TU Graz/ TU Graz/ Services/ News+Stories/

Wenig bekannt, doch unverzichtbar: Surrogate

10.12.2018 |

Von Thomas Wallek

Surrogate sind Ersatzmischungen aus wenigen chemischen Komponenten, die die physikalisch-chemischen Eigenschaften realer Gemische aus mehreren hundert oder tausend Komponenten gut nachbilden sollen.

Abbildung 1: Dichte, kinematische Viskosität und Cetanzahl typischer Kraftstoffkomponenten zusammen mit den zugehörigen Spezifikationen für europäische Dieselkraftstoffe (grün hinterlegt). Der mittlere Bereich kennzeichnet den für beide Eigenschaften nach DIN EN 590 simultan zu erfüllenden Bereich. Dieser muss vom resultierenden Surrogat getroffen werden.

Insbesondere im Bereich der Motorenentwicklung stellen Treibstoff-Surrogate einen unverzichtbaren Baustein zur Simulation und experimentellen Validierung der innermotorischen Verbrennung und Abgasbehandlung dar. Die Entwicklung immer effizienterer Verfahren im Bereich der innermotorischen Verbrennung und Abgasbehandlung erfordert den Einsatz hochkomplexer Simulationsmethoden und deren experimentelle Validierung am Prüfstand.

Kommerzielle Kraftstoffe bestehen aus hunderten chemischen Komponenten und unterliegen zudem deutlichen Schwankungsbreiten in der Zusammensetzung, abhängig vom zugrundeliegenden Rohöl, von der Raffinierung und den verwendeten Additiven, die regional und saisonal unterschiedlich sein können. Zudem sollen Motoren weltweit mit Kraftstoffen verschiedenster Normen funktionieren und ihre Leistungs- und Abgaswerte einhalten. Eine weitere Herausforderung besteht darin, Motoren auch heute schon für den weiteren Zusatz biogener Komponenten fit zu machen und deren Auswirkungen auf Leistungs- und Abgaswerte abzuschätzen.

Die Herausforderung: Reduktion der Vielfalt auf das Wesentliche

Unter diesen Gesichtspunkten sind kommerzielle Kraftstoffe aus mehreren Gründen nur bedingt als Grundlage der Motorenentwicklung einsetzbar. So können beispielsweise die zur Simulation der innermotorischen Verbrennung entwickelten Reaktionsmechanismen nur etwa 40 chemische Komponenten berücksichtigen. Des Weiteren setzt die Anwendung rigoroser thermodynamischer Modelle in Simulationsprogrammen in der Regel die Verfügbarkeit physikalisch-chemischer Stoffdaten wie Dichte, Siedepunkt, Transporteigenschaften oder Cetan- bzw. Oktanzahl voraus, die aber nur für einen Bruchteil der in einem realen Kraftstoff vorkommenden Komponenten bekannt sind oder verlässlich abgeschätzt werden können. Zu guter Letzt ist die Anzahl der in Computersimulationen verwendeten chemischen Komponenten aus Rechenzeit-Gründen stark eingeschränkt.

Vom Rohöl über Diesel zum Benzin

Ausgehend von Rohöl wurde ein Algorithmus zur Optimierung von Surrogaten entwickelt, der schrittweise auf Diesel und Benzin erweitert wurde. Der Algorithmus basiert auf einer Optimierungsrechnung, bei der als Zielgrößen die Eigenschaften des realen Kraftstoffs vorgegeben werden und die Zusammensetzung des Surrogats zur optimalen Übereinstimmung mit diesen Eigenschaften entsprechend angepasst wird. Solche Zielgrößen beinhalten zum einen thermophysikalische Eigenschaften wie Dichte, Viskosität und Siedekurve, die für Spraybildung und weitere physikalische Vorgänge im Motor wichtig sind. Zum anderen werden Stoffwerte zur Charakterisierung von Zündverhalten und Verbrennung berücksichtigt, wie etwa Octan- oder Cetanzahl, Kohlenstoff-zu-Wasserstoff-Verhältnis, Heizwert oder Rußindex. Abbildung 1 veranschaulicht den „Zielbereich“ für zwei solche Kriterien, der vom Surrogat zu treffen ist, zusammen mit den Beiträgen der verwendeten Stoffgruppen.

