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#16: Sonja Wogrin

10.08.2023 |

Von Birgit Baustädter

Sonja Wogrin ist Professorin an der TU Graz und leitet das Institut für Elektrizitätswirtschaft und Energieinnovation.

Sonja Wogrin. Bildquelle: Lunghammer - TU Graz

Der folgende Text ist ein wörtliches Transkript der Podcastfolge.

Talk Science to Me – der Wissenschaftspodcast der TU Graz

Hallo und herzlich Willkommen bei Talk Science to Me, dem Wissenschaftspodcast der TU Graz. Ich bin Birgit Baustädter und darf heute Sonja Wogrin bei mir begrüßen. Sie ist Professorin an der TU Graz und leitet das Institut für Elektrizitätswirtschaft und Energieinnovation. Und sie ist Sprecherin des kürzlich gegründeten Research Centers Energetic.

News+Stories: Liebe Frau Prof. Wogrin – vielen Dank, dass Sie heute da sind und meine Fragen beantworten! Sie sind Leiterin des Instituts für Elektrizitätswirtschaft und Energieinnovation und sind auch Sprecherin des neu an der TU Graz etablierten Research Centers Energetic. Können Sie mir kurz über Ihre Arbeit erzählen? Was machen Sie? Und was ist Elektrizitätswirtschaft und Energieinnovation?

Sonja Wogrin: Zuerst einmal Danke für die Einladung! Ich freue mich sehr, dass ich hier sein darf. Über meine Arbeit etwas erzählen. Ich habe den coolsten Job auf der ganzen Welt. (lacht) Bin so froh, dass ich den machen darf. Im Prinzip beschäftigt sich meine Arbeit hauptsächlich damit, Energiesysteme abzubilden, zu modellieren, zu analysieren. Und auch in die Zukunft zu schauen, wie wir denn Klimaneutralität und zukünftige Nachhaltigkeitsszenarien erreichen können tatsächlich. Und das machen wir mit Modellen, so digitale Zwillinge unserer Energiesysteme. Und mit denen können wir verschiedene Entwicklungsszenarien durchspielen, bevor wir sie tatsächlich in der Realität bauen. Und die bewerten wir nicht nur technologisch, also, welche Leitungen man ausbauen müsste, wie viele PV-Anlagen bräuchte man in Österreich, wie viele Windräder? Sondern auch ökonomisch bewerten. Das heißt, wir schauen uns auch neue Investitionen an – sind die wirtschaftlich? Sind die profitabel? Denn wir leben in einem liberalisierten Elektrizitätsmarkt. Das heißt, wenn eine Investition nicht profitabel ist, wird sie wahrscheinlich so auch nicht kommen. Das heißt, wir leben im Durchschnitt der technischen und wirtschaftlichen Realitäten.

Es ist total schön, wenn man sagen kann, man hat den coolsten Job der Welt. Was macht das für Sie zum coolsten Job der Welt?

Wogrin: Wissen Sie, ich habe in der Vergangenheit öfter schon die Chancen gehabt, Consulting zu machen. Hätte auch nach dem Studium Angebote gehabt, von der Boston Consulting Group zum Beispiel. Und meine Schwägerin arbeitet bei McKinsey. Und jetzt nichts gegen Consulting Firmen, aber für mich war einfach dieses Sich-auf-ein-Problem-Konzentrieren und genug Zeit haben, um das wirklich in die Tiefe zu analysieren. Und um jeden Tag ein neues Problem, ein neues Rätsel lösen zu können. Das macht für mich einfach die Forschung und das universitäre Leben so spannend. Es ist nicht immer das gleiche Excel-Sheet oder der gleiche Ablauf. Es ist jeden Tag ein neues Problem. Und wenn man einmal alle Probleme gelöst hat, erfindet man sich selbst ein neues, das man lösen kann. Das ist der Luxus, den man hat. Und das ist etwas, das mir super viel Spaß macht.

Welche Rätsel und Probleme tauchen da so in Ihrem Alltag auf?

