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„In einem Wohnblock mit 100 Stellplätzen kann ich keine 100 Wallboxen installieren“

21.09.2023 | Planet research | FoE Mobility & Production

Von Falko Schoklitsch

Elektromobilität ist nicht nur eine Antriebs- sondern auch eine Infrastrukturfrage. Martin Fellendorf vom Institut für Straßen- und Verkehrswesen im Gespräch über die sich dabei stellenden Herausforderungen.

Martin Fellendorf leitet das Institut für Straßen- und Verkehrswesen der TU Graz. Bildquelle: Lunghammer - TU Graz

News + Stories: Hat die Zunahme an batterieelektrischen Fahrzeugen auch Auswirkungen auf die Verkehrsplanung, oder ist in diesem Zusammenhang ein Fahrzeug einfach ein Fahrzeug?

Martin Fellendorf: Die oft deklarierten positiven Wirkungen werden vielfach überschätzt, denn ein Fahrzeug ist weiterhin ein Fahrzeug, der Stau bleibt. Platzgewinn hat man keinen. Natürlich hat es auf die Verkehrsplanung Auswirkungen - wegen der Luftschadstoffe, vor allem in der Stadt. Das wird zurzeit zwar nicht groß thematisiert, aber vor ein paar Jahren hatten wir in Graz öffentlich geführte Diskussionen um Rußpartikel und Stickoxide. Mit der Elektromobilität verliert dieses Thema an Bedeutung, aber im Zuge des Klimawandels ist der Verbrauch fossiler Kraftstoffe ein sehr relevantes Thema. Wenn Fahrzeuge künftig mit grünem Strom geladen werden, bietet Elektromobilität natürlich große Chancen, während Verkehrsqualität und Leistungsfähigkeit der Verkehrsnetze durch die Elektromobilität per se kaum verbessert werden. Aber ein weiterer nicht zu vernachlässigender Faktor sind die Ladestationen. Damit verhält es sich anders als derzeit mit den Tankstellen.

Wie groß muss man die Ladeinfrastruktur ausbauen, damit Elektromobilität in großem Maße überhaupt funktionieren kann? Besonders wenn es so weit kommt, dass zumindest der Individualverkehr völlig elektrisch unterwegs ist.

Fellendorf: Sollten alle elektrifiziert fahren, müsste unsere Ladeinfrastruktur in einem immensen Tempo ausgebaut werden. Und zwar aus zwei Gründen. Unsere Elektrizitätsnetze bieten derzeit noch nicht die Kapazität, wobei ich für den Netzausbau nicht die passende Ansprechperson bin. Wir bräuchten aber nicht nur viel mehr Niederspannungsversorgung für den Haushaltsstrom, sondern auch mehr Mittelspannungsversorgung. In großen Wohnanlagen ist es derzeit nicht möglich, jeden Parkplatz mit einer Wallbox zur gleichzeitigen Nutzung auszustatten. Wenn ich jetzt einen Wohnblock mit 100 Stellplätzen habe, kann ich dort keine 100 Wallboxen installieren und gleichzeitig allen elf oder 22 kW Ladeleistung anbieten. Eine Zuleitung nur mit Haushaltsstrom wird nicht ausreichen. Lademanagement, portionsweises Zuteilen der Ladeleistung - sprich Rationieren - wird dann erforderlich sein oder die Elektrizitätswirtschaft erhöht ihre Leistung bedarfsgerecht.

Wenn wir allerdings zurückblicken, ist der Versorgungsaufbau auch in der Entwicklungsära der Verbrennungsmotoren nicht reibungslos gelaufen

Zum Glück hat sich mittlerweile in Europa eine Normung bei den Ladesteckern mit den CCS-Steckern durchgesetzt, mit denen sowohl Wechselstrom bis 22 kW als auch Gleichstrom mit höher Ladeleistung geladen werden kann. Wenn wir allerdings zurückblicken, ist der Versorgungsaufbau auch in der Entwicklungsära der Verbrennungsmotoren nicht reibungslos gelaufen. Als Bertha Benz zu ihrer legendären Fahrt 1888 aufbrach, musste sie zum Tanken von Waschbenzin in die Apotheke. Auch in den Folgejahren wurde Treibstoff noch in Kanistern und beliebigen Behältern in Apotheken, Drogerien und Kolonialwarengeschäften ohne besondere Sicherheitsvorkehrungen verkauft. Das Tankstellennetz in Österreich ist erst Mitte der 1920er Jahre aufgebaut worden, also mehrere Jahrzehnte nach der Erfindung des Autos. Es hat eben seine Zeit in Anspruch genommen und dasselbe erleben wir jetzt beim Strom-Tanken.

