Talk Science to Me #48: Wie baue ich gut mit Beton?
Hallo und herzlich willkommen bei Talk Science to Me, dem Wissenschaftspodcast der TU Graz. Mein Name ist Birgit Baustädter und heute spreche ich mit Dirk Schlicke. Er ist Bauingenieur und leitet das Institut für Betonbau an der TU Graz. Er ist vom Baustoff überzeugt, wenn man ihn richtig einsetzt.
Talk Science to Me: Lieber Dirk, vielen Dank, dass du heute hier bist und meine Fragen beantwortest. Du leitest das Institut für Betonbau. Was machst du den ganzen Tag?
Dirk Schlicke: Mein Tag ist ganz vielschichtig. Ich bin in vielen Vorlesungen, wo ich den Studierenden beibringe, wie das funktioniert mit der Betonbauweise. Wir haben Forschungsprojekte, die ich zum Teil leite, aber zum Teil auch noch aktiv mitwirke. Dann gibt es Normenarbeit, Gremienarbeit. Jetzt komme ich gerade aus einer Besprechung von einem Forschungsprojekt, wo es tatsächlich um nachhaltige Betonbauweise geht und ja, dann gibt es noch administrative Aufgaben am Institut, denen natürlich auch gerecht werden muss.
Talk Science to Me: Beton ist ein vielfältiger Forschungsbereich. Es gibt die Materialseite, es gibt die Bauseite. Welchen Teil schaust du dir an? Also was ist dein Fachgebiet?
Schlicke: Mein Fachgebiet ist die Betonbauweise. Wir müssen natürlich schon verstehen, wie der Werkstoff an sich funktioniert, aber wir beschäftigen uns vornehmlich damit, wie man mit Beton baut. Das nennen wir werkstoffgerechtes Konstruieren, werkstoffgerechtes Bauen. Wir beschäftigen uns aber auch damit, wie man vielleicht in Zukunft mit Betonrezepturen, neuen Betonarten bauen kann.
Talk Science to Me: Was ist eigentlich Beton?
Schlicke: Unwissenschaftlich gesprochen ist Beton ein Stein. Ein Stein, den wir vermögen, ohne großen Aufwand auf die Baustelle zu bringen oder vielleicht sogar dort herzustellen und dann in eine beliebige Form zu gießen. Er erhärtet und wird sehr fest, auch sehr steif, hat wenig Verformungen. So können wir unsere ganze gebaute Umwelt mit diesem Stein gestalten. Wenn man es jetzt vielleicht ein bisschen genauer anschaut, ein bisschen wissenschaftlicher sagen möchte, dann ist das Zement und Wasser und Gestein. Das ist dann abgestuft in ihren Größen und dieser Zementleim klebt es zusammen, erhärtet, wird dann ein sogenannter Zementstein, in dem diese Gesteinskörnung, Zuschläge sagen wir auch gern, eingebettet ist. Das ganze ist dann unser Beton als Werkstoff.
Unwissenschaftlich gesprochen ist Beton ein Stein. (Dirk Schlicke)
Talk Science to Me: Wie baut man mit Beton und vor allem auch wie unterscheidet sich das von anderen Baustoffen, wie zum Beispiel Holz?
Schlicke: Ja, da ist ein Riesenthema, das Bauen mit Beton, weil dieser Stein, der ist besonders druckfest. Also man kann wunderbar auf diesen Stein drücken und kann quasi alles bauen, wo nur Druck herrscht. Das haben die Römer zum Beispiel früher gemacht. Wenn man guckt, diese Viadukte mit diesen Bögen, die sind ja sehr enge Bögen, das sind fast nur Druckkräfte in diesen Bauwerken und das kann der Beton für sich super. Heute wollen wir nicht mehr so bauen. Eir wollen eher schlanke Konstruktionen. Die Architektur ist natürlich viel weiter als früher in Rom und diese schlanken Konstruktionen haben auch Zugkräfte, die der Beton überhaupt nicht kann. Er kann wunderbar gedrückt werden, aber nur ganz wenig gezogen bevor er reißt. Deshalb sehen wir an diesen Stellen, wo in dem Bauwerk Zugkräfte entstehen, Bewährung vor, also ein zugfestes Material. Meistens sind das Bewährungsstähle, Betonstahl sagt man auch. Das sind Stäbe, die legen wir dann dorthin. Wir beschäftigen uns stark damit, wo man wie viel von diesem Stahl einsetzen muss, damit am Ende eine sehr schlanke Konstruktion, eine vielleicht auch waghalsige Konstruktion noch funktioniert. Aber auch ganz klassisch im Wohnbau oder in vielen anderen Bereichen, wi man klassisch mit Beton baut, ohne dass man zu viel Bewährung dort eingibt oder die Bewährung an der falschen Stelle hat.