Wogrin: Zum Beispiel, wie man Speichertechnologien in Modellen darstellen kann. Also die haben eine zeitliche Komponente. Eine Speichertechnologie in einem mathematischen Optimierungsmodell kann ich Ihnen ganz leicht erklären. Haben Sie nicht gefragt, sage ich Ihnen aber trotzdem. Und zwar ist es mehr oder weniger die Energiemenge, die ich in dieser Stunde jetzt habe, ist die Energiemenge, die ich letzte Stunde in meiner Batterie zum Beispiel hatte. Plus, was ich geladen habe. Minus, was ich entladen habe. Und so etwas darzustellen über Stunden oder Jahrzehnte hinweg – zum Beispiel, wie entwickelt sich ein Wasserspeicher über das Jahr hinweg – das braucht einen großen Detailgrad. Da werden Modelle sehr schnell wirklich groß. Und dann führt es zu computational intractabilities. Also, dass unsere Modelle nicht mehr gelöst werden können mit den Computern, die wir haben. Und dann muss man den Zeithorizont reduzieren und sich vielleicht auf nur ein paar Tage beschränken, die man rechnerisch lösen kann. Und dann ist es schwierig Langzeit-Dynamiken abzubilden. Und eine der Sachen, mit denen ich mich beschäftigt habe und die mir sehr viel Spaß bereitet haben, ist, wie man sinnvoll tatsächlich Langzeit-Dynamiken darstellen kann, auch wenn man nur ein paar konkrete Tage anschaut. So etwas zum Beispiel.

Wofür braucht man diese Modelle?

Wogrin: Ich würde sagen, wir brauchen diese Modelle dafür, weil wir in Österreich, in Europa, auf der ganzen Welt eigentlich, einen ambitionierten Weg eingeschlagen haben und gesagt haben, Climate Change is real, it´s not fake news. Und da wollen wir etwas dagegen tun. Das ist keine nachhaltige Entwicklung, die wir als Gesellschaft so haben, und wir wollen da etwas ändern. Und unsere Energiesysteme sind quasi der Kernpunkt, wo wir CO2-Emissionen haben und wo wir etwas ändern müssen. Die Frage ist nur, wie sollen wir das ändern? Hier geht es ja um Infrastrukturen und um extreme Geldsummen. Ein Kraftwerk zu bauen, das ist nicht günstig, das ist nicht billig. Da geht es um sehr viel Geld, um lange Zeithorizonte um so etwas zu bauen. Und dann ist die Frage, wenn wir es dann gebaut haben, ein Wasserkraftwerk zum Beispiel braucht meistens, sagen wir einmal, 70 Jahre bis man vielleicht seine Investitionskosten wieder herinnen hat. Also, so teuer sind die. Da muss man sich schon gut überlegen, ob man das machen möchte, oder nicht. Und mathematische Modelle, oder Simulationsmodelle, sind dafür da, dass wir Zukunftsszenarien durchspielen können. Und schauen, wie wirkt sich das denn aus? Wie viele Investitionen brauchen wir denn eigentlich? Wie viel Ausbau bräuchten wir? Ginge es auf eine andere Art und Weise auch? Sodass wir verschiedene Optionen haben, die wir dann bewerten können und uns als Gesellschaft bewusst zu einer committen können.

Das heißt, es geht in Ihrer Arbeit auch sehr stark darum, nicht nur, wie kann ich grüne Energiesysteme implementieren, sondern auch, wie wirtschaftlich sind die und was macht dann wirklich nachhaltig Sinn?

Wogrin: Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Punkt, den man nicht außen vor lassen darf. Weil, besonders in der aktuellen Situation in Österreich, wo wir einen Energy-only-Markt haben, das heißt, Firmen sind miteinander im Wettbewerb und verkaufen elektrische Energie, und es gibt hier keine zusätzlichen Zahlungen für installierte Leistungen. Wenn Sie jetzt ein Kraftwerk haben, dann verkaufen Sie die Energie, aber Sie bekommen keine zusätzlichen Zahlungen einfach dafür, dass Sie da sind. Wenn wir jetzt unser Energiesystem umbauen und ganz viele Erneuerbare im System haben, noch mehr, als wir jetzt schon haben, und dann Energiepreise in Richtung Null gehen würden – ich weiß, das ist in der momentanen energiepolitischen Situation ein bisschen ein Stretch, dass wir sagen, die Preise gehen dann gegen Null – aber wenn es so wäre, wie bekomme ich meine Investitionskosten zurück? Wenn ich am Markt null Euro für meine Megawattstunde bezahlt bekomme? Das heißt, da muss man sich schon anschauen, wird das so in diesem Maße passieren? Ein konkretes Beispiel wären Speichertechnologien. Wir reden in Österreich viel über die Klimaneutralität und über den erneuerbaren Strom. Und man muss da aber auch dazu sagen, dass der erneuerbare Strom auch Herausforderungen mit sich bringt, denn er ist nicht planbar. Ich kann einer Sonne nicht sagen: Bitte scheine ein bisschen mehr, ich möchte gerade mein Handy anstecken. Und das muss man eben ausgleichen. Das heißt, man bräuchte Speichertechnologien, um zu sagen, jetzt habe ich gerade Sonne, ich lade eine Batterie auf. Und dann später, wenn ich keine Sonne mehr habe, beziehe ich den Strom aus der Batterie. Dann braucht man diese Speichertechnologien. Wir brauchen sie im Österreichischen System, um Überschuss-Energie vom Sommer in den Winter zu schieben, wo wir dann vielleicht auch mehr Wärmebedarf haben etc. Wenn so eine Batterie oder ein Großspeicher, der Energie vom Sommer zum Winter verschiebt sich nicht rechnet, wird ihn keiner bauen. Wenn ihn keiner baut, dann haben wir ihn nicht. Und wenn wir ihn nicht haben, dann haben wir keine Energiewende. Deswegen ist immer nicht nur die technologische Machbarkeit, sondern auch die wirtschaftliche Machbarkeit anzusehen in diesen Fällen. Das ist ganz wichtig.

