Der folgende Text ist ein wörtliches Transkript der Podcastfolge.
Herzlich willkommen bei Talk Science to Me, dem Wissenschaftspodcast der TU Graz. Ich bin Birgit Baustädter und mein Gast ist heute der Physiker Marcus Ossiander, der sich mit ultrakurzen Zeiteinheiten den Atosekunden beschäftigt.
Talk Science to Me: Schön, dass du heute da bist und mit mir über Grundlagenforschung und speziell auch deine eigene Forschung sprichst. Könntest du dich kurz vorstellen, bitte?
Marcus Ossiander: Ich freue mich auch, dass ich hier sein kann. Mein Name ist Marcus Ossiander. Ich bin seit diesem Jahr Assistant Professor an der TU Graz. Ich bin gleichzeitig noch Research Associate an der Harvard Universität.
Talk Science to Me: Was sind deine Forschungsbereiche?
Ossiander: Das große Forschungsziel ist, ein Attosekundenmikroskop zu bauen. Das vereint die Ultrakurzzeitphysik, die Laserphysik und Nano-Optik. Das sind sehr, sehr winzig kleine Optiken. Unser Ziel ist es, dieses Mikroskop zu bauen, um dann sehr kleine Elektronik zu untersuchen, weil in so einem Handy ein Prozessor ist ja nur noch einige Nanometer groß ist. Und wenn wir einen einzelnen davon untersuchen müssen, müssen wir natürlich Mikroskope mit sehr, sehr guter Auflösung haben. Gleichzeitig sind die Prozesse, die da drin stattfinden, extrem schnell. Und deshalb haben wir diesen Attosekundenbereich, damit wir Bilder mit sehr guter örtlicher Auflösung aufnehmen können, aber auch sehr guter zeitlicher Auflösung. Und das wollen wir dann anwenden, um Filme von der Wechselwirkung zwischen Licht und Materie zu machen. Das finden wir interessant.
Talk Science to Me: Attosekunde ist ein sehr langes Wort. Was ist eine Attosekunde? Das ist ja sehr, sehr kurz eigentlich.
Ossiander: Eine Attosekunde ist eine Zeitspanne, genau. Ein Bruchteil von einer Sekunde. Und es ist der milliardste Teil von einer Nanosekunde. Eine Nanosekunde ist der milliardste Teil von einer Sekunde. Das heißt, eine Attosekunde ist 10 hoch minus 18 Sekunden. Das ist für uns auch nur noch eine Zahl. Also wir können uns nicht richtig was unter dieser Zeitspanne vorstellen. Wir wissen bloß, dass es Prozesse gibt, die so furchtbar schnell sind. Das kann man ein bisschen verbildlichen mit einem Vergleich, weil das Universum ist 14 Milliarden Jahre alt. Das sind ungefähr 10 hoch 18 Sekunden. Das heißt, wenn man jetzt eine Sekunde vergleicht mit dem Alter vom Universum, ist das gleiche Verhältnis wie eine Attosekunde zu einer Sekunde. Und das finde ich cool, weil diese Ratio, was in einer Sekunde passiert, kann irgendwie den Verlauf des Universums bestimmen. Was in einer Attosekunde passiert, kann irgendwie entscheiden, ob eine Solarzelle effizient ist oder ob ein Prozessor funktioniert oder nicht. Deshalb interessieren wir uns dafür.
Talk Science to Me: Wo hat das bei dir begonnen? Also gibt es da so einen Moment, wo man in der Früh aufwacht und sich denkt, ach, Attosekunden, das wäre doch interessant für mein Leben?
Ossiander: Tatsächlich nicht, weil ich habe angefangen, Physik zu studieren und habe mich mehr für Halbleiter- und Festkörperphysik interessiert und habe dann aber einen Studentenjob im Max-Planck-Institut für Quantenoptik in München bekommen. Und die haben Attosekundenphysik gemacht. Das heißt, ich habe da erst einfach gearbeitet. Und das hat mir dann Spaß gemacht. Und ich bin irgendwie hängen geblieben und habe auch gemerkt, dass ich das wahrscheinlich ganz akzeptabel mache. Und fand es dann, je mehr ich es gemacht habe, umso interessanter. Inzwischen verwenden wir das wieder, um Halbleiter und Festkörper anzuschauen. Das heißt, wir haben diesen Kreisschluss, dass ich eine neue Technologie gelernt habe, irgendwie durch mein Doktorat und vielleicht auch danach. Und das jetzt verwende, um am Ende doch das zu machen was mich von Anfang an interessiert hat.