Talk Science to Me: Wenn der Beton diese Bewährung braucht, warum baut man dann nicht gleich mit einem anderen Material?
Schlicke: Weil Beton sehr robust ist und sehr widerstandsfähig gegen die Umwelteinwirkungen. Er hat aber auch eine sehr hohe Steifigkeit. Die ist sehr wichtig, damit Verformungen gering bleiben. Wenn ich jetzt zum Beispiel eine sehr weit gespannte Brücke baue, dann kann ich die aus Beton sehr schlank gestalten, weil der Werkstoff an sich sehr steif ist. Im Holzbau, aber auch im Stahlbau sind auch weit gespannte Brücken gebaut worden, aber die sind alle sehr hoch. Die brauchen alle einen Bogen oben drüber, einen Bogen unten drunter oder einen Bogen oben und unten mit Aussteifungen. Die Steifigkeit ist sehr wichtig, die Dauerhaftigkeit, der Widerstand gegen Einwirkungen von außen - etwa Tausalz im Straßenverkehrswesen, das kann der Beton super ab und ja. Und vielleicht sage ich die Wahrheit: Beton ist auch sehr günstig. Beton ist ein vergleichsweise kostengünstiges Material wenn man die Qualität, die er hat, betrachtet. Ich glaube, das absolute Erfolgskonzept vom Beton ist, dass der Beton tatsächlich der Werkstoff ist, der am resilientesten gegen die Inkompetenz des Anwenders ist. Also wenn man mit Beton baut, kann man tatsächlich den einen oder anderen Fehler machen und der Werkstoff verzeiht es. Das funktioniert mit anderen Materialien im Holzbau, im Stahlbau deutlich weniger.
Talk Science to Me: Was wären das zum Beispiel für Fehler?
Schlicke: Was in der Vergangenheit sehr viel gemacht wurde, ist, wenn der Beton flüssig auf die Baustelle kam und sich nicht so gut bewegen und in die Form bringen lässt, dann wurde einfach mit Wasser nachdosiert. Das ist für den Beton eigentlich Gift, aber er erträgt das ein Stück weit, ohne dass man im weiteren Verlauf Schäden hat, Einbußen an der Dauerhaftigkeit, sowas. Oder man verdichtet gar nicht ordentlich. Das wird auch nicht immer ordnungsgemäß gemacht. Auch die Schalungskörper, in die reinbetoniert wird, werden zwar abgenommen auf der Baustelle, aber da findet sich auch immer mal irgendwie ein Fremdkörper drin. Der wird einfach mit einbetoniert, ohne dass das in weiterer Folge große Probleme gibt.
Talk Science to Me: Du hast jetzt sehr viele Vorteile genannt des Bauens mit Beton. Beton ist aber auch sehr oft in Verruf, gilt als umweltschädlicher Baustoff. Es wird davor gewarnt, dass "alles zu betoniert" wird. Kannst du diese Argumente und diese Kritik nachvollziehen?
Schlicke: Nein, will ich mal sagen. Natürlich kann ich es insoweit nachvollziehen, dass wenn man durch unsere gebaute Umwelt geht und sich umschaut, alles voll Beton ist. Und dann kann man natürlich den Schluss ziehen: Ja es wird viel zu viel mit Beton gebaut. Zumal der Beton ja tatsächlich sehr kritisch zu sehen ist im Sinne seiner Umweltwirkungen. Weil der Beton, vor allem der Bestandteil Zement, sehr viel CO2 emittiert. Um den Zement herzustellen treibt man in einem Brennvorgang dem Kalkstein das CO2 aus. Und man mag es nicht glauben, aber fast 60 Prozent der CO2-Emission unseres Werkstoffs Zement ist dieses Austreiben des CO2 bei der Entsäuerung des Kalksteins. Und nur 30% sind die Energieressourcen, die man braucht. Meistens sind es fossile Energieträger, die man für diese Entsäuerung des Kalksteins im braucht. Für dieses CO2 gibt es unterschiedliche Rechnungen, je nach Systemgrenze, Berechnungsansatz, deshalb will ich vorsichtig sein - aber das ist für 5 bis 15 Prozent unseres menschgemachten CO2-Ausstoßes verantwortlich. Und da kann man natürlich fragen, ob das wirklich notwendig ist? Umgekehrt ist es wichtiger, sich zu fragen, wie würde das, was ich da gerade sehe, aus einem anderen Werkstoff aussehen? Oder noch besser, könnte ich darauf verzichten?