Sie haben jetzt sehr viel über das österreichische Energiesystem gesprochen. Aber es ist ja jetzt nicht so, nur weil ich in Österreich mein Handy an einer Steckdose anstecke, dass da auch Strom rauskommt, der in Österreich produziert worden ist. Wie spielt das gesamteuropäisch zusammen?

Wogrin: Ich glaube, besonders seit dem Ukraine-Konflikt merken wir in Österreich ganz genau, dass wir keine Insel der Seligen sind. Und ich finde das super, dass Sie das wissen zum Beispiel, dass der Strom, der aus der Steckdose kommt, nicht unbedingt in Österreich erzeugt worden ist. Wir sind sehr, sehr abhängig. Aber ich glaube, das hat auch sehr gute Seiten. Zum Beispiel: Wenn in Norddeutschland viel der Wind bläst und wir gute Übertragungsleitungen von Deutschland zu uns haben, dann könnten wir das in Österreich nutzen. Also eigentlich ist die intereuropäische Vernetzung durch Leitungsausbau eine der günstigsten Optionen zum Erreichen der Klimaneutralität. Also auf den Megawatt runter gerechnet ist es viel billiger, Leitungen zu bauen, als Kraftwerke zu bauen. Natürlich kommen hier politische Überlegungen auch wieder ins Spiel. Denn ich kann nicht einfach in Österreich entscheiden, ich baue jetzt eine Leitung nach Deutschland. Da muss ja jeder sich einig sein. Und es gibt hier Gewinner und Verlierer. Zum Beispiel: Wenn in Deutschland sehr viel billiger erneuerbarer Strom produziert wird und der nach Österreich verkauft wird, dann freuen sich die deutschen EVUs, weil die können so den Strom teurer in Österreich verkaufen als in Deutschland. Die Österreichischen Konsumenten freuen sich auch, weil dadurch beziehen sie billigeren Strom, den sie in Österreich alleine sonst teurer hätten kaufen müssen, als wenn er von woanders gekommen wäre. Die deutschen Konsumenten freuen sich vielleicht nicht so sehr, weil dadurch wird deren Strom ein bisschen teurer. Eventuell könnten sich die österreichischen EVUs auch nicht freuen, weil sie durch einen intereuropäischen Wettbewerber quasi ausgestochen worden sind. Also ich sage es jetzt überspitzt: Zwischen Frankreich und Spanien ist das sehr, sehr extrem. Da gibt es sehr wenig Übertragungskapazität im Hochspannungsnetz. Und der Grund dafür ist, dass es in Spanien Interessensvertreter gibt, die das nicht wollen. Und dann passiert es auch nicht. Oder es ist sehr schwierig auf jeden Fall. Aber in der Zukunft glaube ich muss man besonders als Europäische Union in diese Richtung denken. Dass man sich besser vernetzt, um so auch das Aufkommen von Erneuerbaren besser verteilen zu können. Die europäische Komponente ist hier ganz wichtig. Und jetzt habe ich nur über Strom geredet. Aber Gas ist wieder ein anderes Thema. Und für uns besonders als Österreich besonders interessant. Denn wir haben ja keinen Meer-Zugang. Aber wie schaut es aus mit Gas? Woher bekommen wir Gas? Aus Pipelines. 80 Prozent des Erdgases, das wir in Österreich verwenden, kam vorm Ukraine-Konflikt aus Russland. Wir haben keine Chance, einen Terminal zu bauen, weil wir kein Meer haben. Wir bekommen also Gas aus Pipelines. Da muss der Rest von Europa mitspielen. Wenn es jetzt nicht mehr aus Russland kommt, sondern von Deutschland zum Beispiel, was im Moment historisch nicht der Fall war. Historisch floss das Gas durch Österreich durch von Osten nach Westen. Und nicht umgekehrt. Dann ist das auch eine europäische Entscheidung. Die Deutschen müssen sich auch dazu entscheiden, dass sie dieses Gas dann zu uns schicken. Und woher das Gas kommt dann aus Deutschland, das ist wieder dann die nächste Frage. Also da muss man sich dann wahrscheinlich europäisch auf eine Energiestrategie einigen was das Gas anbelangt, was man da für Pläne hat.

