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Zeitzeugen unter der geochemischen Lupe

24.03.2016 | Planet research | FoE Advanced Materials Science

Von Ulrike Keller

Forschende am TU Graz-Institut für Angewandte Geowissenschaften liefern Erkenntnisse zu Klimawandel, erneuerbaren Energien und geologischen Vorgängen am Erzberg, indem sie besondere Zeugen "befragen".

Die Tropfsteinwelt im Katerloch (Steiermark) ist ein wichtiges Klimaarchiv.

Wie wird sich das Klima zukünftig verändern? Die globalen Klimafragen der Zukunft können umso besser beantwortet werden, je mehr regionale Details wir über das Klima der Vergangenheit kennen. Denn nur so können klimatische Entwicklungen im größeren räumlichen und zeitlichen Kontext verstanden und beurteilt werden.

Ronny Boch und Martin Dietzel am Institut für Angewandte Geowissenschaften der TU Graz haben dafür ganz spezielle Zeitzeugen im Visier: "Stalagmiten, also Tropfsteine, zeichnen in ihrer variablen chemischen Zusammensetzung zeitlich hochauflösend Niederschlag und Temperatur über Jahrtausende auf und stellen ein spannendes Klimaarchiv dar", so Ronny Boch. Tropfsteine sind mineralische Ablagerungen und entstehen, wenn sich das Regenwasser auf seinem Weg durch den Boden mit Kohlendioxid anreichert und Kalkgestein löst. Im Höhleninneren entgast das Kohlendioxid aus dem Tropfwasser und der Kalk fällt aus. Stalagmiten haben verglichen mit anderen Klimaarchiven, wie Eisbohrkerne und Ozeansedimente, den Vorteil, dass man den Zeitpunkt und die Geschwindigkeit einer Klimaänderung anhand winziger, natürlicher Mengen radioaktiver Atome der chemischen Elemente Uran und Thorium im Tropfsteinkalk sehr präzise feststellen kann.

Prof. Martin Dietzel, Dr. Ronny Boch, Anna Gollowitsch und Marlene Sakoparnig in einem Labor des Instituts für Angewandte Geowissenschaften der TU Graz.

v.l.n.r.: Martin Dietzel, Ronny Boch, Anna Gollowitsch und Marlene Sakoparnig.

Aktuell untersuchen die Studentinnen Marlene Sakoparnig und Anna Gollowitsch in ihrem Master- bzw. Bachelorstudium "Erdwissenschaften mit Vertiefung Hydrogeologie und Hydrogeochemie" im steiermärkischen Katerloch, wie aktuelle Klimainformationen in aktiv wachsenden Stalagmiten abgebildet werden. Auf Uhrglasschalen fangen sie das Tropfwasser verschiedener Stalagmiten in der Höhle auf; die darauf mit der Zeit gebildeten Kristallschichten werden dann an der TU Graz sowie von Kooperationspartnern an der Universität Innsbruck und am Earth Observatory in Singapur mit modernsten geochemischen Verfahren analysiert. Zusätzlich ermitteln die Studentinnen die Wasserchemie und Tropfraten und vergleichen die Ergebnisse mit meteorologischen Daten, um so weitere Rückschlüsse auf das wechselhafte Wachstum der Stalagmiten zu treffen.

Publikationen zu diesem Thema mit Beteiligung von Ronny Boch an der TU Graz sind in den Fachzeitschriften Science und Nature Communications erschienen.

Heißes Thema Geothermie

Um zumeist kalkige Ablagerungen im großen Stil geht es in einem anderen Forschungsschwerpunkt des Instituts: den sogenannten "geothermalen Scalings", also unerwünschten mineralischen Ausfällungen in Geothermieanlagen. Sie bilden sich unter anderem in jenen Rohren, die Thermalwasser aus dem Erdinneren transportieren.

Geothermie ist im wahrsten Sinn des Wortes ein heißes Thema: Sie ist unter den erneuerbaren Energien die einzige, die praktisch unerschöpflich und immer verfügbar, also grundlastfähig ist und nicht – wie Wind- und Solarenergie – von äußeren Faktoren abhängig ist. Das thermale Fluid aus Wasser und Gasen, das aus bis zu 5 Kilometer Tiefe gefördert wird, kann zum Heizen und bei ausreichend hohen Temperaturen über etwa 100 Grad Celsius auch zur Stromerzeugung genutzt werden. Das Problem: Das Thermalwasser weist einen meist hohen Gehalt an gelösten Mineralien auf, deren Lösungsvermögen druck- und temperaturabhängig ist. Wenn sich der Druck und/oder die Temperatur in den Rohren bei der Förderung verändern, können diese Mineralien in den Rohren und anderen Teilen der Anlage, wie etwa Wärmetauscher, kristallisieren und mit der Zeit eine immer dicker werdende Schicht ausbilden. Im schlimmsten Fall kann es so zu einem Ausfall der Geothermieanlage kommen.


Rohre mit geothermalen Scalings

Problematische geothermale Scalings – chemisch allesamt aus Kalziumkarbonat und doch sehr individuell – in Stahl- und Kunststoffrohren aus diversen Anlagen in Ungarn.