Talk Science to Me: Auf Beton kann man also in der Gesellschaft, in der wir leben, nicht verzichten, weil er als Baustoff notwendig ist. Gibt es dann Möglichkeiten, den Bau umweltfreundlicher zu machen?
Schlicke: Die CO2-Emissionen des Zements kann man nach unten bringen, sie gehen aber nie auf Null. Man versucht es abzuscheiden und anderen industriellen Prozessen zuzuführen. Bis dahin, dass man das CO2 nimmt und gleichzeitig diese Zuschlagstoffe, diese Gesteinskörnung aus abgebrochenem Beton herstellt und dann wieder mit CO2 begast, sodass sich dort in diesem abgebrochenen Betonstein eine Kalksteinbildung durch die Bindung des CO2 bildet und man so CO2 speichert. Das reicht natürlich nicht aus. So viel CO2 kann man gar nicht speichern, wie der Zement, den wir verbauen, emittiert. Aber es sind erste Ansätze. Ein anderer Ansatz ist die agile Tragwerksplanung, also dass man den Beton nicht als Massenbaustoff verwendet, wie das heute sehr stark passiert, sondern zu einem Bewusstsein zurückfindet, dass Beton ein Qualitätswerkstoff ist und ihn wirklich nur dort einsetzt, wo wir ihn brauchen. Das heißt aber auch, dass man wieder schlankere Konstruktionen zulässt, für die man hat höheren Schalaufwand hat, der größeren Arbeitsaufwand auf der Baustelle bedeutet. Und das geht oft mit höheren Kosten einher. Jemand muss diese Schalung und die filigraneren Bauteile baue. Aber ich glaube, dass in einer Zukunft, in der CO2 bepreist wird, dann auch natürlich der Werkstoffpreis wieder steigt und diese Art des Bauens auch attraktiv werden kann.
Talk Science to Me: In die Richtung wäre jetzt meine nächste Frage gegangen. Wofür verwenden wir momentan Beton? Wie wird er aktuell eingesetzt und wofür wäre er eigentlich ideal?
Schlicke: Beton gibt es eigentlich überall: Im Wohnbau in jedem Fundament, im Verkehrswegebau, in Brücken, in Tunneln, in Unterführungen, in Industrieanlagen, bis hin zu Laboren. Er ist essentieller Bestandteil unserer Energiegewinnung in Kraftwerken, große Staumauern bauen wir aus Beton. Es gibt aber heute auch noch Braunkohlekraftwerke, Steinkohlekraftwerke, es gibt Atomkraftwerke, die werden alle mit Beton gebaut und auch Atommüllrestbehälter sind aus Beton. Beton gibt es aber auch im Abwasserbereich, im Wasserbereich, in Brunnen, in Kanälen, in der Schifffahrt. Aus meiner Sicht ist die Verwendung von Beton alternativlos. Was aber Alternativen hat, ist die Verwendung von Bindemitteln, von der ich vorhin gesprochen habe. Also dass man eher zementreduzierte Bindemittel nutzt. Es gibt sogar zementfreie Betone. Und, dass man genau für diese Betone den richtigen Anwendungsfall findet. Auch die Herstellung dieses Bauteils kann so gestaltet und kontrolliert werden, dass am Ende die Qualität passt. Das ist, glaube ich, unsere Hausaufgabe im Betonbau: Beton wieder als Qualitätswerkstoff zu sehen und auch in der Herstellung so zu agieren, dass er die Qualität am Ende auch hat. Das heißt, ordentlich nachbehandeln, die Frischbetontemperaturen so gestalten, dass es zur Umgebungstemperatur passt. Das machen wir heute im Sinne eines schnellen Bauens leider noch nicht so gut, wie wir könnten.