Das war eine Frage, die ich vorher auch schon stellen wollte: Wenn Sie von Energiesystemen sprechen geht es nicht rein um elektrischen Strom.

Wogrin: Nein. Also im Generellen, wenn wir von Energiesystemen oder der Dekabonisierung von Energiesystemen reden, dann geht es immer um Strom. Aber Strom ist meistens nur 20 oder 30 Prozent des Energiekuchens. Dann haben wir Transport, Wärme, Industrie, etc. Und verschiedene Sparten zu dekabonisieren kann schwieriger oder leichter sein. Der Stromsektor ist eigentlich, meines Erachtens einer der leichtesten Sektoren, um ihn zu dekabonisieren. Weil wir haben Wasserkraft, Photovoltaik, Wind. Wenn wir jetzt an den Transport denken wird das schon ein bisschen schwieriger, weil der Personenverkehr meistens mit Diesel- und Benzinbetriebenen Autos passiert. Und es gibt natürlich die Option für E-Autos zum Beispiel, aber sehr viele Dekabonisierungsszenarien führen zur massiven Elektrifizierung von Transport, Wärme, etc. Und das hat schon eine extrem große Auswirkung auf den Stromsektor, der für mich ein bisschen das Herzstück der Energiewende ist. Da sind sicher nicht alle meiner Meinung. Aber als Professorin für Elektrotechnik an der TU Graz bin ich da natürlich highly biased, aber es wird sehr viele elektrifiziert werden. Bei Wärme gibt es auch eine Möglichkeit. Von der Gastherme umzusteigen auf die Wärmepumpe. Hier würde man die Sektoren Gas und Wärme koppeln oder miteinander vertauschen. Ich brauche kein Gas mehr. Ich beziehe elektrische Energie und durch die produziere ich Wärme. Aber überall ist das natürlich nicht so einfach möglich. Wie bei industriellen Prozessen zum Beispiel: Stahlherstellung, Stahlerzeugung. Da ist es nicht so einfach zu sagen: Ich elektrifiziere das jetzt. Also hier kommen sicher noch große Herausforderungen auf uns zu. Gott sei Dank haben wir sehr gute Wissenschafter an der TU Graz und im Research Center Energetic, die sich genau mit diesen Themen befassen, und die dann hoffentlich auch lösen werden. Oder sagen wir einmal, ganz sicher lösen werden. Aber so gehen wir diese Herausforderung an. Einiges wird elektrifiziert und für andere Sachen müssen noch Lösungen gefunden werden.

Auf die Arbeit im Research Center Energetic möchte ich später noch zurückkommen. Was mich jetzt noch interessieren würde: Sie haben schon gesagt, der Stromsektor ist das Herzstück der Klimaneutralität und der Dekabonisierung. Warum? Ist das so der Weg, der die meisten Einsparungen bringt?

Wogrin: Es kommt immer drauf an. Das ist immer eine gute Antwort, die ich meinen Studierenden auch immer sage. Elektrische Energie kann man einfach so effizient transportieren. Wie Sie selbst gesagt haben: Wenn Sie hier an der Steckdose etwas anstecken, dann kommt der Strom vielleicht aus Tschechien oder aus Deutschland. Von sehr weit her. Und das passiert beinahe instantanious. Wenn Sie Gas transportieren, also Energiemengen transportieren über Gas, dann dauert das natürlich länger, weil das träge ist. Wenn Sie Öl transportieren wollen, dann brauchen Sie vielleicht einen Frachter, ein Schiff, das ist auch träge. Also allein der Transport der elektrischen Energie ist extrem effizient. Also für mich, dass dieses System funktioniert ist ein Wunder der Technik. Wirklich. Ich finde es richtig cool. Wenn man sich das anschaut und weiß, wenn Erzeugung und Verbrauch von elektrischer Energie nicht absolut identisch sind, also wenn die Abweichungen hier einen gewissen Rang überschreiten, dann bricht unser System zusammen. Und in Österreich glaube ich, sind wir dran gewöhnt, dass unser System fast nie zusammenbricht. Wir haben eines der stabilsten Systeme weltweit. Aber, dass das funktioniert ist so genial! Das ist genial aufgebaut durch Ingenieure, die sich wirklich tolle Sachen überlegt haben, von Maschinen, Maschinendesign, aber auch durch einen Markt, der so organisiert ist, dass er gewisse Schwankungen, Flexibilitäten ausgleichen kann. Ich liebe das Elektrizitätssystem, aber es ist für mich auch deshalb das Herzstück, weil der Elektrizitätssektor ein Sektor ist, den man sehr leicht mit anderen austauschen kann. Ein Universal-Fix. Nicht für alles, aber für sehr vieles. Also zum Beispiel für Transport. Auch für Wärme. Und auch für Industrie. Und ich glaube, es gibt wenige Sektoren, die das über sich sagen können. Dass sie wirklich überall mitmischen können.

