Der Geodät Hans Sünkel war von 2003 bis 2011 Rektor der TU Graz.
Kompetenz, Kooperation, Wettbewerb
Österreich ist bekanntlich ein Hochlohnland und folglich müssen wir, um international konkurrenzfähig zu sein, zumindest so gut sein wie wir teuer sind. Und sehr gut zu sein bedeutet dort zu arbeiten, wo die Luft dünn ist, nämlich an der Spitze der Leistungspyramide. Ja, Österreich kann seine Position niemals an deren Basis suchen, sondern muss seine Position ausschließlich im Bereich der Pyramidenspitze anstreben. Produkte müssen sich auf dem Weltmarkt und nicht nur auf dem Binnenmarkt durchsetzen und Produkte „Made in Austria“ müssen sich folglich mit den besten der Welt in Bezug auf Qualität messen. Österreich ist arm an Rohstoffen, aber reich an Kultur und Intellekt. Österreich ist daher gut beraten, seine Ressourcenarmut durch kulturellen und intellektuellen Reichtum zu kompensieren. Um dieses Ziel einer internationalen Spitzenposition zu erreichen, sollten wir ganz bewusst auf unsere wissenschaftlichen Kernbereiche in Forschung und Lehre fokussieren und unsere bereits bestehenden Kompetenzen weiter stärken. Der einstige Binnenmarkt von Wissenschaft und Forschung muss konsequent erweitert werden um den internationalen Markt mit selbstverständlich globaler Orientierung. Anstelle nationaler Denkmuster müssen vermehrt international ausgerichtete Strategien treten. Da die uns zur Lösung anvertrauten Probleme immer komplexer und meist auch globaler werden, ist Zusammenarbeit über den jeweils eigenen wissenschaftlichen wie auch nationalen Tellerrand hinaus unbedingt erforderlich. Denn Wissenschaft und Forschung der Gegenwart und erst recht jene der Zukunft lassen sich nicht durch mitunter willkürlich gezogene Grenzen einengen. Interdisziplinarität in Verbindung mit internationaler Kooperation sind somit die geeigneten Antworten auf komplexe wie auch globale Herausforderungen. Und unsere Zukunft wird zunehmend durch Wettbewerb bestimmt, in einem gemeinsamen Europa, zumindest, wenn nicht mehr. Um in diesem Wettbewerb auch bestehen zu können, ist Übermut nicht förderlich, Demut nicht angebracht, jedoch Mut sehr wohl erforderlich. Wir brauchen aber auch adäquate Rahmenbedingungen, die sich an internationalen Gepflogenheiten orientieren. Und im Wettbewerb zählt (fast) nur Qualität und diese hat nun mal ihren Preis. Daher benötigen wir auch eine adäquate finanzielle Ausstattung des gesamten Bildungs- und Forschungssystems mit einem vernünftigen Mix aus öffentlichen und wohl auch privaten Mitteln.Aber machen wir nicht den Fehler, uns von rein ökonomisch getriebenen Überlegungen leiten zu lassen. Machen wir uns bewusst, dass Ausbildung ein stabiles und wertneutrales Fundament der Bildung braucht, so wie auch die angewandte Forschung ohne eine hinreichend stabile Plattform der Grundlagenforschung auf Sand gebaut ist.Rien ne vas plus – ohne Grundlagenforschung