Beton gibt es eigentlich überall. (Dirk Schlicke)
Talk Science to Me: Du hast jetzt schon mehrere Aspekte genannt. Einerseits eben die Bindemittel, aber andererseits, dass man weniger Beton verwendet. Wo hast du das Gefühl, dass es in Zukunft hingehen wird? Also wie werden wir in Zukunft mit Beton bauen? Wird es eine Kombination aus beiden sein? Wird es eine Richtung einnehmen? Wird es so bleiben, wie es jetzt ist?
Schlicke: Da kommt noch viel mehr dazu. Wir haben jetzt über die Optimierung der Bindemittel gesprochen oder eben die CO2-Reduktion in den Bindemitteln. Wir haben über die Betonbauweise im Sinne von Bauteilgeometrien, von Querschnitten gesprochen. Es geht aber noch viel weiter, denn man darf auch die Bewährungen, die da eingebaut werden, nicht unterschätzen. Es ist zwar massenmäßig nicht so viel drin, aber eine Stahlbewährung hat einen deutlich höheren CO2-Fußabdruck als Beton. Bewährung wird heute oftmals aus pragmatischen Gründen eingebaut. Man baut so genannte Mindestbewährung ein und denkt über bestimmte dinge nicht nach. Das hat mit der tatsächlichen Mechanik dahinter nicht immer etwas zu tun. Ich glaube, es ist eben in diesem Mix aus agiler Tragwerksplanung, wo man gesicherte wissenschaftliche Methoden in der Bemessungspraxis nutzt, auch wenn es am Anfang etwas länger dauert, alles zu planen und zu berechnen. Am Ende ist es doch Werkstoff-optimiert. Man akzeptiert wieder, dass man optimiert Geometrien mit wenig bis gar nicht mit Erfahrungswerten ausgestatteten Bindemitteln nutzt. Die Erfahrung ist ein großes Thema im Bauwesen. Wir machen etwas so, weil wir es schon immer so machen. Das muss sich ändern und ich glaube, das wird sich ändern. Es gibt eine Roadmap von der Vereinigung der österreichischen Zementindustrie, die aufzeigt, wie man eben diesem Net-Zero-Ziel im Betonbau näher kommt. Da ist ein großer Teil dieses Speichern von abgeschiedenem CO2, aber ein großer teil ist auch die Optimierung der Bindemittel bis hin zur Betonbauweise. Die Betonbauweise ist dort mit ich glaube aktuell zehn Prozent eingepreist.
Talk Science to Me: Wie wohnst du selbst?
Schlicke: Ich wohne nicht in einem Betonbau sondern in einem Ziegelhaus. Natürlich sind die Decken dieses Ziegelhaus betoniert. Im Sinne einer Kreislaufwirtschaft habe ich mir kein neues Haus gebaut, sondern ein altes Haus gekauft, das gelinde gesagt ziemlich kaputt war. Wir haben es dann repariert, aber möglichst unter Bewahrung des alten Erscheinungsbildes.
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Talk Science to Me: Wie bist du selbst in dieses Forschungsgebiet gekommen?
Schlicke: Ich habe ganz klassisch angefangen zu studieren, damals in Leipzig, und hatte zunächst während meines Studiums ein viel größeres Interesse in der Geotechnik, an der Bodenmechanik bis hin zum Tunnelbau. Ich habe auch zweimal das Studium unterbrochen und war auf Großbaustellen. Einmal war das die Rüttelstoppverdichtung im Baugrund. Dann war ich auch am Gotthard Basistunnel ein halbes Jahr im Vortrieb tätig. Das war sehr, sehr spannend. Mein Herz hat zunächst für diese Disziplin geschlagen. Allerdings habe ich dann im weiteren Studiumsverlauf gemerkt, dass Beton zunächst mal überall ist und dass auch bei uns damals, wo ich studiert hatte an der Universität Leipzig ein wahnsinnig renommiertes Institut war, an dem man wirklich auch mechanisch basiert, nicht nur Empirie getrieben, sondern sehr fundierte Forschung im Betonbau betrieben hat. Und dann tat sich dort ein Forschungsfeld auf, damals ganz neu, Thermo-Hygro-Chemo-Mechanische Simulation des Betons. Also super kompliziert, gab auch ganz wenig zur damaligen Zeit. Und da habe ich angefangen als Student mit ganz primitiven Simulationstools. Da habe ich mich weiter reingearbeitet, fand das total spannend.
Talk Science to Me: Worum geht es da?