Wenn Sie sich jetzt das Energiesystem der Zukunft vorstellen, wie schaut das aus? Also vermutlich sehr stromlastig quasi.

Wogrin: Ich glaube, es wird sehr stromlastig werden. Definitiv. Ich träume mal und ich glaube, es wird auch ziemlich Science Fiction-smart werden. Ich glaube an Demand-Side-Management, an Smart-Technologien. Ich weiß nicht, wie alt Sie sind – ich frage Sie nicht, weil ich bin ja eine Dame. Aber ich kann mich erinnern, als ich jung war, hat mein Telefon nicht gesagt: Ach übrigens – du fliegst morgen da und da hin und das Wetter ist so und so, also pack einen Regenschirm ein. Da hatte ich nicht einmal ein Handy. Man hätte sich nie vorstellen können, dass unsere Smartphones, unsere Telefone, jetzt das alles machen, was sie jetzt tun. Die ersetzen Rechner zum Teil. Die Technologie entwickelt sich hier so schnell und ist so genial. Also hier ist sehr viel Luft nach oben glaube ich. Und ich denke mir schon, dass in der Zukunft es ohne weiteres passieren könnte, dass mein Smarthome mir sagt: Vielleicht kochst du eine halbe Stunde später. Oder: Bis wann möchtest du die Wäsche gewaschen haben? Ah, bis da. Ok passt, mache ich. Kein Problem. Und, dass wir dadurch das System weniger belasten. Dass wir elektrische Energie verwenden, wenn sie da ist. Zum Beispiel, wenn die Sonne viel scheint und wir vielleicht sowieso einen Überschuss haben. Und ich glaube, das muss automatisiert werden. Denn, dass wirklich jeder Mensch zu Hause sitzt und schaut, wie schaut gerade der Strompreis aus? Sollte ich das so machen oder nicht? Das ist unrealistisch. Ich glaube, wir brauchen da ganz viel smarte Technology. Ganz viel erneuerbaren Strom-Ausbau natürlich. Ganz viel Elektrifizierung. Aber, das ist nur eine Seite des Kuchens. Und eine andere, die ganz, ganz wichtig ist und vielleicht noch sogar wichtiger ist, dass sich in den Köpfen der Leute etwas ändert. Weil, die Klimaneutralität und unsere Zukunft, wenn wir wirklich etwas gegen den Klimawandel machen wollen, ist es mit Änderungen verbunden ist. Und zwar radikalen Änderungen. Und niemand mag Änderungen. Als Menschen sind wir so designed, dass jede Änderung eine gewisse Art von Abscheu in uns hervorruft. Man ist träge und möchte sich nicht ändern. Aber ich glaube, es ist sehr wichtig, dass wir über das nachdenken und, dass wir uns wirklich dazu bekennen, dass wir das machen wollen. Und wer A sagt muss auch B sagen. Also, es ist für mich nicht in Ordnung zu sagen: Ja ja, Klimaneutralität. Aber ich will sie nicht sehen und ich will sie nicht zahlen und ich will sie nicht hören und ich will absolut nichts ändern von dem, was ich tue. Und will mit meinem Auto weiterhin die 50 Meter zum Geschäft fahren. Das ist nicht konsistent meiner Meinung nach. Und natürlich ist es schwierig, alles schnell zu ändern. Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass wir in Österreich, in Europa ein Umdenken haben und versuchen, nachhaltiger zu leben. Und, dass es nicht nur etwas ist, wo wir sagen, wir machen weiter wie bisher und die Wissenschafter werden schon irgendetwas effizientes entwickeln, sodass das alles funktioniert, sondern, dass man auch ein Teil der Lösung wird. Ich glaube, dass das super wichtig ist.

Wie leben Sie selbst?