Dem Algorithmus steht eine Auswahl von etwa 100 typischen chemischen Stoffen in Form einer Datenbank zur Verfügung, aus dem die Surrogate zusammengesetzt werden können. Durch enge Zusammenarbeit mit der Dortmund Data Bank, der weltweit größten Faktendatenbank für thermophysikalische Stoffdaten, stehen umfangreiche Messdaten sowie Abschätzmethoden zur Bestimmung der erforderlichen Reinstoffeigenschaften zur Verfügung.

Da die Optimierungsrechnungen verschiedene Strategien zur Bestimmung der optimalen Zusammensetzung einschlagen können, wie beispielsweise „F to Enter“ & „F to Remove“, kann der Rechenaufwand für die Optimierung eines Surrogats bis zu einem Monat betragen, weshalb für diese Rechnungen ein Linux-Cluster des Zentralen Informatikdienstes der TU Graz genutzt wird (siehe Abbildung 2).

Abbildung 2: „Number Cruncher“ zur Surrogat-Optimierung: Der „dCluster“ des Zentralen Informatikdienstes der TU Graz.

Besonderer Wert wurde auf die Beurteilung der Zugabe von Additiven und biogenen Komponenten zu fossilen Kraftstoffen gelegt. Bei Ottokraftstoffen sind dies verschiedene Alkohole und Ether, bei Diesel werden Fettsäureester in Form von Biodiesel zugegeben. Die Vorausberechnung der Auswirkungen solcher Zugaben mithilfe des Algorithmus ist die Grundlage zur weiteren Steigerung biogener Anteile in kommerziellen Treibstoffen und zur Entwicklung sogenannter „Design Fuels“. Am Beispiel von Biodiesel veranschaulicht Abbildung 3 die Änderung der Siedekurve mit steigendem Biodieselanteil von 0 Prozent bis 20 Prozent.

Abbildung 3: Siedekurve ASTM D86 (äquivalent zu EN ISO 3405) von Dieselkraftstoff mit 0 Prozent (B0), 7 Prozent (B7) und 20 Prozent (B20) Biodieselanteil, zur Veranschaulichung der Änderung des Siedeverhaltens mit zunehmender Biodiesel-Beimischung.

Ein Ausblick auf die Weiterentwicklung der Methode ist die direkte Koppelung von CFD (Computational Fluid Dynamics)-Software zur Simulation des Sprayverhaltens (siehe Abbildung 4) sowie Reaktionskinetik-Software zur Simulation des Zündverhaltens mit dem Surrogat-Algorithmus, um dessen Vorhersagegenauigkeit weiterzusteigern. Dies wurde in einem ersten interdisziplinären Projekt zusammen mit dem Kompetenzzentrum Virtual Vehicle (VIF) bereits erstmals umgesetzt.

Ein „Nachteil“ von Treibstoffsurrogaten soll nicht verschwiegen werden: Da diese aus hochreinen Chemikalien zu Apothekenpreisen zusammengemischt werden, kann der Literpreis eines Surrogats mehrere hundert Euro betragen – ein echter „Premium-Kraftstoff“ sozusagen!

Abbildung 4: Ergebnisse von CFD-Simulationen für das Dampf-flüssig-Sprayverhalten eines Dieselkraftstoffs.

Information

Thomas Wallek forscht und lehrt am Institut für Chemische Verfahrenstechnik und Umwelttechnik und leitet die Arbeitsgruppe „Prozesstechnik und Gemischthermodynamik“.

Kontakt

Thomas WALLEK
Ass.Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn.
Institut für Chemische Verfahrenstechnik und Umwelttechnik
Inffeldgasse 25/C/II
8010 Graz
Tel.: +43 316 873 7966
thomas.walleknoSpam@tugraz.at