellen, die aufeinandergelegt werden. Und das Werkzeug, das Ultraschallfügewerkzeug, vibriert das obere Teil gegen das untere Bauteil. Und in der Übergangszone entsteht die Hitze durch die Reibung. Und weil man schneller Hitze erzeugt durch Reibung, als diese Hitze weggezogen wird durch Wärmezufuhr, also Konvektion oder Konduktion oder Leitung, Kontaktleitung, dass sich die Temperatur in dieser Übergangszone erhöht und dadurch die Matrix des Kunststoffs auch aufschmilzt oder aufweicht. Dann gibt es wieder die Benetzung des Metalls durch den aufgeschmolzenen Kunststoff. 

In diesem Verfahren, wo wir das extra patentiert haben, kommt der Einsatz von Mikrosäulen oder Pins in der Oberfläche des Metalls dazu. Und diese Pins, verbessern dann die Transformation von mechanischer Schwingung in Wärme, in Energie durch die Reibung. Die sind sogenannte Energy Directors. Sie fügen die Vibration in die Spitze von diesen Elementen. Die werden so wie in eine Haarbürste. Die Bürste sind diese Pins und diese Pins werden auf die Oberfläche von dem Kunststoff gedrückt. Mit Ultraschallfrequenz. Sehr schnell. In der Spitze von diesen kleinen Pins gibt es die Hitzeentwicklung und die Pins dringen dann in den Kunststoff. Als ob man eine Haarbürste in Knetemasse drückt. Wenn man wo etwas als Kind gemacht und später versucht hat die Knetemasse aus der Haarbürste zu entfernen, dann wissen Sie, dass es sehr schwer ist. Und dann kommt die zweite Funktion von diesen Pins, die wir in der Oberfläche des Metalls integrieren: Sie erhöhen die Schadenstoleranz der gesamten Struktur. Weil diese Pins auch mechanisch verankert sind. Wenn der Kunststoff konsolidiert, sind sie fest in dem Kunststoff drinnen. Und das erhöht die Schadenstoleranz. Das bedeutet, dass wenn Risse entstehen zwischen diesen zwei Teilen aus Metall und Kunststoff, dann brechen diese Pins langsam und der Risswachstum wird entschleunigt. Die Struktur kann besser halten und keine katastrophalen Fehler finden statt. Man kann das ganz gut kontrollieren, wenn zum Beispiel das Flugzeug in Wartung am Boden ist, durch nicht destruktive Technologien, wie auch Ultraschall oder andere Verfahren. Das sind die Sachen, die wir entwickelt haben. 

Ganz am Anfang waren wir auch in der Herstellung des Kunststoffes und Metalls durch traditionelle Verfahren. Das heißt, wir haben mit kommerziellen Blechen gearbeitet oder dann Material genommen und diese Pins auf der Oberfläche gefräst. Das war aber eine Phase, wo wir nur die Machbarkeit der Technologie gezeigt haben. Heutzutage sind wir dabei, schon die additive Fertigung, das 3D-Drucken zu nutzen. Zum Beispiel werden diese Pins topologisch optimiert, das heißt, sie bekommen eine Form, die weniger Material verlangt. Sas ist leichter und sie verlieren die Strukturfunktion nicht, durch das Wegnehmen von Massen aus den Metallbauteilen. Solche komplexen Strukturen, die topologisch optimiert werden, dann man nur durch das 3D-Drucken erreichen, und nicht zum Beispiel durch das Fräsen in der Regel. Das gleiche können wir bei Kunststoff oder machen Verbundwerkstoff machen. Es gibt ein Additivfertigungsverfahren, das wir auch versteckte Kunststoffen drucken können mittlerweile. Wir können die zwei verschiedenen Materialien oder Bauteile herstellen, durch das 3D-Drucken topologisch optimiert, das heißt sie sind leichter, und dann eine zweite Fügetechnik nutzen, um diese zwei Bauteile zusammenzufügen. Das ist ein Ansatz, der aktuell in Richtung Fügetechnik geht bei uns. 

