Martin Lucien Widmer: Mathematik macht mir einfach Spaß

Im Büro stehen noch Kisten, der Schreibtisch ist erst spärlich befüllt – aber das Whiteboard, das dahinter an der Wand hängt, ist schon bis an die silbernen Ränder mit Gleichungen, Formeln und Buchstaben beschrieben. Mathematiker Martin Widmer kennt keine Pause, wenn es um sein Fachgebiet geht. „Mathematik macht mir einfach Spaß“, beschreibt er. Der gebürtige Schweizer startete im April als neuer Professor für Analysis und Zahlentheorie an der TU Graz. Sein Arbeitsgebiet liegt zwischen arithmetischer Statistik, algebraischer Zahlentheorie und der Geometrie der Zahlen. Höhenfunktionen sind ebenfalls ein zentrales Thema seiner Forschung.
Waren Sie vor Ihrer Professur schon einmal an der TU Graz?
Widmer: Ja. Aber eher aus Zufall. Ich war als Postdoc an der University of Texas tätig und habe mich kurzfristig nach weiteren Stellen umgesehen – vorwiegend in Europa. Professor Tichy war der erste, von dem ich eine positive Antwort bekommen habe. So bin ich erstmals an die TU Graz gekommen und habe ein neues Forschungsgebiet mitgebracht. Hier habe ich die Freiheit bekommen, daran weiter zu arbeiten.
Welches war das?
Widmer: Ich habe mich schon damals sehr für Höhenfunktionen interessiert. Höhenfunktionen sind Werkzeuge, um die arithmetische Komplexität von algebraisch definierten Objekten, z.B. algebraischen Zahlen, zu messen und sie tauchen mittlerweile in vielen Bereichen der Zahlentheorie auf. Trotzdem sind Höhen immer noch etwas mysteriös. Es gibt einige fundamentale Fragen, die wir bis heute nicht beantworten können. Das berühmteste Beispiel ist wohl Lehmers Vermutung von 1933.
Höhen sind immer noch etwas mysteriös. (Martin Widmer)
Daneben habe ich mich auch schon damals für Fragen aus der arithmetischen Statistik interessiert – dort spielen Höhen ebenfalls eine Rolle. Die arithmetische Statistik ist ein relativ neues Teilgebiet der Zahlentheorie und beschäftigt sich mit der statistischen Verteilung von arithmetischen Objekten, z.B. Klassengruppen. Letztere kodieren Information, die uns z.B. verrät, ob der zugehörige Zahlbereich eine eindeutige Primfaktorzerlegung hat.
Ist das auch der Bereich, in dem Sie an der TU Graz weiterarbeiten werden?
Widmer: Sicher ist, dass ich mich auch weiterhin mit l-Torsionsuntergruppen der Klassengruppen beschäftigen werde. Es gibt eine zentrale Vermutung in diesem Gebiet, mit weitreichenden Konsequenzen. Allerdings ist sie derzeit außer Reichweite. Schon kleine Fortschritte sind schwierig zu erzielen und erfordern neue Ideen, die oft auch anderweitig nützlich sind.
Die arithmetische Statistik ist ziemlich kompetitiv und seit einigen Jahren sehr populär, vielleicht auch, weil Manjul Bhargava 2014 die Fields-Medaille für Resultate in diesem Gebiet erhalten hat. Bhargava hat sehr viele neue Ideen und Methoden eingebracht.
Ist die Forschungscommunity sehr unterstützend oder auf Konkurrenz ausgelegt?
Widmer: Ich denke, dass es beides ist. Mein Kollege Christopher Frei und ich haben vor einigen Jahren eine Arbeit zu Klassengruppen publiziert, die eine neue, schlagkräftige Idee beinhaltet. Die eigentlichen Resultate wurden mittlerweile deutlich verbessert, aber unsere Idee findet sich in den neueren Arbeiten unserer Kolleg*innen wieder und das freut mich sehr. Ich sehe die Forschung eher als Gemeinschaftsprojekt. Jeder steht auf den Schultern von anderen. Auf der anderen Seite gibt es in diesem Gebiet gerade ein hohes Tempo. Will man etwas beitragen, dann muss man sehr schnell sein. Diese Dynamik kann motivieren.
Ich sehe die Forschung eher als Gemeinschaftsprojekt. Jeder steht auf den Schultern von anderen. (Martin Widmer)
Tut sie das bei Ihnen?
Widmer: Ja, sicher. Ich mag es sehr, mich ganz in ein Thema zu vertiefen und es noch ein bisschen besser zu machen. Und das in möglichst kurzer Zeit. Aber ich bin froh, auch in anderen Gebieten tätig zu sein, die nicht ganz so kompetitiv sind.
Zur Entspannung?
Widmer: Ja (lacht). Tatsächlich kann der Frust zuweilen groß sein, wenn viele Teams am gleichen Problem arbeiten. Zudem läuft es in der Forschung sowieso selten so, wie geplant. Ich denke es hilft, in mehreren Gebieten zu arbeiten und eine gewisse thematische Breite zu haben. So bringt man neue Zugänge mit, die andere vielleicht nicht haben. Echter Fortschritt fängt an, wenn man über den Tellerrand blickt.
Echter Fortschritt fängt an, wenn man über den Tellerrand blickt. (Martin Widmer)
Es gibt also noch mehr Gebiete, in denen Sie arbeiten?
Widmer: Ja, zum Beispiel die Geometrie der Zahlen. Zudem gibt es oft Fragen zu den bereits erwähnten Höhen, die mich zusätzlich beschäftigen.
Sehen Sie an der TU Graz Anknüpfungspunkte zu anderen Disziplinen?
Widmer: Ja, zum Beispiel zur Geometrie. Die Theorie der o-minimalen Strukturen behandelt Teilmengen des euklidischen Raumes mit besonders netten geometrischen Eigenschaften. Diese Theorie hat sich in der Zahlentheorie als sehr nützlich erwiesen. Jedenfalls habe ich meinem Kollegen Professor Kerber vom Institut für Geometrie bereits vorsorglich ein Buch über o-minimale Strukturen ausgeliehen (lacht).
Darüber hinaus wird es leider etwas zu spekulativ. Ich arbeite in der reinen Mathematik und da sind Kooperationen über das Feld hinaus eher selten. Ich bin nicht unbedingt auf eine Anwendung meiner Ergebnisse aus. Es ist schön, wenn meine Arbeit einen praktischen Nutzen hat, das ist aber nicht mein Antrieb. Mir macht Mathematik Spaß. Eine Aufgabe, die eine klare, eindeutige Lösung hat, finde ich einfach besonders reizvoll.
Mathematiker rechnen grundsätzlich nicht gerne oder?
Widmer: Ich versuche Rechnungen, wenn möglich, zu vermeiden. Aber ich mag Zahlen und Zahlenspielereien. Ich finde die Zahl 2025 zum Beispiel sehr schön, denn 2025 ist das Quadrat der Summe 20 plus 25. Und 45 ist die Summe der ersten neun natürlichen Zahlen. Und das Quadrat davon, also 2025, ist damit ebenfalls die Summe der ersten neun Kubikzahlen. Dahinter steckt auch eine schöne geometrische Identität. Für mich hat Mathematik immer auch ein spielerisches Element.
Also ist es kein Zufall, dass Sie 2025 an die TU Graz gekommen sind. Wir freuen uns jedenfalls auf die Zusammenarbeit!
Kontakt
Martin WIDMER
Institut für Analysis und Zahlentheorie
Kopernikusgasse 24
8010 Graz
Tel.: +43 316 873 7629
martin.widmer @tugraz.at
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