Wogrin: Wie lebe ich selbst? Ich habe eine Wärmepumpe. Aber das ist natürlich auch ein Glück, weil ich mein eigenes Haus besitze. Das heißt, ich habe die Wärmepumpe installiert. Ich habe angesucht bei den Energienetzen Steiermark für meine Photovoltaikanlage. Die Zusage habe ich schon bekommen. Jetzt muss ich sie noch bauen. Ich fahre mit dem Rad in die Arbeit und bringe auch die Kinder in die Schule und in den Kindergarten mit meinem – ich bin super stolz – super tollen E-Lastenfahrrad, das hinten so einen langen Sitz hat, wo meine beiden fünf- und sechsjährigen Mädels drauf passen. Ich habe natürlich Glück, weil ich wohne drei Kilometer von meinem Arbeitsplatz entfernt. Das ist ein extremes Glück. Aber ich muss auch sagen, dass ich gestern zum Beispiel auch mit dem Rad unterwegs war, obwohl es geschüttet hat. Und meine Kinder sind da ganz süß, weil ich denen versuche mitzugeben was ich arbeite, was ich tue, welche Themen mich beschäftigen, wie wichtig mir das Klima ist, wie schön ich die Windräder finde, die ich auf den Bergketten Richtung Kärnten sehe. Und denen erkläre ich, dass es halt nicht so gut ist, mit dem Auto zu fahren, weil Emissionen und nicht so toll. Und deswegen fahren wir mit dem Rad. Und wenn es dann einmal schüttet draußen und ich sage, wir sollten mit dem Auto fahren, dann ist es meine sechsjährige Tochter, die zu mir sagt: „Aber Mama! Autofahren ist schlecht fürs Klima! Fahren wir mit dem Rad.“ Und man denkt sich: „Ich mag eigentlich nicht!“ Aber da hat mich meine sechsjährige Tochter schon einige Male überredet, dass ich mir dann meinen neongelben, hässlichen Regenponcho anziehe und dann mit den Kindern mit dem E-Bike im strömenden Regen in die Arbeit und in die Schule fahre. Es geht auch. Und wissen Sie, mich freut das dann, weil ich weiß, es freut die Kinder, dass sie irgendwie Teil an dem ganzen haben. Und das ist jetzt ein konkretes Beispiel und ich möchte auch dazu sagen, ich möchte niemanden shamen. Also kein carbon shaming. Jeder hat seine eigene Situation. Oft ist es einfach nicht möglich, dass man mit dem Fahrrad fährt, wenn man weit draußen wohnt und dann mit dem Auto reinfahren muss, dann ist es nicht möglich. Ich bin selbst ein Landkind, ich weiß, wie es ist. Aber ich glaube, man kann auch sehr viele Ausreden für sich selbst finden. Und jeder muss sich da ein bisschen selbst an die Nase fassen und schauen, was man tun kann.

Was müsste sich dann abseits von dieser persönlichen Einstellung noch tun? Also, welche großen Herausforderungen gibt es, denen Sie als Forscherin gegenüberstehen?

Wogrin: Ich glaube, ein wichtiges Problem, das es rasch zu lösen gibt, sind bürokratische Probleme. Im Ausbau der Erneuerbaren zum Beispiel. Also Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren, Genehmigungsverfahren für Flächen für Ausbau von Erneuerbaren. Da kann es schon leicht einmal zehn Jahre dauern, bis man eine Freileitung bauen kann. Wie wir vorher geredet haben: Diese Leitung nach Deutschland – wenn wir das heute angehen würden und es genehmigt bekommen wollen, dann suchen wir heute an und vielleicht in zehn Jahren bekommen wir das genehmigt. Haben wir diese zehn Jahre? Es sei dahingestellt, ob wir sie haben oder nicht, aber es dauert einfach extrem lange. Und dasselbe passiert auch mit dem Ausbau von Kraftwerken. Viele EVUs sind willig zu bauen. Die möchten. Die sehen auch, dass sie müssen. Aber natürlich müssen die durch einen gewissen rechtlichen Prozess auch gehen. Und natürlich als Österreicherin und Bergliebhaberin verstehe ich natürlich, dass Naturschutz sehr wichtig ist. Aber man muss sich hier als Bevölkerung auf einen Konsens einigen, weil im Moment sagen wir gerade, wir brauch Klimaneutralität und das und das müsste passieren. Aber andererseits haben wir Instrumente, die das ganze einfach unmöglich machen in dieser Zeit. Und ich glaube, da brauchen wir einen offenen Diskurs als Bevölkerung, dass wir uns entscheiden, was tun wir denn. Also das müsste auf jeden Fall passieren. Dass man gewisse Sachen agiler macht.

Jetzt ist vor wenigen Wochen das Research Center Energetic eröffnet worden. An welchen Punkten oder an welchen Schrauben will man da in der Forschung ansetzen?