Wir haben aber seit 2015, noch aus meiner Zeit, dass ich in Deutschland gearbeitet habe, eine Technologie entwickelt, das Add Joining. Das ist wirklich ein 3D-Druckenverfahren. Das heißt, wir nehmen so ein 3D-Druckenverfahren für den Kunststoff und nutzen das, um ein metallisches Bauteile zu hybridisieren. Das heißt, wir drucken Kunststoffe oder Verbundwerkstoffe direkt auf eine metallische Oberfläche. Und dadurch können wir zum Beispiel Sensoren in den Kunststoffbauteilen integrieren oder Coatings in der Oberfläche aus Kunststoffen in den Metallbauteilen integrieren oder eben wirklich mal sehr feste  Übergbergangsverbindung zwischen großen Strukturen aus Kunststoff und aus Metall herstellen. Wie zum Beispiel der Rumpf ist in der Regel aus CFK. Aber die Verstärkung, die sogenannten Stringer, sind aus Metall. Und wenn wir zum Beispiel die Struktur aus dem Rumpf direkt durch ein 3D-Druckenverfahren in den Metallbauteil integrieren könnten, auf eine optimale Weise, dann können wir so in der Zukunft komplexe, leichtere Bauteile gleichzeitig in einem Verfahren oder praktisch mit wenigen Schritten herstellen. Ganz ohne Nieten. Es ist eine Evolution. Jede der Technologie, die wir an der TU Graz entwickelt haben und weiterentwickelt haben, zurzeit weiterentwickelt, hat ihre Nischenanwendungen. Das heißt, sie sind keine Competitors. Sie kämpfen nicht für die gleichen Anwendungen. Sie sind geeignet für bestimmte Anwendungen, bestimmte Nischen. Und das macht es interessant. Das untersuchen wir im Rahmen von verschiedenen Industrieprojekten sowie auch akademischen Projekten im Institut für Werkstoffforschung, Fügertechnik und Umformtechnik und insbesondere in der Stiftungsprofessur für Luftfahrt.

Ich bin ein bisschen an dem Thema hängen geblieben, dass die Oberflächenstrukturen optimiert werden. Wie schaut das dann aus? Also wie muss ich mir das ungefähr vorstellen? 

Amancio: Sie sehen wie Pins in der Oberfläche aus oder wie die Haare einer Bürste. Es sind kleine Pins, die zylindrisch sein können oder einen Kopf mit einem breiteren Durchmesser haben, wie ein Pilz zum Beispiel. Oder eben, wenn wir mal in den mikrometrischen Bereich gehen, also 180, 200 Mikrometer und unter 200 Mikrometer, dann können wir zum Beispiel biomimetrische oder naturinspirierte Strukturen herstellen, wie die Fußstrukturen von Gekkos. Der Gekko hat bestimmte Mikrosäulen in den Fuß, wenn man die mit einem Rasterelektronen-Mikroskop ansehen würde. Man sieht so kleine Pilzen und diese sind sehr flexibel und adaptieren sich auf die Oberfläche, wo sie klettern wollen. Und diese Verbindung kann wirklich sehr fest sein. Deswegen fallen sie nicht ab, wenn sie an einer Wand oder sogar am Dach sind, Kopf über. Und davon wollen wir uns auch inspirieren lassen, solche Strukturen in unser Metallbauteil zu drücken, bevor wir mit dem Add Joining-Verfahren diese Bauteile hybridisieren. Damit wir solche komplexe sub- und mikrometrische Strukturen erreichen, dann müssen wir das 3D-Druckverfahren, das sogenannte Laser-Powder-Bad-Fusion oder das selektive Lasermelting auf Deutsch nutzen, die uns ermöglichen, solche Detailstrukturen direkt während des Druckverfahrens, das heißt während der Fertigung der Bauteile schon in der Oberfläche integrieren zu können. 

Sie haben jetzt den Gekko genannt als Inspiration. Wo kommen Ihre Ideen her? 

Amancio: Also mittlerweile bin ich nicht allein bei der Idee. Ich habe eine super Mannschaft, die zusammen mit mir arbeitet und die Ideen kommen nicht nur von mir, sondern auch von meinen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Als die meisten dieser Fertigungsverfahren entstanden sind war ich damals Dissertant und danach Postdoc. Ich war sehr neugierig, diese Problematik zu lösen, dass Metalle schwer mit Kunststoff zu schweißen waren. Und ich hatte nach neuen Ansätzen gesucht und gar nichts gefunden. Ich habe aber dann Schweißverfahren beobachtet, von denen das Prinzip dann für meine Anwendung anzuwenden wäre. Und da habe ich mal ein bisschen gebastelt, getestet und versucht immer die Materialkundekenntnise anzuwenden, zu verstehen, was das Verfahren auf den Verbindungsaufbau verursacht hat, beziehungsweise auf die mechanische Eigenschaft und Mikrostruktur solcher Verbindungen. Und beim Lesen, bei Versuchen, bei Ausprobieren und bei Testen kommen die Ideen. Ich hatte aber vielleicht so 150 Ideen ausprobiert, bis es zu diesen 22 Patenten hier kam. Es gibt keine Magie. Es gibt eigentlich harte Arbeit. 