Talk Science to Me: Welche Vorgänge können in diesen ultra kurzen Zeitspannen erforscht werden?
Ossiander: Für uns sind die Attosekunden als Zeitspanne interessant und wir nehmen in die Attosekunden glaube ich auch noch so 1,2,3 Femtosekunden mit rein. Das sind dann 1.000 oder 3.000 Attosekunden, die Zeitskala von den Elektronen, sagen wir. Also wenn man das Borsche Atommodell macht, man hat einen Atomkern und einen Elektron, der fliegt da außen rum, dann braucht das Elektron in diesem sehr, sehr vereinfachten Bild ungefähr 150 Attosekunden drumherum. Gleichzeitig ist es auch die Zeitskala von sichtbarem Licht. Das heißt, wenn wir grünes Licht anschauen, das ist so eine oszillierende Welle. Und das oszilliert im Ort und auch in der Zeit. Und die Zeitspanne für eine ganze Oszillation ist zwei Femtosekunden ungefähr, also 2.000 Attosekunden. Und in der Physik interagieren Sachen immer sehr gut, wenn die Frequenzen ähnlich sind. Die Elektronen haben Frequenzen in der Attosekunden-Femtosekunden-Region, das Licht hat Attosekunden-Femtosekunden-Region. Das heißt, die Wechselwirkung zwischen Licht und Materie ist da besonders gut zu untersuchen. Deshalb ist es wichtig, weil wenn man jetzt so eine Solarzelle macht, was macht die? Die nimmt Licht und verwandelt sie in irgendeine Anregung in der Materie, die wir dann ins Strom bekommen. Und ob das effizient ist oder nicht, entscheidet sich oft in den ersten paar tausend Attosekunden, würde ich sagen. Oder wenn wir eine Fotodiode bauen, eine Fotodiode klingt jetzt vielleicht schon kompliziert, aber das ist das Gerät, das aus Informationen, die in der Glasfaser sind, Informationen, die wir elektrisch verarbeiten können, macht. Also das Gerät, was uns eigentlich erlaubt, weltweit zu kommunizieren. Auch das ist dann eine Anregung von Licht zu Materie. Und das ist auch die fundamentale Wechselwirkung, die passiert in so ein paar tausend Datasekunden.
Talk Science to Me: Und dieses Mikroskop, das du jetzt bauen willst, wie kann ich mir das vorstellen? Wie wird das dann schlussendlich aussehen?
Ossiander: Das Mikroskop, das wir bauen wollen, das fängt erst mal an mit einem sehr starken Laser. Und der erzeugt sichtbare oder nahinfrarote Strahlung. Wir brauchen aber extrem ultraviolette Strahlung für diese gute Auflösung. Extrem ultraviolette Strahlung erzeugt haben, müssen wir Prozesse
beobachten und wir wollen einzelne Bilder aufnehmen, um die dann zu einem Film zusammenzusetzen. Für jedes Bild müssen wir aber wissen, zu welchem Zeitpunkt wir das Bild aufgenommen haben und das ist natürlich in so einer Attosekunde gar nicht einfach zu definieren. Was wir deshalb machen
müssen, ist, wir teilen diese Lichtpulse, die wir haben, in zwei und wir starten einen Prozess mit einem Lichtpuls und dann mit dem zweiten Lichtpuls nach einer ganz kurzen Zeit beobachten wir ihn. Und dann bekommen wir ein Bild. Und dann warten wir, bis das System wieder ganz langsam in den Ausgangszustand zurückgeht und fangen das Ganze von vorn an. Das heißt wieder, wir starten unser Experiment mit dem einen Lichtpuls und wir beobachten es mit dem zweiten, aber nach einer anderen Zeit. Und so, indem wir diese Zeit zwischen den zwei Lichtpulsen oder Lichtblitzen, sollte ich eigentlich sagen, variieren, können wir dann eben nach und nach ein Bild aufnehmen. Jetzt hat das Mikroskop eben nicht Tischgröße, wie man sich das so normal vorstellt. Eher so Raumgröße, weil alles in diesen Metallkisten ist und wir viel Elektronik daran haben, um das Ganze zu charakterisieren. Und das Experiment ist natürlich nicht fertig, wenn wir die Daten aufgenommen haben, sondern das Experiment ist fertig, wenn wir die Daten verstanden haben. Das heißt, danach kommt dann oft noch Zusammenarbeit mit anderen Physikern und Physikerinnen um die ganze Welt dazu, die uns dann helfen zu verstehen, was wir eigentlich sehen. Und bis wir das dann vollends verstanden und aufgeschrieben haben, kann das Jahre dauern.
