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Zuckerschätze in der Muttermilch

08.09.2016 |

Von Ulrike Keller

Muttermilch enthält den optimalen Mix für die gesunde Entwicklung des Säuglings. Einen maßgeblichen Beitrag dafür leisten bestimmte Mehrfachzucker namens humane Milch-Oligosaccharide.

Muttermilch enthält den optimalen Mix für eine gesunde Entwicklung des Säuglings.

Wie diese humanen Milch-Oligosaccharide zukünftig industriell produziert werden können, wird am Institut für Biotechnologie und Bioprozesstechnik der TU Graz in Zusammenarbeit mit dem Austrian Center of Industrial Biotechnology (acib) erforscht.

 

Im Hinblick auf die gesunde Entwicklung des Säuglings ist Muttermilch in ihrer Zusammensetzung unübertroffen. Neben den eigentlichen Nährstoffen Lipiden, Kohlenhydraten und Proteinen enthält sie auch unzählige immunologisch sowie prä- und probiotisch wirksame Substanzen. Darunter finden sich in großen Mengen sogenannte humane Milch-Oligosaccharide (HMOs). Bis jetzt wurden mehr als 200 verschiedene HMOs identifiziert, die immer mehr ins wissenschaftliche Rampenlicht rücken. Denn Ergebnisse aus klinischen Studien deuten auf mannigfaltigen Gesundheitsnutzen beim Menschen hin: Sie unterstützen die Entwicklung der Darmflora, indem sie als Präbiotika nützlichen Darmbakterien als Futter dienen und so ihr Wachstum und ihre Aktivität steigern. Ein weiterer positiver Effekt auf die Darmflora ist durch die bakterienhemmende Wirkung einiger HMOs gegeben. Sie haben gleiche „Andockstellen“ wie die Schleimhautzellen im Magen-Darm-Trakt, an die sich infektiöse Bakterien als ersten Schritt zur Infektion binden. In den Körper eingedrungene Bakterien unterscheiden nicht zwischen den Andockstellen von HMOs und jener der Schleimhautzellen, und werden so durch HMOs geködert und ausgeschieden. Weiters gelangen HMOs in den Blutstrom und zirkulieren im Körper. Man geht davon aus, dass sie so auch vor Infektionen in anderen Körperbereichen wie der Lunge schützen. Zudem sind bestimmte HMOs wichtige Bausteine für die neuronale Entwicklung.

Gesundheitsnutzen von humanen Milch-Oligosacchariden (HMOs).

HMOs für „Flaschenkinder“

Was die Konzentration und Vielfalt an HMOs betrifft, kann die humane Muttermilch nicht einfach durch die Milch von Kühen und anderen Säugetieren ersetzt werden. Die derzeitige industriell hergestellte Säuglingsnahrung enthält zwar oft pflanzliche Oligosaccharide, die auch präbiotisch wirken. Sie unterscheiden sich jedoch in Struktur und Komplexität deutlich von den Oligosacchariden der menschlichen Muttermilch. Wie kommen nun „Flaschenkinder“ in den Genuss der positiven Effekte von HMOs? Der Nachbau der HMOs durch chemische Synthese im großen Stil stellte sich als schwierig und kostspielig heraus. Und die Isolierung von HMOs aus Muttermilch kommt aufgrund der begrenzten Ausgangsressource für die industrielle Großproduktion nicht in Betracht.

 

Der biotechnologische Weg

Hier kommt nun die Biotechnologie ins Spiel: Bernd Nidetzky und seine Forschungsgruppe am Institut für Biotechnologie und Bioprozesstechnik der TU Graz erforschen, wie sich die humanen Milch-Oligosaccharide im Labor mit biotechnologischen Methoden synthetisieren lassen. In Zusammenarbeit mit dem Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib) haben sie sich auf zwei Gruppen von HMOs fokussiert, die in hohen Konzentrationen in humaner Muttermilch vorherrschen: fucosylierte Oligosaccharide und sialylierte Oligosaccharide. Genauer wollen sie herausfinden, wie man Enzyme, die die Verbindungsreaktion zwischen den einzelnen Oligosaccharid-Bausteinen in Gang bringen (Glycosyltransferasen), in ausreichender Menge mit Hilfe von Mikroorganismen gewinnt und diese effektiv einsetzt. „Die gute Nachricht ist, dass alle humanen Milch-Oligosaccharide auf nur fünf Zucker-Grundbausteinen basieren, die mithilfe von Enzymen zu den komplexen Strukturen verknüpft werden können“, erklärt Barbara Petschacher, die in Bernd Nidetzkys Team zu diesem Thema forscht.

 

Einen großen Erfolg konnten die Forschenden an der TU Graz und des acib bereits vergangenes Jahr verzeichnen: Es gelang ihnen, ein Enzym aus der Gruppe der Sialyltransferasen so zu verändern, dass es zwei unterschiedliche HMOs herstellen kann. Beide HMOs bestehen aus Sialinsäure und Laktose, die jedoch an unterschiedlichen Molekülstellen miteinander verbunden werden. „Dies ist insofern beachtenswert, als das Enzym normalerweise sehr spezifisch ist und in der unveränderten Form die Moleküle nur auf eine Art miteinander verknüpft“, so Katharina Schmölzer vom acib, die bei dieser Studie federführend war.

 

Am Institut für Biotechnologie und Bioprozesstechnik der TU Graz wird in Zusammenarbeit mit acib erforscht, wie sich HMOs mit biotechnologischen Methoden synthetisieren lassen. 

Die Ergebnisse der Forschung an der TU Graz in Zusammenarbeit mit dem acib, die vom österreichischen Kompetenzzentrenprogramm COMET gefördert wird, sind nicht nur für die Herstellung von Säuglingsnahrung, sondern auch für die Entwicklung von Functional Foods für ältere Kinder und Erwachsene bedeutend. Synthetisch hergestellte HMOs könnten etwa in therapeutischen Nahrungsmitteln eingesetzt werden, die die Behandlung von schwerwiegenden Erkrankungen unterstützen und das Risiko einer Infektion mit multiresistenten Krankenhauskeimen reduzieren.

Barbara Petschacher am Institut für Biotechnologie und Bioprozesstechnik der TU Graz.

Kontakt

Barbara PETSCHACHER
Dipl.-Ing. Dr.techn.
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