Gerade in der Luftfahrt ist ja das Thema Sicherheit auch immer ein sehr, sehr wichtiges. Wenn man sich jetzt neue Verfahren anschaut, wie sicher sind die im Gegensatz zu den klassischen oder herkömmlichen Verfahren?

Amancio: Genau, also Gott sei Dank gibt es eine sehr strenge Sicherheitskontrolle bei allen einzelnen Entwicklungsphasen. Auch bei neuen Materialien oder bei neuen Fertigungsverfahren. Das ist nicht so einfach, ein neues Fertigungsverfahren zu zertifizieren, insbesondere in der Zivilluftfahrt. Bei der Militäranwendung ist es anders, weil man andere Gegebenheiten, andere Boundary Conditions hat als in der Zivilluftfahrt, wo vielleicht ein paar Leute da sitzen oder vielleicht nur ein Pilot oder eine Pilotin, die jederzeit mit einem Fallschirm aus dem Flugzeug springen können

In der zivilen Luftfahrt gibt es das sogenannte Building Block Schema, das heißt, dass bei jedem neuen Material oder einem neuen Fertigungsverfahren man von der Basis dieser Pyramide anfängt. Das ist eine Pyramide und am Boden sind die ersten Zertifizierungsebenen, wo man nur auf der Probeebene arbeitet. Alle Tests sind dann auf dieser Probeebene durchgeführt, bis die Zertifizierung und alle Sicherheitsstandards sichergestellt worden sind. Und dann geht es zum nächsten Schritt, wo dann kleine Demonstratoren-Bauteile hergestellt werden. Und dann werden alle auf dieser Ebene geprüft, bis so ein bestimmtes Sicherheitsniveau erreicht wird. Dann geht es weiter nach oben, Richtung der Spitze der Pyramide. Wir testen weiter bis zum letzten Stadion, das ist schon das gesamte Flugzeug. Das ist dann das Full-Scale-Testing, das Gesamtflugzeug oder vielleicht auch Teile des Flugzeugs, zum Beispiel die Tragfläche als Ganzes, wirklich mal getestet, bis man auf dieser Ebene eine volle Zertifizierung erreicht hat. Diese Building Block Pyramide wurde von dem sogenannten Technological Readiness Level, THL, inspiriert. Und wenn man so vergleichen würde, 0 ist die Basis der Pyramide und 9 ist das Maximum. Wir arbeiten an der TU Graz bis zum TRL 5. Das heißt, wir untersuchen auf der Probeebene bis zu den Demonstratorenbauteilen, also Teilkomponenten zum Beispiel, oder Komponenten, die auf Skala hergestellt werden. Weil unsere Expertise hier nicht in der Entwicklung von Flugzeugstrukturen ist, sondern auf dem Material und der Fertigungstechnologie. Was darüber geht liegt bei unseren Industriepartnern, die die Technologie dann in wirklichen Strukturen testen. Und dann gehen sie zu den Zertifizierungsverfahren. Von diesen 5 oder 6 Technologien, die ich mal erwähnt habe, gibt es Technologien, die sind weiter,  auf Technological Readiness Level 5, manche sogar schon 6, aber andere sind noch THL 2 oder 3. Das Friction Spot Joining ist schon bei 5, 6. Das wurde schon demonstriert, wirklich in großen Komponenten. Das Reibnieten ist auch 5, 6. Das Ultraschall-Fügen, das Ultrasonic-Joining ist zwischen 3 und 4 im Moment und das Add Joining, das ist dieser 3D-Druckenverfahren für das hybriden Verbindung, ist zwischen 3 und 4 auch. So ist dann das Niveau von solcher Technologie für das hybriden Bauteil. Wir haben aber auch in den letzten drei Jahren eine total neue Fügetechnik hier an der TU Graz entwickelt für andere Verbindungen. Die sind auch teilweise auf Reibenergie basiert und andere auf 3D-Druck-Verfahren. Ich darf aber im Moment noch nicht viel darüber sprechen. Hoffentlich bald, wenn die Erfindungsmeldungen als Patent angemeldet werden. Aber wir sind schon in Richtung Mischverbindung zwischen Metall und Holz, Holz und Verbundwerkstoffen. Weil Holz ist ein sehr interessantes Material, das Verbundwerkstoffe auf Basis von Ölresin oder Ölharzen ersetzen kann. Und dann ist die Herausforderung noch größer, weil man Metall mit Holz kann gut vernageln oder mit Verschraubungen arbeiten kann, vielleicht kleben, aber keine wirklichen Hochanspruch-Anwendung wie in der Transportindustrie. 