Die Forschenden am Institut für Angewandte Geowissenschaften der TU Graz untersuchen diese speziellen Belagsbildungen unter anderem im Rahmen eines FFG-geförderten Projekts an ausgesuchten Standorten in Österreich, Deutschland und Ungarn. Sie wollen mehr über die Wachstumsdynamik solcher geothermaler Scalings herausfinden, um die kostenintensiven Wartungsintervalle zu verringern und die Betriebsdauer der Anlagen möglichst zu verlängern. An den geborgenen Proben werden deshalb detaillierte "forensische Studien" betrieben, es wird also geochemisch rekonstruiert, wie es zur Bildung und spezifischen Ausprägung eines Scalings kam und welche natürlichen und technischen Faktoren dafür ausschlaggebend waren. Außerdem werden in Laborexperimenten Substrate aus diversen Materialien, wie verschiedene Stähle und Kunststoffe, Thermalwässern unterschiedlicher Temperaturen und Mineralstoffgehalte ausgesetzt. Untersucht werden auch mögliche Inhibitoren, also Substanzen, die die mineralischen Ausfällungen vermindern oder verhindern. Die Interaktionen zwischen Wasserbestandteilen und den Scalings werden zudem mittels hydrogeochemischer Computermodelle simuliert. "So können wir – je nach den spezifischen Standortbedingungen – individuelle Strategien zur besseren Handhabung der Scalingbildung entwickeln", so Ronny Boch. Die natürlich vorkommende und unbedenkliche Polyasparaginsäure etwa hat sich in bestimmten Konzentrationen schon als Inhibitor der Versinterung von Tunneldrainagen bewährt, aber auch verschiedene Phosphatverbindungen haben eine Scaling-hemmende Wirkung.

Das Projekt "NoScale – Characterization of deep groundwater to prevent precipitation processes (scaling) and corrosion of geothermal plants" wird von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft FFG finanziell unterstützt und läuft als Kooperation der TU Graz mit dem Austrian Institute of Technology (AIT) und der JOANNEUM RESEARCH Forschungsgesellschaft. Update: Eine aktuelle Publikation zu diesem Thema ist in der Fachzeitschrift Geothermal Energy im Mai 2017 erschienen.

Ansicht von Erzbergit

Erzbergit – feinschichtige Kluft- und Störungsfüllungen am steirischen Erzberg.

Erzbergit: Nutznießer "bewegter Zeiten" in der Steiermark

In einem unlängst gestarteten Projekt unter Beteiligung des neuen NAWI Graz Geozentrum-Leiters Walter Kurz und des Erzberg-Betriebsgeologen Hannes Pluch reist das TU Graz-Team regelmäßig zum steirischen Erzberg, um dort die Bildung des sogenannten "Erzbergits" zu untersuchen. Erzbergit besteht aus wechselweise engen Lagen der Karbonatminerale Aragonit und Kalzit und kommt gelegentlich mit den dort bekannten "Eisenblüten" vor – beide Varietäten sind unter Mineraliensammlern beliebt. Diese aus herabrinnenden Wässern kristallisierten, kalkigen Ablagerungen wachsen in vertikalen Brüchen, welche vermutlich teils durch tektonische Bewegungen und Erdbeben bei der – stellenweise noch andauernden – Alpenhebung entstanden sind. Die Erzbergite sind also quasi ein "Füllmaterial", das die vorhandenen Störungen und Klüfte nutzt. Erstmalig wurden Erzbergite nun mittels der aufwendigen Uran-Thorium-Methode von der Kooperationspartnerin Lin Ke und dem Kooperationspartner Xianfeng Wang in Singapur altersdatiert. In mehreren Fällen hat sich dabei überraschend gezeigt, dass bereits vollständig verheilte Brüche mit teilweise 10 bis 25 Zentimeter Breite erst innerhalb der letzten Jahrtausende – also in geologisch sehr junger Zeit – verfüllt wurden und stellenweise auch durch ruckartige Bewegungen entstandenes "Gesteinszerreibsel" (Kataklasit) zementiert wurde. "Die bisherigen Befunde legen nahe, dass einige der Öffnungen womöglich selbst nicht viel älter sind, also durch neotektonische Bewegungen und seitliche Verschiebungen des massigen Erzbergs entstanden sind", sagt Ronny Boch. "Größere alpine Störungszonen und damit einhergehende kleinere Erdbeben sind aus der Region bekannt, was die Möglichkeit junger Bewegungen des Erzbergs stützt – dies wollen wir jedenfalls genauer unter die Lupe nehmen."

An der TU Graz sind diese Forschungsthemen im Field of Expertise "Advanced Materials Science" verankert, einem von fünf strategischen Forschungsschwerpunkten.

Kontakt

Ronny BOCH
Mag.phil. Mag.rer.nat. Dr.rer.nat.
Institut für Angewandte Geowissenschaften
Rechbauerstraße 12
8010 Graz
Tel.: +43 316 873 6363
ronny.bochnoSpam@tugraz.at