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TU Graz/

„Wir haben keinen direkten Zugang zur Quantenwelt“


von Birgit Baustädter veröffentlicht am 29.10.2025 Forschung

„Wir haben keinen direkten Zugang zur Quantenwelt“

Christoph Heil ist theoretischer Physiker an der TU Graz und beschäftigt sich mit supraleitenden Materialien. Ohne die Quantenphysik wäre seine Arbeit nicht möglich, erzählt er im Interview.
Portrait von Christoph Heil.
Theoretischer Physiker Christoph Heil. Bildquelle: Lunghammer - TU Graz

Sie haben habt gerade ein neues Paper veröffentlicht. Worum geht es darin?

Christoph Heil: Es ist eine Zusammenarbeit mit Ingenieur*innen vom MIT, die an „Superconducting Nanowire Single-Photon“-Detektoren arbeiten. Das sind extrem sensible Detektoren, die in absolut dunklen Räumen zum Teil nur ein Photon pro Tag aufnehmen. Dabei haben sie aber einen sehr geringen „Dark Count“, es kommt also zu keinen Fehlmessungen auf Grund von Umweltbedingungen wie Temperaturschwankungen.

Die Detektoren bestehen aus einem sehr dünnen Draht aus einem supraleitenden Material. In diesen Draht wird gerade so viel Strom geschickt, dass die Supraleitfähigkeit nicht zerstört wird. Wenn nun ein Photon auf den Draht trifft, wird genau an dieser Stelle die Supraleitfähigkeit zerstört und das können wir messen.

Was war Ihr Part in diesem Projekt?

Heil: Wir versuchen, die Materialien für die Nanowires zu verbessern bzw. ihre Auswahl zu erleichtern. Bisher nutzen die Forschenden dazu phänomenologische Modelle, mussten also sehr viele Experimente machen und Materialien ausprobieren. In diesen Modellen sind mehrere variable Parameter eingebaut, die aufwendig aufeinander abgestimmt werden müssen. Wir in Graz arbeiten mit mikroskopischen Theorien, um unsere Supraleiter zu beschreiben, und können so viel einfacher Vorhersagen machen, welche Materialien sich eignen oder wie sie verbessert werden müssten – ganz ohne Parameter, die angepasst werden müssen.

Wir wollen aber nicht nur ein geeignetes Material für diese Anwendungen finden, sondern auch unsere Modelle weiterentwickeln. Vor allem ist die Verknüpfung unserer mikroskopischen mit der makroskopischen Welt, in der wir leben, noch sehr schwer herzustellen. Wir arbeiten auf der Skala von einzelnen Atomen, ein Detektor zum Beispiel besteht aus Millionen von Milliarden von Atomen.

Gibt es außer den Detektoren noch andere Anwendungsmöglichkeiten für eure Modelle?

Heil: Ja. Wir könnten sie zum Beispiel auch für Q-Bits in Quantendevices einsetzen.

Sie arbeiten ja selbst nicht in der Quantenphysik, aber sie hat einen sehr großen Einfluss auf Ihre Forschungsarbeit, oder?

Heil: Ohne das Verständnis von Quantenphysik wäre nichts von dem, was ich mache, erklärbar oder es würde gar nicht funktionieren. Dass Elektronen diskrete Energiezustände einnehmen, Halbleitermaterialien eine Bandlücke besitzen, etc., ist die Grundlage für LEDs, MRTs bis hin zur Definition unserer Sekunde – fast jeder Aspekt der modernen Technik basiert auf Quantenphysik.

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TU Graz-Experimentalphysiker Martin Schultze erklärt die Quantenphysik.

War das Verständnis von Quantenphysik wichtig, um diese Dinge zu entwickeln oder steckt überall Quantenphysik drinnen, weil sie einfach die Basis unserer Welt ist?

Heil: Es ist schwer zu sagen, was passiert wäre, wenn wir die Quantenphysik nie entwickelt hätten. Gewisse Effekte hat man natürlich auch schon davor gesehen, aber halt nicht erklären können. Die Quantenphysik ist eine extrem effektive und erfolgreiche Theorie. Sie macht Vorhersagen, die wir beweisen können. Sie ist die am genauesten und am besten überprüfte Theorie derzeit.

Aber natürlich sehen wir die Quanteneffekte in unserer makroskopischen Welt nicht direkt, weil sie auf der kleinsten aller Ebenen stattfinden. Deshalb wirkt das Thema oft abgehoben, wild und unschlüssig. Das ist es aber nicht – eigentlich ist die Quantenphysik sehr kohärent und wunderschön. In diesem Jahr (Anm. 2025) ist der Nobelpreis an die Physiker John Clarke, Michel H. Devoret und John M. Martinis vergeben worden, die wegweisende Experimente designt haben, die quantenmechanische Effekte auf makroskopischer Skala zeigen.

Quanten können zwei Zustände gleichzeitig einnehmen, aber eine Katze kann nicht gleichzeitig tot und lebendig sein.
(Christoph Heil)

Aber verstehen wir die Quantenphysik wirklich?

Heil: Das hängt stark davon ab, wie wir „verstehen“ definieren. Die praktischen Aspekte verstehen wir sehr gut. Es gibt ein mathematisches Konstrukt, das uns Vorhersagen ermöglicht, mit dem wir Ergebnisse berechnen und alles überprüfen können. Diese Vorhersagen passen exakt dazu, was uns Messungen zeigen.