Wertneutrale Bildung und zweckfremde Grundlagenforschung brauchen auch budgetären Mut, zumal wirtschaftliche Umsetzungserfolge oft einen langen Atem brauchen. So wie eine Expedition bedeutet Grundlagenforschung die Erkundung von Neuland und ist daher mit Risiko verbunden. Wer riskiert, kann bekanntlich verlieren, wer jedoch nicht riskiert, hat bereits verloren. Ökonomische Denkmuster mit Risikominimierung sind im Falle der Grundlagenforschung daher fehl am Platz und der allzu oft vernommene Ruf nach dem "Return on Investment" ebenso. Wertneutrale mit wertloser Bildung und zweckfremde mit zweckloser Grundlagenforschung gleichzusetzen ist ein schwerer Fehler, der einer Kulturnation nicht passieren darf, auch wenn ein allzu enges budgetäres Korsett zu dieser interpretativen Vereinfachung verführen mag.Grundlagenforschung, mitunter auch als erkenntnis-orientierte Forschung bezeichnet, hat aber auch etwas mit unserer Zivilisation zu tun und ist somit auch einer der wesentlichen Träger unserer Kultur. Grundlagenforschung zur Seite zu schieben, hieße folglich Verzicht auf Kultur. „Grundlagenforschung – wozu?“ ist damit gleichzusetzen mit „wozu Kultur?“ – an improperly posed question, indeed!Wissenschaftsstandort
Geld ist bekanntlich nicht alles, aber ohne Geld ist alles nichts. Und so ist auch das Budget einer jeden Institution das in Zahlen abgebildete Programm. Das Programm „Forschung“ hat in unserem Lande seit der Jahrtausendwende eine bemerkenswerte Entwicklung genommen und zu einem europäischen Aufholprozess geführt, der uns in die Position eines Innovation-Followers gebracht hatte. Bis zur Wirtschaftskrise im Jahr 2008 waren wir tatsächlich auf gutem Weg hin zum erklärten Ziel der Europäischen Kommission, bis 2010 einen Anteil von 3% des BIP für Forschung aufzuwenden.In der darauffolgenden Phase der Stagnation hatte der Vorsitzende des Wissenschaftsrates, Herr Prof. Jürgen Mittelstraß, im Rahmen einer der Alpbacher Technologiegespräche wahre Worte gefunden: „Wenn die Zeiten schlechter und die Ressourcen daher knapper werden, reagieren Lebewesen ganz natürlich mit dem Absenken fast aller Körperfunktionen. Eine Funktion bleibt jedoch stets erhalten, nämlich die Versorgung des Gehirns mit Blut und somit Sauerstoff. Und das sollte wohl auch für Forschung und Bildung eines Landes Gültigkeit haben.“
Wirtschaftliche Erholung ist schaumgebremst wieder eingetreten und seit einigen Jahren geht es wieder aufwärts, sodass mittlerweile das o.a. EC-Ziel erreicht ist. Und unser Land hat sich selbst zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2020 1% mehr für Forschung relativ zum Stand 2008 zu investieren, was zum Ziel von 3,76% geführt hat. Das ist eine durchaus sportliche Ansage, die nun auch konsequent verfolgt werden sollte. Anleihe kann dabei erneut am Land Steiermark genommen werden, das sich österreichweit vorbildhaft bereits jetzt auf 4,6% des BRP hochkatapultiert hat und so im absoluten Spitzenfeld aller europäischen Regionen liegt. Dass dabei Industrie und Wirtschaft etwa 70% zu den gesamten Forschungsaufwendungen beitragen, sei beeilend hinzugefügt. Unsere österreichische Landschaft der Forschungsförderung erfreut sich einer sehr soliden finanziellen Budgetierung, was den Bereich der angewandten Forschung betrifft. Die Grundlagenforschung hat dagegen punkto Finanzierung noch sehr viel „room for improvement“. Die wirtschaftlichen Erfolge der Grundlagenforschung haben naturgemäß einen langen Atem und beinhalten das intrinsische Element des kalkulierten Risikos. Wer jedoch zu wenig in Grundlagen investiert, der wird sehr bald auch nichts mehr anzuwenden haben.
