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Gegen den Verlust der eigenen Stimme

11.01.2017 | Planet research | FoE Information, Communication & Computing | Internationalisation

Von Reinhard Kleindl

Die Entfernung des Kehlkopfes führt zum Verlust der Stimme. Technische Hilfen zur Stimmrehabilitation orientieren sich häufig an der männlichen Stimmlage. An der TU Graz forscht man an Alternativen.

Katharina Fuchs und Martin Hagmüller vom TU Graz-Institut für Signalverarbeitung und Sprachkommunikation forschen wollen Menschen ohne Kehlkopf eine menschlichere Stimme geben.

Die Diagnose ist für die Betroffenen erschütternd: Ein Verlust des Kehlkopfes, etwa durch Krebs, verändert den Alltag eines Menschen grundlegend. Der Kehlkopf enthält nicht nur die Stimmbänder, sondern bildet auch eine Art Weiche zwischen Speiseröhre und Luftröhre, die beim Schlucken die Luftröhre verschließt. Ist diese scheinbar selbstverständliche Funktion nicht mehr gegeben, muss eine künstliche Atemöffnung am Hals geschaffen werden, das sogenannte „Tracheostoma“. Der Rachen ist dann nicht mehr mit der Luftröhre verbunden, sondern führt direkt zur Speiseröhre. Der Verlust der Stimmbänder ist dabei gleichbedeutend mit dem Verlust der Sprache: Von der betroffenen Person gesprochene Worte sind nicht mehr hörbar. Im deutschsprachigen Raum gibt es derzeit etwa 25.000 Menschen ohne Kehlkopf – jährlich werden in Deutschland rund 3.000 entsprechende Operationen durchgeführt.

Video-UPDATE Oktober 2020

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HumanEVoice

Technische Hilfsmittel können die Fähigkeit zu sprechen wiedergeben. Elektronische Sprechhilfen und die damit erzeugte Sprache sind eines der Forschungsgebiete am Institut für Signalverarbeitung und Sprachkommunikation der TU Graz. Im Projekt „HumanEVoice“, an dem vonseiten der TU Graz Anna Katharina Fuchs und Martin Hagmüller maßgeblich beteiligt sind, wird versucht, den Menschen eine persönlicher gefärbte Stimme zu geben. 

Im Projekt HumanEVoice soll kehlkopflosen Personen eine menschlichere Stimme gegeben werden.

„Es gibt drei Methoden, wie Menschen ohne Kehlkopf sprechen können“, erklärt Martin Hagmüller. „Eine Technik ist, Luft zu schlucken und kontrolliert wieder nach oben zu rülpsen.“ Was skurril klingt, ist tatsächlich eine Möglichkeit, die Stimmbänder zu ersetzen, und muss bei der Operation vorbereitet werden. „Das ist jedoch schwierig zu lernen“ so Hagmüller. „Eine andere Variante ist ein Ventil zwischen Luftröhre und Speiseröhre.“ Wird das Tracheostoma mit einem Finger geschlossen, lässt das Ventil Luft in den Mundraum strömen und macht Sprechen möglich. „Das ist derzeit die Standardlösung“, sagt Hagmüller. „Diese Variante ist teuer, das Ventil ist anfällig und muss alle zwei Monate gewechselt werden. Eine dritte Möglichkeit ist, die Funktion der Stimmbänder durch Schwingungen von außen zu imitieren“ – mit einer elektronischen Sprechhilfe.

Elektronische Sprechhilfen

Dabei handelt es sich im Prinzip um ein kleines, vibrierendes Gerät, das an den Hals gehalten wird und die Mundbewegungen beim Sprechen hörbar macht. Die Technologie gibt es seit den Sechzigern, sie ist im Wesentlichen seit damals unverändert. International wird derzeit in einer Handvoll Forschungsgruppen an Verbesserungen geforscht, etwa in Japan in der Stadt Nara bei Osaka, wo Anna Katharina Fuchs während ihrer Dissertation einen Gastaufenthalt absolvierte. Ein Problem der derzeit üblichen Geräte ist, dass sie nur eine bestimmte Frequenz erzeugen. Das Sprechen klingt monoton und unnatürlich. In Nara versucht man, mittels veränderlicher Frequenz eine natürliche Sprachmelodie zu erzeugen. „Der Aufenthalt in Japan war sehr fruchtbar“, sagt Fuchs, die in Nara an einem Algorithmus zur automatischen Variation der Stimmmelodie geforscht hat. „Allerdings wird dort nur an diesem einen Bereich geforscht, es gibt kein Gesamtpaket.“ Das gilt auch für alle anderen internationalen Forschungsbemühungen. 

Mit dem MYO-Armband kann die elektronische Sprechhilfe gesteuert werden.

Ein solches Gesamtpaket ist das Ziel von Fuchs und Hagmüller. Sie kombinieren dafür neue Zugänge aus unterschiedlichen Bereichen, von speziellen Wellenformen, die das Halsgewebe besser durchdringen, über unterschiedliche Methoden, die Tonhöhe zu modulieren, bis hin zu Miniaturisierung und neuen Trageformen, um ein Gerät zu entwickeln, das alle Vorteile vereint.

Überraschende Kritik

„Das Wichtigste ist der direkte Kontakt zur Nutzerin bzw. zum Nutzer“, sagt Fuchs. Dabei gab es durchaus Überraschungen. „Die häufigste Kritik an bestehenden Systemen war, dass diese zu leise sind. In der Nähe von Störgeräuschen, etwa wenn mehrere Leute sprechen, sind diese fast nicht mehr hörbar.“ Ein weiteres Problem ist, dass die gängigen Geräte in der Hand gehalten werden. „Oft ist es im Alltag aber nötig, beide Hände frei zu haben. Etwa beim Essen oder Autofahren.“ Außerdem sollten die Geräte unauffälliger sein, die Nutzerinnen und Nutzer eines Elektrolarynx fühlen sich oft gebrandmarkt. Die Alternative ist ein auf einem Halsband angebrachtes Gerät, das nach Möglichkeit automatisch aus- und eingeschaltet werden kann. 

Natürliche Sprachmelodie

Ein weiteres Problem ist die momentan erzeugbare Stimmlage: „Die meisten Geräte klingen derzeit eher männlich“, so Fuchs, „wenn sie überhaupt menschlich klingen.“ Die Gender-Forschung sei dabei eine ganz neue Welt, so Fuchs. „Gemeinsam mit Corinna Bath wollen wir über Stereotype hinweg die ganze Bandbreite an geschlechterspezifischen Unterschieden berücksichtigen.“ Dieser Diversity-Aspekt sei ein willkommener Blick über den Tellerrand, so die Forschenden. Auf der Suche nach einer geschlechterspezifischen Stimme arbeiten Fuchs und Hagmüller vor allem mit Corinna Bath von der TU Braunschweig zusammen, die eine Gastprofessur als Expertin für die Verflechtung von Genderforschung und Technik an der TU Graz absolviert. Derzeit nutzen Fuchs und Hagmüller eine Simulationsumgebung, wo sie in Echtzeit Einstellungen untersuchen. