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Wasserstoff: „Wir müssen heute ins Tun kommen!“

20.10.2022 | TU Graz news | Forschung | Planet research | FoE Sustainable Systems

Von Birgit Baustädter

Christoph Hochenauer forscht an Hochtemperaturbrennstoff- und -elektrolysezellen. Er sieht den Umstieg auf ein nachhaltiges Energiesystem als „absolut machbar“ und plädiert, endlich ins Tun zu kommen.

Christoph Hochenauer hält den Umstieg auf ein nachhaltiges Energiesystem für „absolut machbar“. Bildquelle: Lunghammer – TU Graz

News+Stories: Das dominierende Thema ist derzeit die Energieknappheit. Wenn ich Sie nun frage, ob wir bereits mit Wasserstoff unsere Autos oder Heizsysteme betreiben können, was sagen Sie dazu?

Christoph Hochenauer: Selbstverständlich kann man bereits heute mit Wasserstoff heizen und Autofahren. Wobei es derzeit nur Kleinstserien und Prototypen an Wasserstoffautos gibt. An der TU Graz haben wir im Kompetenzzentrum HyCentA seit mehreren Jahren zwei Wasserstoffautos, die für den Straßenverkehr zugelassen sind.

Heizen ist das Einfachste. Eine Gasheizung kann mit sehr geringem Aufwand zu einer Wasserstoffheizung umgerüstet werden.

Dieses Interview ist Teil des Dossiers „Grüner Wasserstoff – Hype oder Hoffnungsträger?“, in dem Expertinnen und Experten aus der Wasserstoff- und Energiewirtschaftsforschung an der TU Graz im Laufe des Oktobers 2022 die großen, brennenden Fragen zur Zukunft von (grünem) Wasserstoff beantworten.

Was hindert uns dann an einem breitflächigen Einsatz?

Hochenauer: Die Frage ist nicht, ob man mit Wasserstoff fahren oder heizen kann. Die Frage ist, ob Wasserstoff verfügbar ist. Und das ist er – aber derzeit nur in sehr kleinen Mengen. Für den momentanen Verbrauch reicht es aus. Aber im großen Stil ist er natürlich nicht vorhanden. Und er ist derzeit ökonomisch nicht sinnvoll zu nutzen, weil er noch viel zu teuer ist.

Könnte uns Wasserstoff aber in der derzeitigen Krise nicht Lösungen bieten?

Hochenauer: Wie wir derzeit aufgestellt sind nicht. Wasserstoff wird in Österreich hauptsächlich aus Erdgas hergestellt. Und wenn kein Erdgas vorhanden ist, dann haben wir auch keinen Wasserstoff. Wasserstoff ist ja u.a. ein „Speichermedium für überschüssige Energie“. In Österreich haben wir derzeit keinen Überschuss an nachhaltig produziertem Strom, sondern nach wie vor viele fossile Energieträger, die wir für die Erzeugung von elektrischer Energie benötigen. Also ist der Strom gar nicht vorhanden, um durch Elektrolyse Wasserstoff zu erzeugen. Schon gar nicht, wenn wir eine Energiekrise haben. Derzeit brauchen wir also gar nicht über große Elektrolyse-Kapazitäten in Österreich nachdenken.

Wasserstoff wird in Österreich hauptsächlich aus Erdgas hergestellt. Und wenn kein Erdgas vorhanden ist, dann haben wir auch keinen Wasserstoff.

Was müsste passieren, damit sich das ändert?

Hochenauer: Wir müssen viele Windräder aufstellen, einige Pumpspeicherkraftwerke bauen und großflächig Photovoltaik ausrollen.

Was bedeutet „viele“ und „großflächig“ in diesem Zusammenhang?

Hochenauer: Es wäre absolut ausreichend, wenn jede*r die sinnvollen Flächen seiner Hausdächer mit Photovoltaik-Elementen ausstattet. Bei Windrädern sprechen wir von zusätzlich rund 150 bis 200. Den Platz haben wir locker in Österreich.

Natürlich ist der Umstieg machbar.

Das klingt tatsächlich durchaus machbar.

Hochenauer: Natürlich ist der Umstieg machbar. Wir könnten schon sehr viel weiter sein, wenn wir es einfach tun würden, wenn die Mittel auch in der Forschung und v.a. für die Umsetzung bereitgestellt werden und wir alle an einem Strang ziehen würden. Wir wissen bereits, was zu tun ist.

Sind Sie selbst von Wasserstoff als Speichermedium überzeugt?