Ein ganz anderes Problem haben wir in Europa noch mit dem Fehlen eines durchgängigen Tarifsystems für Ladestrom. Wenn ich zu einer Tankstelle fahre, ist es egal, bei wem ich tanke. Ich kann immer mit der gleichen Kreditkarte oder Bargeld zahlen. Das geht zurzeit bei den Ladestellen nicht, da die Betreiber eigene Ladekarten ausgeben. Es gibt zwar inzwischen Lösungen zum Lade-Roaming, aber anders als mittlerweile beim Mobilfunk sind damit oft exorbitante Zusatzkosten verbunden. Am günstigsten wird zu Hause geladen, sofern man über einen eigenen Ladeanschluss verfügt. Die Kosten an einer Schnellladestation sind oft über drei Mal mehr; beachten muss man auch, dass beim öffentlichen Laden neben Verbrauchskosten oft auch Zeitkosten für die Inanspruchnahme der Ladestation verrechnet werden.

Der Faktor Zeit ist beim Tanken oder Laden immer ein wichtiger. Tanken geht ja relativ schnell, laden dauert aber seine Zeit. Inwieweit wirkt sich das auf die Infrastrukturanforderungen und -planungen aus?

Fellendorf: Das hat durchaus Auswirkungen und der Faktor Zeit wirkt sich auch auf die Ladekapazitäten aus, die angeboten werden. So wird bei den Schnellladestationen, die man wegen der Batterielebensdauer nicht so oft nutzen sollte, ständig die Ladekapazität erhöht. Wenn diese Stationen jetzt mit 150 kW statt der 11 kW zuhause an der Wallbox laden, wird weniger als ein Zehntel der Zeit benötigt. Diese Schnelllademöglichkeiten werden ausgebaut und damit ist das Laden innerhalb der berühmten Tasse Kaffee erledigt und dauert nicht mehr so lange wie ein ganzes Mittagessen.

Was ich wirklich nur als Zwischentechnologie sehe, sind die Hybridfahrzeuge

Geht der Ausbau auch so schnell voran, wie die Nutzung von elektrischen Fahrzeugen zunimmt?

Fellendorf: Ja, der Ausbau geht schnell genug, weil die Nutzung von Elektrofahrzeugen insgesamt weniger stark zunimmt, als man es noch im vorigen Jahr dachte. Es liegt also nicht daran, dass die Ladestationen schneller gebaut werden, sondern daran, dass der Verkauf an Elektrofahrzeugen zurückhängt - zumindest in Mitteleuropa.

Sie haben die aktuellen Netzkapazitäten bereits als Hemmnis für den Ausbau der Ladestruktur sowohl im Bereich von Wohnsiedlungen als auch im Bereich der Schnellladeinfrastruktur angesprochen. Aber sind auch Kosten, Bürokratie und vorhandene Flächen ein Thema für den Ausbau?

Fellendorf: Bürokratie ist auf jeden Fall ein Thema. Im Prinzip sind es Technik und Bürokratie zusammen. So ist etwa das Thema Brandschutz noch nicht ausreichend geklärt. Hier legen sich auch manche Bauträger quer - teilweise zu Recht. Hier sehe ich daher auf jeden Fall noch Handlungsbedarf. Was sich in Mitteleuropa aber auch immer wieder zeigt, ist die geringe Technik-Affinität. Wir schauen uns zuerst die Risiken an, bevor wir Dinge ausprobieren. Da haben uns die USA und China einiges voraus. Die machen es einfach. Und wenn sie dann sehen, dass sie technologisch auf dem falschen Weg sind, wird die Technologie verändert. Bei uns wird immer erst einmal alles sehr, sehr lange abgewogen, bis man dann eine Entscheidung trifft. Und dann ist es zu spät.

Dieser Artikel ist Teil des TU Graz Dossiers „Aufgeladen”. Weitere Dossiers finden Sie unter www.tugraz.at/go/dossiers.

Wenn es um Hemmnisse bei der Ladeinfrastruktur geht, muss man aber auch über diese nicht sehr ansehnlichen Wallboxen sprechen. In der Tiefgarage machen sie nichts aus, aber im öffentlichen Raum sind Ladesäulen eigentlich ein echtes Hemmnis im Stadtbild. Dafür sind natürlich Lösungen gefragt. Ein gutes Beispiel dafür ist das Matrix Charging vom Grazer Start-up easelink, bei dem sich eine Steckverbindung an der Unterseite des Autos auf eine Ladeplatte absenkt und sich damit verbindet. Das Prinzip ist sehr gut, jetzt braucht es genügend Automobilhersteller, die mitmachen. Da induktives Laden wegen der Ladeverluste nicht so gut funktioniert, wird es in jedem Fall ein Stecksystem brauchen und wenn hier der Ansteckvorgang durch ein System wie Matrix Charging wegfiele, wäre gleich ein weiteres Hemmnis aus dem Weg geräumt. Ich bin gespannt, welche Technologie sich hier am Markt behaupten wird.