Aber dort kann man mit Holz arbeiten?

Amancio: Ja, kann man. 

Kann man Holz eigentlich schon schweißen?

Amancio: Ja, durch Reibung. Da geht man ein bisschen in diese Richtung. 

Sie sind aus Brasilien, sind dann nach Deutschland, haben dort sehr lange gearbeitet, haben Ihr Doktorat fertig gemacht, waren dann auch, ich glaube, Juniorprofessor in Deutschland und sind jetzt in der TU Graz in der Stiftungsprofessur. Wie hat ich dieser Weg für Sie gestaltet? Wie ist es dazu gekommen? Was hat Sie da schlussendlich nach Graz gebracht? 

Amancio: Genau, also ich war knapp 18 Jahre in Deutschland. Ich war erstens als Masterstudent dort aus Brasilien, aus Santo André gewechselt. Und dann habe ich meine Promotionsarbeit in Hamburg, an der TU Hamburg gemacht. Dann habe ich eine Weile als Wissenschafter, Postdoc und danach als Seniorwissenschafter in  einem Helmholtz-Zentrum in Geesthacht gearbeitet. Und dann habe ich ein Nachwuchsgruppenprojekt, einen Grant bekommen. Das ist wie ein CD-Labor-ähnliches Projekt. Also in Deutschland sind die Helmholtz-Nachwuchsgruppen zwischen diesem Helmholtz-Zentrum in Geesthacht und der Technischen Universität in Hamburg angeseidelt. Und dort wurde ich parallel auch Junior-Professor. Junior-Professor ist ähnlich einem Assistent-Professor in Österreich, mit dem Unterschied, dass ein Junior-Professor seine Dissertantinnen und Dissertanten selber betreuen kann, akademisch und wissenschaftlich. Ein Assistent-Professor, der sich in der Phase der Habilitation befindet, darf offiziell keine eigenen Dissertanten und Dissertantinnen akademisch betreuen. Das war eine gute Sache für mich, der sowieso immer die akademische Laufbahn verfolgen wollte. Die Junior-Professur ist auf sechs Jahre begrenzt. Danach wird entweder entfristet oder man geht in Richtung anderer Stellen. Ich hätte aber am Ende eine sichere Stelle als Seniorwissenschafter in diesem Helmholtz-Zentrum bekommen, wenn ich eine positive Evaluation bei meiner Juniorprofessur bekommen würde. Das war der Fall, aber es gab keine Perspektiven, mich im akademischen Bereich weiterzuentwickeln. Und dann war für mich klar, ja schon als Seniorwissenschaftler, aber ich wollte mehr für die Karriere und dann habe ich angefangen mich so zu bewerben bei verschiedenen Stellen in Deutschland, in den USA, in Holland und hier in Graz. Ich kannte die TU Graz schon. Die TU Graz hat einen sehr guten Ruf im deutschsprachigen Raum und international im Bereich Werkstoffkunde und auch im Bereich Fügetechnik. Es war für mich sehr attraktiv, weil ich in Deutschland immer mit Luftfahrtmaterialien und Fügetechnik gearbeitet habe und das hat sehr gut gepasst. Von den Stellen, für die ich mich beworben haben, war diese am attraktivsten, weil durch diese Stiftungsprofessur eine sehr gute Ausstattung für eine neue Arbeitsgruppe dabei war. Und das war ausschlaggebend, dass ich nach Graz bekommen bin. Und wir sind auch in einer schönen Region hier, muss man schon sagen. Graz ist wunderschön, nicht dass Hamburg und die Umgebung nicht schön wären, aber wettermäßig ist Graz besser für einen Brasilianer, würde ich sagen. 

Das Hauptthema unserer diesmaligen Staffel ist ja auch die smarte Produktion. Was ist für Sie smarte Produktion und gehört Ihr Forschungsgebiet dort hinein? 