Hochenauer: Das hängt sehr stark vom Einsatz und der Ausgestaltung ab. Wenn Strom-Überschuss aus erneuerbaren Quellen vorhanden ist, dann ist der Einsatz von Wasserstoff aus Elektrolyseanlagen überall sinnvoll. Dieser Überschuss wird vor allem im Sommer durch Photovoltaik und bei Stürmen im Frühling und Herbst von Windrädern erzeugt. Mit Wasserstoff können wir diesen Überschuss „in den Winter transferieren“ und dann nutzbar machen. Derzeit wird Wasserstoff aber primär aus Erdgas gewonnen. Da macht es mehr Sinn, direkt Erdgas zu verbrennen und sich die Umwandlungsverluste zu ersparen.

Ansonsten wir der Wasserstoff für Spezialanwendungen genutzt werden, für Raffinerien und für Höchsttemperaturanwendungen. Für alles andere wird er zumindest mittelfristig zu teuer bleiben, sagt mir mein Bauchgefühl.

Welche Missverständnisse gibt es aktuell zum Thema Wasserstoff?

Hochenauer: Eben, dass uns Wasserstoff in einer Energiekrise helfen kann. Das funktioniert natürlich nicht, wenn ohnehin schon zu wenig Energie vorhanden ist.

Man muss dazu vor allem bedenken, dass Energie immer nur von einer Form in eine andere gewandelt werden kann. Und bei jedem Umwandlungsschritt treten zum Teil erhebliche Verluste auf. Bei der Elektrolyse liegt der Wirkungsgrad derzeit bei 50 bis 60 Prozent. Also von 100 Prozent Strom habe ich nach der Elektrolyse noch 60 Prozent Energie in Form von Wasserstoff. Wenn ich Wasserstoff dann mit einer Brennstoffzelle – wieder mit rund 50% Wirkungsgrad - zu Strom wandle, dann bleibt mir schlussendlich noch gerade einmal 30 Prozent der ursprünglichen Energie erhalten. Der Rest von 70% sind Umwandlungsverluste, das sind in der Regel Wärmeverluste, die nicht genutzt werden können.

Sind das auch die großen Themen der Forschung?

Hochenauer. Ja. Die Elektrolysewirkungsgrade müssen massiv steigen. Bei der Hochtemperaturelektrolyse, an der wir am Institut für Wärmetechnik seit vielen Jahren forschen, sind wir bereits bei 80 Prozent. Und auch bei der Speicherung und dem Verteilungsnetz ist noch viel zu tun.

Ich selbst forsche auch an Anwendungen in der Großindustrie. Auch in diesem Bereich ist ebenfalls noch viel zu tun. Denken wir etwa an die Stahlindustrie, in der derzeit hauptsächlich Erdgas als Brennstoff eingesetzt wird. Erdgas verbrennt zu CO2 und H2O – also zu Kohlendioxid und Wasserdampf. Wenn wir als Brennstoff Wasserstoff einsetzen, dann fehlt das CO2 im Rauchgas – es entsteht nur Wasserdampf. Die Frage ist, wie reagiert der Stahl, aber auch Aluminium, auf hohe Wasserdampfkonzentrationen? Wir wissen zum Beispiel, dass Wasserdampf bei 1.000 oder 1.500 Grad ein sehr aggressives Gas ist, das zum Beispiel die Zunderbildung stark beschleunigen kann.

Welchen Platz kann Wasserstoff Ihrer Meinung nach im Energiemix einnehmen?

Hochenauer: Ich glaube, er wird noch länger nur für Nischenanwendungen genutzt werden. Wenn wir aber ins Tun kommen im Bereich der Erzeugung von erneuerbarer elektrischer Energie, dann könnten wir in einigen Jahren so weit sein, dass im Frühling, Sommer und Herbst ein Energie-Überschuss erzeugt wird. Dann müssten wir den nächsten Schritt zünden und die Elektrolyse ausrollen, um den Überschuss an erneuerbarer elektrischer Energie in Form von grünem Wasserstoff speichern zu können. Das könnte aus heutiger Sicht in fünf, sechs, sieben Jahren möglich sein, wenn wir endlich einmal vom Reden ins Tun kommen.

Dieses Forschungsprojekt ist im Field of Expertise „Sustainable Systems“ verankert, einem von fünf strategischen Schwerpunktfeldern der TU Graz.
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Kontakt

Christoph HOCHENAUER
Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn.
Institut für Wärmetechnik
Tel.: +43 316 873 7300
christoph.hochenauernoSpam@tugraz.at