Wenn man es allgemein betrachtet, sind Elektrofahrzeuge überhaupt für alle Mobilitätsbereiche sinnvoll? Und wie wird sich das in Zukunft noch verändern?

Fellendorf: Was ich wirklich nur als Zwischentechnologie sehe, sind die Hybridfahrzeuge. Daher sehe ich auch nicht ein, warum sie die ähnlichen Förderbedingungen haben wie reine Elektromobilität. Viele haben so geringe batteriebetriebene Fahrleistungsmöglichkeiten, dass sie nur sehr selten elektrisch fahren. Das ist besonders im Dienstwagenbereich der Fall. Daher sehe ich es als Augenauswischerei, dass auch Hybride mit geringen Reichweiten um 50 Kilometer ohne Nachweis der tatsächlichen Nutzung des Elektroantriebs gefördert werden.

Wie weit ist die Politik wirklich gewillt, massiv den Hebel anzusetzen und die motorisierte individuelle Mobilität durch Kostenerhöhung und andere regulative Push-Maßnahmen wie Parkraumbewirtschaftung stärker einzuschränken?

Ein echtes Problem der Elektromobilität sind immer noch die Langstrecken. Dabei stellt sich aber die Frage, welche Fahrzeuge fahren denn viel Langstrecke? Wenn man ein, zwei Mal im Jahr für die Urlaubsreise Langstrecke fährt und dabei dann einmal an einer Schnellladestation ein bisschen länger warten muss, halte ich das für hinnehmbar. Für Leute, die immer Langstrecke fahren, ist es natürlich etwas anderes. Und dann ist da noch das Thema LKW: In dem Bereich ist es wirklich noch schwierig, gerade im Fernverkehr. In Deutschland gab es Versuche mit induktivem Laden auf der Autobahn und mit einem Pantografen, also einem Stromabnehmer, mit dem die LKW auf Teilstücken an der Oberleitung unterwegs sind und geladen werden. Einige Teststrecken sind in Deutschland schon wieder beendet worden, aber die Teststrecke bei Frankfurt wird weiter ausgebaut. Mit induktivem Laden kommt man nicht weiter, weil die Ladeverluste zu groß sind. Und Oberleitungen für LKW sind technologisch wohl noch nicht ausgereift genug. Im Güterfernverkehr, der noch dazu einen hohen Verbrauch hat, ist also noch keine echte Lösung in Sicht. Durchaus positive Tendenzen gibt es aber im Bereich des Linienbusverkehrs, vor allem in der Stadt. Dort gilt es, die Wendezeiten mit den Ladezeiten abzustimmen, aber das scheint durchaus eine Technologie zu sein, die zukunftsträchtig ist. Dabei werden die Wenden, bei denen es wegen Ruhezeiten pflichtmäßig ohnehin Stopps gibt, mit Ladezeiten kombiniert. Hier sind Forschungen notwendig, um die Fahr- und Umlaufpläne auf die Ladevorgänge abzustimmen.

Wo sehen Sie generell die Tendenz hin in der Zukunft? Erwarten Sie, dass irgendwann wirklich alles elektrifiziert unterwegs sein wird? Oder sehen Sie noch andere Optionen, die sich anböten, um einerseits den Verkehr möglichst klimaneutral zu gestalten, ohne andererseits Einzelpersonen in ihrer Mobilität einzuschränken?

Fellendorf: Da kommt das große Stichwort Mobilitätswende ins Spiel. Dabei stellt sich immer die Frage, wie weit ist die Politik wirklich gewillt, massiv den Hebel anzusetzen und die motorisierte individuelle Mobilität durch Kostenerhöhung und andere regulative Push-Maßnahmen wie Parkraumbewirtschaftung stärker einzuschränken? Das sind die beiden großen Hebel, die man hätte. Und da sind trotz grüner Regierungen in verschiedenen Ländern die Erfolge bisher eher klein. Ich glaube, da müssen leider noch mehr Naturkatastrophen eintreten, bevor es genügend Leute einsehen, dass wir was machen müssen.

Kontakt

Martin FELLENDORF
Univ.-Prof. Dr.-Ing.
TU Graz | Institut für Straßen- und Verkehrswesen
Tel.: +43 316 873 6220
martin.fellendorfnoSpam@tugraz.at