Wogrin: An ganz vielen. Das Research Center ist ein interdisziplinäres Konstrukt, wo wirklich aus jeder Fakultät der TU Graz Wissenschafter*innen mit dabei sind. Wir haben Bauingenieur*innen, Architekt*innen, Mathematiker*inne, Physiker*innen, Geodät*innen, Elektrotechniker*innen, Maschinenbauer*innen, Informatiker*innen, Chemiker*innen, Verfahrenstechniker*innen, ... Ich hoffe, ich habe keine Fakultät vergessen. Und das ist genau der Ansatz, den wir brauchen. Weil, die Energiewende ist halt einfach kein Problem, das nur eine Disziplin lösen kann. Alleine eine Wärmepumpe. Das ist eine Maschine. Die muss irgendjemand bauen. Die muss jemand designen. Die kann vielleicht noch effizienter werden, damit man wirklich alles rausholt an Effizienz, was man haben kann und noch weniger Energie braucht, um sie zu betreiben. Hier hätten wir die Core Research Area #3. Das ist bei uns der Bereich, wo sich die Leute wirklich mit Hardware beschäftigen. Die schauen, wie wir wirklich Energie speichern auch auf lange Zeit hin. Das ist zum Beispiel Viktor Hacker, der sich hier sehr intensiv damit beschäftigt. Aber auch ganz viele andere. Uwe Schichler bei uns auf der Fakultät für Elektrotechnik, der sich Hochspannungskabel anschaut und sieht, ob die im AC- oder DC-Betrieb vielleicht unterschiedlich viel hergeben und, wie viel man da rausholen könnte. Hier gibt es ganz, ganz viel. Das sind die Hardware-Leute, die daran arbeiten, eben diese Technologien besser zu machen oder zu entwickeln. Dann haben wir als nächstes die Intelligenz. Also die Intelligenz von Menschen an der Universität, die sich auch mit Artificial Inteligence und Machine Learning auseinandersetzen und, die Algorithmen und Methoden entwickeln, die wir brauchen. Das ist die Methodologie-getriebene Research Area. Hier haben wir den Herrn Scholz und den Kollegen Schweiger. Und auch die Mathematiker*innen: Die Frau Klinz ist hier dabei, um hier neue Methoden und Algorithmen zu entwickeln, um Sachen noch besser zu machen. Der letzte Teil der Pyramide, ein bisschen mein Steckenpferd, die Core Research Area 1, wo wir uns mit Systemen beschäftigen. Wo wir wirklich von oben drauf schauen und sagen: Wie sollten diese Systeme dimensioniert sein? Wie sollten die aussehen? Wie viel Investitionen brauchen wir? Was für Analysen brauchen wir? Technische? Wirtschaftliche? Auch für spezielle Themen: Stabilitätsanalysen fürs Netz? Etc. Also das wäre die systemgetriebene Research Area. So in einer Nussschale.

Wie sind Sie eigentlich in dieses Forschungsgebiet gekommen? Was hat Sie angezogen in Ihrer Karriere?

