Sehen Sie sich selbst als Entrepreneur?
Burton Lee: Ja, das tue ich. Die erste Unternehmung, die ich als Student in Standford gegründet habe, ist heute der Spaceport America. Er ist heute in staatlichem Besitz und das globale Operationszentrum der Firma Virgin Galactic. Ich hatte die ursprüngliche Idee für einen kommerziellen Weltraumhafen. Ich habe das ursprüngliche Team zusammengestellt und die erste Finanzierungsrunde organisiert. 2007 habe ich dann Space Angels Network gegründet, das heute führende Investmentunternehmen für Weltraum- und Luftfahrt-Start-ups. Und auch, was ich heute in Stanford tue, kann als Start-up im akademischen Bereich gesehen werden. 2008 gab es noch keinen Kurs in „European Entrepreneurship“ und ich habe meine Idee für eine neue und gänzlich andere Art von Universitätskurs präsentiert. Heute muss ich jährlich ein Konzept erstellen, Geld lukrieren und Marketing machen.
Was unterscheidet Unternehmertum im Silicon Valley und in Europa?
Burton Lee: In den meisten westeuropäischen Ländern sind Familienunternehmen die Stütze der Wirtschaft. Im Silicon Valley kennen wir das kaum. Hier werden Firmen gegründet, um in wenigen Jahren verkauft zu werden. Ein neues Unternehmen wird auf Basis innovativer Produkte oder Services gegründet.
Wie eng arbeiten die Universitäten mit Firmen im Silicon Valley zusammen?
Burton Lee: Hewlett Packard – die erste große Firma im Silicon Valley – entstand 1939 aus der Stanford School of Engineering. Bis 2013 waren es insgesamt um die 11.000 Firmen, die so entstanden sind, wirtschaftlich enorm erfolgreich sind und unzählige Jobs geschaffen haben. Viele CEOs und Gründer/innen solcher erfolgreicher Unternehmen sitzen in den Advisory Boards der Universitäten. In Europa kreist die Beziehung zwischen Unternehmen und Universitäten meist um Forschungskooperationen. Bei uns geht es viel weiter: Firmengründungen, Produktentwicklungen und -tests, und natürlich auch Anstellungen für Studierende.
Sind US-Studierende stärker an Entrepreneurship interessiert als europäische?
Burton Lee: Ich beobachte, dass sich in Europa typischerweise rund ein Prozent der Studierenden an öffentlichen Universitäten aktiv für Entrepreneurship interessiert. In Stanford sind es zwischen 8 und 15 Prozent der Studierenden. Das gilt aber nicht für die gesamte Universität, sondern für die School of Engineering. Die Geisteswissenschaften beispielsweise sind noch sehr traditionell akademisch. Aber wir diskutieren oft, wie wir auch hier eine nähere Verbindung zum Valley aufbauen können. Wie könnte zum Beispiel ein Abschluss in französischer Literatur einer Technologiefirma weiterhelfen?
Wie wird dieser Unternehmer/innengeist von der Universität gefördert?
Burton Lee: Viele Studierende haben Stanford gerade wegen unserer starken Gründungskultur gewählt. Eine Firma zu gründen, wird in Stanford momentan als das Beste angesehen, was junge Studierende tun können. Es ist spannend, herausfordernd und man kann seine Träume und Vorstellungen verwirklichen. Für einige der etablierten Firmen zu arbeiten – außer es handelt sich beispielsweise um Google, Facebook oder Tesla –, ist für einen Stanford-Studierenden heute nicht mehr die erste Wahl. Ein Start-up zu gründen, wird immer mehr zu einem echten Karrierepfad. Und wenn ein Start-up nicht funktioniert, kann man immer noch für eine etablierte Firma arbeiten, die jemanden so als noch interessantere Arbeitnehmerin bzw. interessanteren Arbeitnehmer ansehen wird.
Wie gut ist die TU Graz im Bereich Innovation und Entrepreneurship aufgestellt?