Talk Science to Me: Wie kann ich mir deinen Alltag vorstellen? Bist du sehr viel im Labor? Schraubst du selbst an Dingen herum oder stellst du Sachen ein oder bist du eher mehr am Lesen von Papern und Fachliteratur?
Ossiander: Ich bin gerne im Labor und ich versuche auch immer noch ins Labor zu gehen. Dieses Semester habe ich mich viel der Betreuung von den Studierenden gewidmet und auch neue Lehre konzipiert. Das kostet dann natürlich auch Zeit. Zusätzlich haben wir dann viele von diesen internationalen Zusammenarbeiten angestoßen. Das kostet auch Zeit und deshalb schaffe ich es im Moment oft erst nach vier nachmittags ins Labor. Das ist ein cooler Beruf, weil er sehr vielfältig ist. Wir können eben mit den Studierenden arbeiten, wir können Lehre machen und dann können wir die Laborarbeiten machen und neue Sachen verstehen. Die arbeit schaut dann so aus, dass wir diese experimentellen großen Aufbauten selber bauen. Sie bestehen aus hunderten Teilen. Wir haben eine eigene Werkstatt, die uns viele von den Teilen baut. Und falls wir dann denken wir haben alles zusammen, bauen wir das zusammen. Dann wird es eingestellt. wir schauen wie diese Filme aussehen, schauen, ob die Einstellung passen, dann optimieren wir das - das ist viel wirklich nur in kleinen Schrauben drehen, das machen zum größten Teil inzwischen die Doktorandinnen und Doktoranden. Aber ich versuche eben dann nachmittags und abends oft ins Labor zu gehen, weil es mir furchtbaren Spaß macht an meinem genauen Fachbereich. Dieser Fachbereich, diese Attosekunden-Mikroskopie ist jetzt noch ein Spezialteil. Wir brauchen dazu diese ganz speziellen Meta-Nano-Optiken. Und die stellen wir selber her, weil es niemanden gibt, der die sonst für uns herstellen kann. Und das macht eine Doktorandin in einer Zusammenarbeit mit der Uni Graz und auch einer Zusammenarbeit mit dem ILI in Ungarn. Und das gehört dann auch dazu, dass man da hinfährt und diese großen Werkzeuge der Halbleiterindustrie verwendet, um die Optiken herzustellen, die am Ende dann das Mikroskop ermöglichen.
Talk Science to Me: Wir haben jetzt auch schon einiges über Anwendungsmöglichkeiten für eure Entwicklungen gesprochen, aber du machst ja sehr viel Grundlagenforschung.
Ossiander: Also es ist ja gar nicht trivial, so manchmal eine Beobachtung überhaupt zu beschreiben. Man muss das ja irgendwie in Worte fassen, um darüber nachdenken zu können. vielleicht die Ursache etwas versteht, kann man ja anfangen, über Anwendungen nachzudenken, weil davor wüsste man ja gar nicht, was man anwenden soll. Wenn wir dann in der Grundlagenforschung etwas herausgefunden haben, denke ich, ist die angewandte Wissenschaft natürlich genauso gut, weil wir wollen ja, was wir herausfinden, zum Fortschritt der Menschheit verwenden und auch, dass wir alle irgendwie ein bisschen schöneres Leben haben. Und das ist dann natürlich beides total cool. Einerseits, wenn wir irgendwas Neues verstehen, aber andererseits, wenn man vielleicht auch die Aussicht hat, dass es dann tatsächlich bei den Menschen ankommt. Aber ich denke, wenn wir halt überhaupt nicht den Versuch machen, mehr zu lernen, haben wir später überhaupt keine Ahnung, was wir anwenden können.
Talk Science to Me: Ist das sowas, was dich als als Mensch ein bisschen ausmacht, dass du dich eben für Dinge einfach enorm interessierst, einfach weil sie interessant sind?
Ossiander: Ich glaube schon, ja.