Schlicke: Es geht darum, dass man alles in einem Berechnungsmodell simuliert. Der Beton kommt quasi flüssig auf die Baustelle und dann erhärtet er. Während der Erhärtung wird er warm, kühlt wieder aus, er bekommt Festigkeit, möchte sich ausdehnen, zusammenziehen. Das kann er nicht immer, dann entstehen Risse, dafür bräuchte man Bewährung, die zu ermitteln gar nicht so trivial ist. Mit diesen Modellen haben wir immer weiter und weiter geschafft, dieses Verhalten des Betons bis hinein in die Nutzungsdauer zu simulieren. Heute können wir damit das Verformungsverhalten von weitgespannten Freivorbaubrücken simulieren. Das versetzt uns in die Lage, fugenlose große Schleusen zu bauen. Ich war mit diesem Modell damals auch involviert bei der Konzeptionierung von einem riesigen Staudamm in Pakistan, der 700 Meter breit, 400 Meter hoch, 200 Meter dick war. Es wurde fünf Jahre durchbetoniert und am Ende weiß man nicht, ob dieser gigantische spröde Koloss erdbebensicher steht. Wir haben mit diesem Modell eine Lösung entwickelt, wie man es erdbebensicher gestalten kann. Da will ich jetzt nicht zu sehr ins Detail gehen, aber das war voll spannend für mich damals. Als Doktoramt bin ich immer nach Frankfurt geflogen, habe ich mit einem amerikanischen und einem britischen Kollegne getroffen und philosophiert. Toll. Dann haben wir das weitergetrieben, fugenlosen Hochbau in Belgien. Also wirklich große Krankenhäuser ohne Fugen. Heute baut man überall Fugen ein, weil man die Verformungen des Betons nicht so ganz beherrschen kann. Bei uns steht in der Norm, wenn man alle 30 Meter eine Fuge baut, da muss man nicht nachdenken. Salopp gesagt. Das ist allerdings fürs Bauwerk nicht immer gut und wir haben da Methoden entwickelt, mit denen man bauen kann und es auch umgesetzt. Heute steht in Antwerpen zum Beispiel ein riesiges Krankenhaus, 200 x 100 Meter Grundfläche, 18 Etagen mit 13 unregelmäßig angeordneten Gebäudekernen und nicht eine Fuge. Da bin ich ganz stolz darauf und es funktioniert super. Und heute versetzt uns diese Kompetenz der Simulation auch in die Lage, diese neuen Betone mit diesen neuen Bindemitteln zu untersuchen. CO2-reduzierte Betone haben ein anderes Verhalten während der Erhärtung. Das simulieren wir jetzt. Wir betesten das auch, machen Experimente im Labor, aber am Ende gehen wir immer in die Simulation und simulieren auf Bauteilebene, auf Bauwerksebene die Performance dieses Werkstoffs und bestimmen auch mit, wie man bauen muss. Also welche Frischbetontemperaturen, wie muss nachbehandelt werden, in welcher Form, wie lange, unter welchen Randbedingungen, welche Bewährung braucht es am Ende, um diese erhärtungsbedingte Verformungsverhalten noch besteuern zu können. Das machen wir da. Also so fing die große Reise damals an mit einem kleinen Dirk im Studium, der sich dann eben für diese Simulation interessiert hat.
Talk Science to Me: Das war der Blick in die Vergangenheit. Wenn wir uns ein bisschen in die Zukunft schauen, gibt es irgendwas, Herausforderungen, die du dir gerne stellen möchtest in deinem Forschungsbereich? Gibt es irgendein Thema, ein Problem, das du gerne angehen möchtest?