Wogrin: Das ist ein längerer, komplizierterer Weg, wie ich dann dazu gekommen bin. Ich fange einmal beim Gymnasium an: Ich war auf einem humanistischen Gymnasium, auf dem Europagymnasium Klagenfurt, hatte sechs Jahre Latein und habe durch meine humanistische Erziehung gewisse Sachen einfach noch nie gesehen. Ich wusste damals nicht, was Elektrotechnik war. Wenn ich das damals gewusst hätte, dann hätte ich das sicher studiert. Aber damals war mein einziger Kontakt zur Elektrotechnik der Physik-Unterricht. Und da hatte man ja auch nicht so viel. Deswegen habe ich Mathematik studiert. Weil ich in Mathe gut war und mir Mathe sehr gefallen hat. Und ich wusste noch nicht ganz genau, was ich werden will, wenn ich groß bin. Aber das hält mir einmal alle Türen offen. Und während meines Mathematik-Studiums, nicht weit weg von hier in der Steyrergasse an der TU Graz, habe ich mich in die Optimierung verliebt. Mathematische Optimierung war für mich einfach so etwas Wunderschönes, wo man versucht, Sachen besser zu machen. Und mein armer Mann leidet jeden Tag mit mir, weil ich wirklich diese Optimierung lebe. Also sage: Heute fahren wir einmal da hin, weil ich glaube, dass wir da um 20 Sekunden schneller sind als wenn wir den anderen Weg nehmen. Und, das mache ich einfach wirklich gerne. Und die mathematische Optimierung ist so dieses: Wie kann man Stellschrauben verdrehen, um Prozesse, Leben, Sachen besser zu machen. Und dann im Rahmen meines Masterstudiums am MIT habe ich Computation for Design and Optimization gemacht, also numerische Methoden für die Optimierung. Und mir war eigentlich immer klar, ich möchte angewandte Mathematik machen, ich möchte angewandte Wissenschaft machen. Und hatte das Glück, durch Zufall einen Spanier kennenzulernen am MIT, der jetzt mein Mann ist. Und dem bin ich dann nachgezogen nach Spanien. Die Feministinnen werden jetzt sagen: „Oh Gott! Dem Mann nachgezogen nach Spanien!“ Aber so war es. Ich habe es nicht bereut. Gott sei Dank. Und damals hat mein Mann mir empfohlen, ich möge doch an seiner ehemaligen Uni schauen, ob mich nicht ein Doktorat interessieren könnte. Und das habe ich auch gemacht. Und das war die Comidas Pontificical University. Und dort habe ich dann angefangen, an einem wissenschaftlichen Institut, das sich auf Elektrizitätsmärkte spezialisiert hat. Das ist Teil der Uni gewesen. Die haben quasi in Spanien an der Liberalisierung der Elektrizitätsmärkte mitgeschrieben. Die hat es schon gegeben, seit das damals passiert ist. Und die sind einfach auch in Europa eine Topadresse für alles, was Elektrizitätsmärkte anbelangt. Und dort habe ich mein Doktorat begonnen. Auch wieder so in mathematischen Modellen für Elektrizitätsmärkte. Und da habe ich mir dann das zweite Mal in meiner professionellen Karriere gedacht: Wow, I´m in love! Elektrizitätsmärkte sind so cool. Es sind nicht-convexe Probleme. Also der Lastfluss in AC ist nicht convex. Und das kombiniert man dann mit diskreten Entscheidungen wie: Sollte ich dieses Kraftwerk einschalten oder nicht? Und das produziert numerische Probleme, die einfach extrem schwierig zu lösen sind. Und bis Dato gibt es keinen Algorithmus, der alle diese Probleme wirklich effizient lösen kann. Und es gibt Risiko, weil wenn wir eine Investition machen bei einer EVU, dann ist das immer mit Risiko verbunden. Und es gibt Strategie. Es gibt also mathematische Gleichgewichtssituationen alla Nash. Wenn Sie gesehen haben – A Beautiful Mind. Weil, wir sind im Wettbewerb. Sie produzieren elektrische Energie, ich auch. Was Sie investieren, was sie tun hat eine Auswirkung auf mich. Also das El Dorado für jeden Mathematiker quasi. Und zusätzlich hat es noch damit zu tun, dass man in einer Branche arbeitet, die im Moment gerade maßgeblich daran beteiligt ist, eine bessere Welt zu designen. Ich bleibe ganz sicher den Energiesystemen erhalten für die nächsten paar Jahrzehnte.

Wenn Sie jetzt alle finanziellen Möglichkeiten hätten, wenn Ihnen wirklich alles offenstehen würde in der Forschung, was würden Sie gerne umsetzen wollen?

Wogrin: Das ist lustig, dass Sie jetzt „in der Forschung“ dazu getan haben. Weil Sie sonst gesagt haben „wenn Sie alle finanziellen Mittel haben würden“, habe ich nachgedacht, was ich mir kaufen würde, welche Kletterschuhe (lacht). Also auf jeden Fall würde ich mir mehr Server kaufen, weil ein Server ist etwas, bei dem, sobald man es hat merkt man, dass man noch einen braucht oder noch einen größeren braucht. Weil wir große Modelle rechnen. Und dann österreichisch oder europäisch. Und dann stößt man auch schnell an die numerischen Grenzen. An die Hardware-Grenzen sagen wir einmal. Also das würde ich auf jeden Fall machen. Und ich glaube, ich würde dieses Geld auch nutzen, um diese interdisziplinäre Arbeit noch mehr anzutreiben, um internationale Studiengänge, Masterstudien zu kreieren, Leute von überall aus der Welt herzuholen, um zu arbeiten, um zusammenzuarbeiten und diese Probleme zu lösen. Also in diese Richtung wird es definitiv gehen. Internationalisierung und Interdisziplinarität.

Vielen Dank für das Interview!

Wogrin: Sehr gerne!

Vielen Dank, dass ihr heute mit dabei wart. In der nächsten Folge spreche ich mit Wolfgang Richter, der sich wissenschaftlich mit Pumpspeicherkraftwerken beschäftigt. Bis dann.