Talk Science to Me: Vielleicht gehen wir da einfach ein bisschen zurück zu deinen Grundlagen: Wo kommt das Interesse her? Wie hat das angefangen bei dir? Kannst du dich vielleicht an den ersten Berührungspunkt mit der Physik erinnern? Oder wo sich das ein bisschen abgezeichnet hat, dass du in die Richtung gehen möchte?
Ossiander: Wenn ich die Geschichte in lustig erzählen muss hatte ich sehr gute Freunde in der Schule. Mit denen haben wir viele Sachen gebaut. Also Mechanik aber auch Elektronik. Wir haben zusammen in einer Band gespielt und wir wollten kein Geld ausgeben. Also haben wir angefangen, eigene Gitarrenverstärker zu bauen. Wir waren deutlich besser im Gitarrenverstärker bauen als in Musik machen, muss man dazu sagen. Das heißt, aus der Band ist langfristig nichts geworden, auch wenn das viel Spaß gemacht hat. Und da hat man dann auch gemerkt, wir hatten Interesse für die Elektronik, aber vielleicht mein Interesse lag noch tiefer. Mich hat dann eher interessiert, wie diese Elektronik funktioniert. Und aus der Band baut jetzt einer Flugzeuge, zwei sind Elektrotechniker und ich bin eben der Physiker. Das heißt, wir decken jetzt, glaube ich, das ganze Gebiet ab. Und so waren die Anfänge. Und dann eben das Interesse war eigentlich immer da. Weil wir schauen diesen ganzen Wust von Daten an und manchmal erwarten wir irgendwas. Und die coolsten Momente sind, wenn was passiert, das wir nicht erwarten. Das heißt, ich würde jetzt gar nicht eine einzige Frage herausheben, sondern was wirklich am coolsten ist, zu schauen in zehn Jahren, was für Fragen stellen wir uns.
Und die coolsten Momente sind, wenn was passiert, das wir nicht erwarten.
Talk Science to Me: Gibt es da irgendeine Entwicklung, an die du jetzt besonders denkst, auf die du dich besonders freust, wo sich neue Fragen daraus ergeben werden?
Ossiander: Also eine coole Entwicklung im letzten Jahr war, dass die Anne Lully, der Ferenc Krauss und der Pierre Agostini einen Nobelpreis bekommen haben. Das ist für die super cool und irgendwie für das Feld war auch schön zu sehen, dass andere Wissenschaftler*innen das interessant finden. Ich glaube, das zeigt auch, dass wir so ein bisschen Erwachsenheit als Feld erreicht haben. Und das zeigt sich auch in den Proben, die wir anschauen können. Weil als ich meinen Doktor angefangen habe, haben wir ganz, ganz fundamentale Proben angeschaut, die vielleicht überhaupt keine technologische Bedeutung haben. Und jetzt langsam werden die Werkzeuge so gut, dass wir eben anfangen können, richtig Transistoren oder kleine Geräte, die irgendeine Funktion haben, anzuschauen. Und das heißt aber eben, wir kommen näher an den Punkt, wo die Messdaten, die wir machen, anwendbar sind. Und dann, ich glaube, die Entwicklung zu sehen, dass das richtig irgendeinen Einfluss auf die Geräte hat, die wir jeden Tag in der Hand haben, das wäre super cool.
Talk Science to Me: Ist das bisher schon?
Ossiander: Das ist schwer, da natürlich eine Linie zu ziehen. Ich glaube, was definitiv schon viel Einfluss hat, ist die Femtosekunden-Chemie. Die ist etwa das Gleiche, was wir tun, aber etwas langsamer. Ist deshalb natürlich auch etwas früher entstanden. Und die Daten, die da rauskommen, sind heute schon relevant im Verständnis von wie so eine farbstoffsensitivierte Solarzelle funktioniert. Und ich denke jetzt, wo man da die Linie zieht, da hört Attosekunden auf und Femtosekunden fängt an, ist schwer. Ich denke, wir fangen an, Einfluss zu haben, ja. Aber die richtig pure Attosekundenphysik, denke ich, eben ist in der Anwendung gerade am Anfang.
Talk Science to Me: Dann können wir ja schon gespannt sein, was danach alles auf uns zukommt. Vielen Dank!
Ossiander: Ja, vielen Dank für die Einladung. Es hat mich voll gefreut. Danke.