Burton Lee: Ich konnte in den vergangenen Tagen mit vielen Start-up-Teams sprechen. Im Science Park haben mich vor allem die Firmen sehr beeindruckt, die weit über die reine Technologie hinaus an den breiteren sozialen und wirtschaftlichen Kontext neuer Produkte und Services gedacht haben. Bei der Final Gala des Product Innovation Project haben die Studierenden Geschichten erzählt und haben ihre Ideen sogar im Operationsmantel präsentiert – es war außergewöhnlich! Schauspiel, Inszenierung und Storytelling selbstverständlich in die Wirtschafts- und Technik-Ausbildungen einzubeziehen – das ist ein radikaler Wandel. Ich bin auch von der Universitätsleitung sehr beeindruckt. Es gibt den starken Willen, etwas Neues zu tun. Trotzdem glaube ich, dass noch fundamentale Dinge vor allem in der Lehre von Software-Programmierung getan werden müssen. Studierende sollten einfache Apps bauen können, an Hackathons teilnehmen und ihre Ideen schnell übers Wochenende testen können, indem sie Software schreiben. Das würde den Unternehmer/innengeist an der TU Graz und in der gesamten Region massiv steigern. Wobei es nicht darum geht, ernst gemeinte Apps zu gestalten. Vielmehr geht es darum, Studierende zu motivieren, gemeinsam an Projekten zu arbeiten, Ideen mit realen Nutzerinnen und Nutzern zu testen. Typischerweise ist es in der Software-Entwicklung einfacher, Innovationen umzusetzen, als zum Beispiel im Maschinenbau. Aber genauso baut man eine neue unternehmerische Arbeitskultur auf und ich bin sehr optimistisch, dass an der TU Graz vieles möglich ist, wenn die Zahl der Studierenden, die Software schreiben können, gesteigert wird.
Hat die Region bestimmte Vorteile als Wirtschaftsstandort?
Burton Lee: Ich finde den Gesundheitssektor sehr interessant und auch das Transportwesen ist offensichtlich stark. Die Region wird sich weiter an der Spitze halten können, wenn wir den Unternehmen dabei helfen, ihre größten Herausforderungen rund um Digitalisierung, Sales & Marketing, Produktdesign und -management, Innovationsmanagement und Governance zu meistern. Die Universitäten, Firmen und die Politik sind jedenfalls sehr offen und nehmen junge Unternehmer/innen ernst. In Graz versuche ich noch zu verstehen, wie der kreative Sektor mit dem Konzept des „Design Thinking“ verknüpft werden und sowohl etablierte Firmen als auch Start-ups unterstützen und stärken kann.
Was genau ist "Design Thinking"?
Burton Lee: Design Thinking basiert auf drei grundlegenden Elementen: Erstens, zu verstehen, was die richtige Frage ist, um nicht am Ende das falsche Problem zu lösen. Zweitens, von Beginn an sehr engen Kontakt zum Endverbraucher/Nutzer zu halten. Und drittens, viele, kostengünstige Prototypen zu bauen. Man sollte so oft als möglich mit den günstigen Prototypen scheitern, um so dem eigentlichen Kund/innen-Problem und der Lösung näherzukommen. Und um das Risiko, später im Prozess zu scheitern, zu minimieren. Viele erfolgreiche IT-Firmen wenden sehr viel Zeit auf, um die ganze User/innen-Experience nachzuzeichnen. Technologie muss um den Menschen herum gebaut werden, nicht umgekehrt.
Was macht Ihrer Meinung nach die Firmen im Silicon Valley so erfolgreich?
Burton Lee: Wir stellen andauernd Fragen, die sonst keiner stellt. Wir sehen Probleme aus anderen Blickwinkeln, um noch interessantere Lösungen zu finden, die einen echten Wettbewerbsvorteil liefern. Apple begann zum Beispiel 2006, das Mobiltelefon nicht mehr als reine Hardware, sondern als Software-Plattform zu sehen und stellte sich die Frage: Wie können wir auf dieser Plattform tausende unterschiedliche Services anbieten?