Meinen wir aber „verstehen“ aus philosophischer Sicht, dann wird es schwer. Weil sich, wie gesagt, Quanteneffekte nicht in der direkten Alltagswelt manifestieren und wir Menschen keinen direkten Zugang zur Quantenwelt haben. Das sieht man an dem Gedankenexperiment Schrödingers Katze. Damit wollte der Physiker Schrödinger zeigen, wie absurd es ist, Quanteneffekte auf eine makroskopische Alltagsebene umzulegen. Quanten können zwei Zustände gleichzeitig einnehmen, aber eine Katze kann nicht gleichzeitig tot und lebendig sein.

Quantenmechanik ist eine Theorie der Wahrscheinlichkeit, Zustände überlagern sich und wir können berechnen, wie sich dieses System über die Zeit verhält. Wenn man jetzt aber eine Messung macht, dann misst man ganz plötzlich nur ein Ereignis. Das kennen wir unter dem Begriff „Collapse of the wave function“. Dass etwas so plötzlich passiert, sich das Teilchen also instantan für einen der möglichen Zustände entscheidet, das mögen wir Physiker*innen eigentlich gar nicht gerne. Wie das zu deuten ist, gehört für mich eher in die Philosophie und Metaphysik. Doch auch ohne vollständige philosophische Deutung können wir mathematisch beschreiben, was passiert. Und dieses Wissen können wir für unsere Arbeit praktisch nutzen und zB numerisch, also mit leistungsstarken Computern, darstellen.

Meinen wir aber „verstehen“ aus philosophischer Sicht, dann wird es schwer. Weil sich, wie gesagt, Quanteneffekte nicht in der direkten Alltagswelt manifestieren und wir Menschen keinen direkten Zugang zur Quantenwelt haben.
(Christoph Heil)

Wenn wir die Quantenphysik nun aber nicht umfassend verstehen, kann es nicht zu Problemen kommen, wenn wir sie bei der Entwicklung von wichtigen Dingen nutzen?

Heil: Diese Frage ist absolut berechtigt. Aber es hat eben zwei Seiten. Wir verstehen absolut, was da passiert, wir können es sehr klar berechnen. Wir haben gute Regeln, um die Welt im Kleinsten zu beschreiben. Und diese Vorhersagen sind schon sehr häufig bestätigt worden. Es besteht also keine Gefahr, dass etwas passiert, das wir nicht vorhersagen können im Bereich der Quantenmechanik. Das ist die praktische Seite, die sehr gut abgedeckt ist.

Was wir nicht ganz verstehen, ist die philosophische Seite – was das Konstrukt der Quantenphysik für unser Verständnis der Welt bedeutet. 

Natürlich wissen wir aber auch, dass die Quantenmechanik ihre Grenzen als physikalische Theorie hat und es Aspekte gibt, die wir vielleicht nie beschreiben werden können.

Wo sind die Grenzen?

Heil: Die Quantenphysik beschreibt die kleinsten Bausteine unserer Welt auf mikroskopischer Ebene. Die Relativitätstheorie – die zweite wichtige Theorie unserer Welt – beschreibt im Gegensatz dazu die Welt auf einer ganz großen Skala. Sie verbindet Raum und Zeit, zeigt, dass sich dieses Konstrukt wölbt und verändert. Das Problem ist, dass wir diese beiden Theorien nicht leicht vereinheitlichen können. Es gibt zwar sehr vielversprechende Ansätze, die aber wenige überprüfbare Vorhersagen machen. Vielleicht werden wir sie sogar niemals experimentell nachprüfen können.

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Christoph Heil erklärt Supraleiter.

Ist das ein Problem?

Heil: Ich habe einen pragmatischen Zugang: Meiner Meinung nach ist das eher wieder eine Frage der Metaphysik oder Philosophie und nicht der praktischen Physik. Was muss eine Theorie eigentlich leisten? Für mich muss sie belegbare Vorhersagen machen, wodurch sie uns in unserem Forschungsfeld weiterbringen kann.

Verstehen Sie, warum Esoteriker*innen die Quantenphysik für Erklärungen hernehmen?

Heil: Unsere Konzepte wirken oft sehr abstrakt und ich verstehe durchaus, dass da gewisse Begriffe leicht aus dem Zusammenhang gerissen werden können. Das ist die Gefahr der Esoterik. Wenn ich zum Beispiel von Energie oder Schwingungen spreche, dann sind das messbare physikalische Größen. Sie haben nichts mit einer Aura oder ähnlichen Dingen zu tun.

Ich verstehe aber das Bedürfnis von Menschen, eine Erklärung für Dinge zu finden, die sie nicht erklären können. Früher hat man das Magie genannt, und auch die Quantenphysik wirkt oft magisch und entgegen allem, was wir aus unserem Alltag wissen. Wenn man nicht vorsichtig ist, dann schwappt das in die Esoterik über. Das ist auch zum Beispiel mit der Astrologie so. Bezogen auf die Anziehungskraft hat zum Beispiel die Position der Ärzte und Hebammen wesentlich mehr Einfluss auf das Baby bei der Geburt als etwa die Sterne in einem weit entfernten Sternbild. Aus den Personenbewegungen werden keine Charts gebaut, die Aussagen über die Zukunft machen.

Wir arbeiten natürlich nicht mit Magie, Beschwörungen oder Zauberformeln. Die Quantenmechnik ist die vielleicht erfolgreichste Theorie, die wir derzeit haben und sie steht auf den Fundamenten der Mathematik. Ich würde sie mit der Grammatik vergleichen, die die Regeln der Sprache vorgibt.

Podcast-Interview mit Christoph Heil zum Thema Supraleiter.