Amancio: Ich bin kein Fachexpert in Smart Production. In Deutschland wird Smart Production Industrie 4.0 genannt. In Österreich nutzt man den Begriff Smart Production. Da haben die Kolleginnen und Kollegen am Institut für Fertigungstechnik die Expertise. Aber für mich als Ingenieur, ist es meiner Meinung nach wichtig, dass man einen Ausgleich zwischen dem Human-Faktor und dem Maschinen-Faktor schafft. Bei dem Maschinen-Faktor spielt sicherlich die künstliche Intelligenz, insbesondere Big Data, Machine Learning, eine wichtige Rolle. Aber nicht nur das, weil ohne das geeignete Fertigungsverfahren bringt das gar nichts. Automatisierung oder Digitalisierung, dazu muss man schon in der Lage sein. Und bis jetzt können künstliche Intelligenzen noch kein Fertigungsverfahren selber auswählen. Sie können Ergebnisse auswerten, daraus lernen, aber es muss einen Menschen geben, der das wirklich vernünftig macht, das richtige Material und das richtige Fertigungsverfahren für die Maschine vorschlagen kann. Das heißt, dieses Human-Material ist für mich auch ein großer Bestandteil einer Smart Production. Es mag andere Meinungen geben, dass irgendwann der Einfluss der Menschen, der Operatoren nachlassen wird. Ich bin der Meinung, dass das nicht der Fall sein wird. Und deswegen versuche ich, und auch unsere Kolleginnen und Kollegen im Institut, unsere zukünftigen Ingenieurinnen und Ingenieure mit dieser Mentalität auszubilden und sie vorzubereiten. Sie müssen auch wirklich vorbereitet sein, um sich mit der Digitalisierung auseinanderzusetzen, wenn sie am Arbeitsmarkt sind. Aber sie müssen die Grundlagenkenntnisse haben, und zwar in der Werkstoffkunde, in der Festigkeit der Materialien, in der Fertigungstechnik, in der Oberflächentechnik. Und das kann eine Maschine noch nicht von selbst. Deswegen ist für mich Smart Production eine Kombination von smarten Leuten und nachhaltigen Fertigungsverfahren und die Nutzung von Robotisierung und der künstlichen Intelligenz als Unterstützung für die Optimierung dieses Verfahrens. 

Eine abschließende Frage habe ich noch. In der Forschung ist ja Geld und Finanzierung immer ein sehr, sehr großes Thema. Wenn es einmal kein Thema wäre, was würden Sie dann gerne umsetzen wollen? 

Amancio: Das ist eine tolle Frage und man hofft, dass unser Rektor auch meine Antwort jetzt mithört. Ja, das ist ein Witz natürlich, aber es gibt natürlich auch eine Wahrheit dahinter. Geld ist sehr wichtig heutzutage. Und insbesondere in meinem Bereich braucht man Hardware, braucht man Maschinen, man muss Prototypen bauen können, die unsere Idee demonstrieren. Und wenn ich Geld hätte, also ein ausreichendes Budget zur Verfügung hätte, würde ich einen nächsten Schritt gehen. Heute arbeiten wir mit adaptierten, kommerziellen Geräten, meistens Desktop-Maschinen, kleinen 3D-Druckern oder Schweiß- oder Füge-Geräte, die für die Grundlageforschung ausreichend sind. Aber der nächste Schritt, der natürliche nächste Schritt, ist dann zum hohenTechnological Readiness Level zu gehen. Das heißt, wir brauchen Geräte, die groß sind, damit wir große Bauteile bauen können, wozu wir im Moment noch nicht in der Lage sind. Wir sind auf einem guten Weg, aber das wäre mein Traum und ich glaube eine gute Strategie für die TU Graz, damit wir auf hohe Skalierung gehen könnten. Und ich würde eine Pilotfabrik bauen. Da können Sie sich fragen ob es nicht schon eine Pilotfabrik an der TU Graz gibt. Unsere smartfactory. Sie arbeitet mit herkömmlichen Fertigungsgeräten, ich muss aber selber welche entwickeln und selber bauen. Es gibt nichts off the shelf zu kaufen. Und deswegen, wenn sie mir 10 Millionen geben würden, wäre das super, wenn sie mir 5 Millionen geben würden, wäre das ausreichend. 

Vielen Dank für das Gespräch. 

Amancio: Danke sehr, ich bedanke mich. 

Vielen Dank, dass ihr heute wieder mit dabei wart. Wir hören uns beim nächsten Mal.