Der Wissenschaftsfonds FWF
Der Wissenschaftsfonds FWF ist bekanntlich das nationale Finanzierungsinstrumentarium für Grundlagenforschung. Er hat höchste Qualität auf seine Fahnen geschrieben und ist somit der Exzellenz verpflichtet. Mehr als 4100 (vorwiegend jüngere) Wissenschafterinnen und Wissenschafter werden im Rahmen von etwa 2300 Forschungsprojekten derzeit aus den Mitteln des FWF finanziert, und unsere Universitäten sind mit Abstand dessen stärkste Nutznießer. Und die Antragsentwicklung weist während der letzten Jahre eine jährliche Steigerungsrate von etwa 8% auf, was ein erfreuliches Zeichen für das Engagement unserer Wissenschafterinnen und Wissenschafter darstellt.Bei einem derzeit stagnierenden FWF-Budget bedeutet dies jedoch im Umkehrschluss einen kontinuierlichen Rückgang der bewilligten Projekte und/oder eine Absenkung von diversen FWF-Programmen (START, SFB, etc.). Diese jüngsten budgetbedingten Maßnahmen sowie die mangelnde institutionelle Planungssicherheit durch ein Auf und Ab der Overheads sind wahrlich keine geeigneten Zeichen einer nachhaltigen Stärkung des FWF und somit der Grundlagenforschung in unserem Land. Gerhard Casper, der ehemalige Präsident der Stanford University, hat dies in seinem Festvortrag im Rahmen der feierlichen Sitzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften im Vorjahr auf den Punkt gebracht, als er in Bezug auf Grundlagenforschung und somit Suche nach der Wahrheit meinte „Die Wahrheitssuche als solche steht politisch nicht hoch im Kurs – wenn sie es je getan hat.“ Daher muss an dieser Stelle an die hohe Politik eindringlich appelliert werden: bitte erkennt die tragende Bedeutung der Grundlagenforschung für unser Land und scheut keine Anstrengung für eine Finanzierung, die sich an internationalen Vorbildern orientiert. Dazu braucht es keine Quadratur des Kreises oder gar einer Kubatur der Kugel. Es braucht vielmehr ein gelebtes Bekenntnis zur Zukunft unseres Landes und der Schaffung der dazu erforderlichen Voraussetzungen.
Der Rat für Forschung und Technologieentwicklung (RFTE) hat die Zeichen der Zeit längst erkannt und beziffert den budgetären Mehrbedarf des FWF auf etwa 100 Mill. € pro Jahr. (Dabei ist der Blick auf die Nachbarländer Deutschland mit der DFG und die Schweiz mit dem SFN ohnehin betont zurückhaltend.) Diesen Schritt konsequent zu gehen und die Antragsentwicklung als Orientierungshilfe bei der mittelfristigen Budgetentwicklung zu verstehen, das wäre Ausdruck des Verständnisses der Bundespolitik für eine nachhaltige Entwicklung der Grundlagenforschung in unserem Land und sollte trotz anderer budgetärer Mehrbedarfe doch möglich sein. Darüber hinaus sollte wohl auch an die Möglichkeit gedacht werden, zusätzliche Geldquellen privater Art zu erschließen und eine Art „Money Mining“ zu betreiben, wie es etwa Staatssekretär Mahrer anregt. Das klingt verlockend, ist jedoch noch ein wenig Zukunftsmusik, zumal dies auch für den FWF Neuland bedeutet und daher kaum Erfahrungswerte vorliegen, die in die Budgetplanung einfließen könnten.
Nun, mit der in Kürze stattfindenden Wahl des Präsidiums des FWF wird auch dessen personelle Neuaufstellung abgeschlossen sein und so kann der FWF ab September dieses Jahres mit frischem Elan die Gestaltung seiner Zukunft in Angriff nehmen – durch ein konstruktives Zusammenwirken von Präsidium, Aufsichtsrat und Delegiertenversammlung da und einem partnerschaftlich verbundenen und gewiss auch verständnisvollen Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft dort. Wenn dann auch noch der finanzielle Input für Wissenschaft und Forschung durch einen wissenschaftlichen Output auf gleicher Augenhöhe beantwortet wird, dann sind wir endgültig auf Erfolgskurs und als attraktiver Wissenschaftsstandort in der Welt angekommen. Ein Wissenschaftsstandort, der nicht den fehlgeleiteten Ehrgeiz entwickelt, thematisch flächendeckend exzellent zu sein (denn diesen Anspruch zu erfüllen, vermag kein Standort und schon gar nicht ein relativ kleines Land wie Österreich), aber ein Wissenschaftsstandort, der in einigen Bereichen tatsächlich Weltspitze ist und gleichzeitig eine sehr gute Gesamtplattform von Bildung und Forschung vorweisen kann. Ein Wissenschaftsstandort, der darüber hinaus zahlreiche Attribute besitzt, die attraktiv sind für hervorragende Wissenschafterinnen und Wissenschafter sowie für innovative Industrien gleichermaßen.
Wir müssen nur wollen und diesen unseren erklärten Willen auch verständlich artikulieren, konsequent verfolgen und einen aufrechten Gang pflegen, der nicht Übermut kennt, wohl auch nicht Demut, sondern von Mut getragen ist. Und diesen unseren Mut in beide Hände nehmen, das sollten wir alle gemeinsam tun – zum Wohle unseres Landes, seiner Gesellschaft und seiner Zukunft überhaupt.