Schlicke: Absolut. Jetzt mache ich nochmal einen kleinen Exkurs in die Vergangenheit. Im Laufe meiner wissenschaftlichen Laufbahn habe ich mich immer tiefgründiger mit der Materie beschäftigt, mit diesen Simulationsmethoden, die wir gesprochen haben, aber auch mit der Beurteilung bestimmter Verhaltensformen von Bauwerken. Und mit der Berufung zum Leiter des Instituts und auch der Übernahme der Forschungsverantwortung, sage ich mal, am Institut, ist mir bewusst geworden, dass wir einen riesigen Gap haben zwischen dem, was wir beforscht haben, wo wir auch aus heutiger Sicht sagen, das sind gesicherte wissenschaftliche Methoden und dem, was in der Praxis gemacht wird. Meine Herausforderung, die ich mir selbst gestellt habe, damals bei der Übernahme der Professur, war es, diesen Gap kleiner zu machen. Deswegen gibt es eben so ein Forschungsprojekt, agile Tragwerksplanung. Wir arbeiten aktuell mit knapp 20 Ingenieurbüros zusammen, denen wir diese Methoden anhand ihrer Projekte demonstrieren. Wir demonstrieren, wie wir es machen würden, während sie es so machen wie immer, um aufzuzeigen, wo liegt das Optimierungspotenzial wo liegt der Benefit von dem ganzen. Nicht nur hinsichtlich einer zeitoptimierten Planung. Zeit ist Geld, deswegen geht es immer nur um die Zeit. Sondern auch hinsichtlich einer ressourcenschonenden, ressourceneffizienten Planung, die am Ende auch nicht viel teurer werden muss. Man spart ja auch wieder was. Aber die eben nicht etabliert ist. Das ist ein großes Ziel, das ich mir gestellt habe, diesen Gap kleiner zu machen und ein anderes ziel ist diese Interdisziplinarität des Bauens wieder kooperativer zu machen. Das heißt interdisziplinäre Planung zwischen den Tragwerksplanern, als den ich mich jetzt verstehen würde. Sie planen die Tragwerke aber oftmals sehr entkoppelt von der Geotechnik. Das kann man sehr integrativ gestalten. Das mache ich auch mit meinem Kollegen Franz Schuchnik, ein guter Freund von mir mittlerweile. Mit dem diskutieren wir sehr viel. Er ist an der Geotechnik, ich bin im Betonbau. Wie können wir die Disziplinen zusammenbringen? Aber auch in der Betontechnologie. Wir haben ein großes Institut für Betontechnologie mit großen Expert*innen. Da arbeite ich sehr stark mit Joachim Juchart zusammen, der sich mit der Mineralogie sehr gut auskennt. Und dieses Wissen möchten wir übertragen in die Tragwerksplanung. Da wollen wir zusammenarbeiten bis hin zum integralen Tragwerksentwurf, das heißt Architektur zusammen mit der Tragwerksplanung. Die Architektur hat einen Entwurf, der ist oft in einem Zeitpunkt, der ist viel früher als unser Betonbau, als wir Tragwerksplaner kommen und das Ganze dann im Detail anschauen. Und wir könnten aber mit dem Entwurfsmodell der Architektur fast per Knopfdruck mit digitalen Planungsmethoden alles in ein statisches Berechnungsmodell übersetzen, das Vordimensionieren, Voranalysieren und diesen architektonischen Entwurfsprozess mit statischer Information anreichern kann. Da kriegen die Architektinnen und Architekten unter uns immer gleich ein bisschen Herzflattern, wenn ich sowas erzähle. Es geht nicht darum, den Tragwerksentwurf möglichst statisch konstruktiv auszurichten, darum geht es nicht. Es geht aber darum, bestimmte Entscheidungen in einem architektonischen Entwurfsprozess mit statischer Information anzureichern. Also wenn aus der Architektur heraus vielleicht die eine Option und die andere Option gleichwertig sind, dass man sagt: Ja, aber aus statisch konstruktiver Sicht sind sie nicht gleichwertig. Dass man dann eine bestimmte Entscheidung vielleicht sehr früh in eine Richtung fällt, die uns dann in der Statik am Ende sehr viel bringt und sie nicht dem Zufall überlässt. Das ist ein ganz großer Wunsch von mir, dass ich das in meiner Wirkungszeit fördere. Wir haben auch schon Projekte dazu, tatsächlich. Also wir arbeiten da auch tatsächlich mit Architekt*innen zusammen, in sehr frühen Planungsphasen, teilweise in vorwettbewerblichen Phasen, wenn es noch nicht mal das Baurecht für das Projekt gibt. Und dort sind wir tatsächlich von der Tragwerksplanung schon mit involviert und versuchen uns dort mit diesen digitalen Planungsmethoden an den Architekturmodellen.
Talk Science to Me: Klingt auf jeden Fall so spannend. Ich glaube, da werden wir noch einiges hören. Vielen Dank für das Interview.
Schlicke: Ich sage auch vielen Dank.
Vielen Dank, dass ihr dabei wart. In der nächsten Folge spreche ich mit Betontechnologen Joachim Juchart.
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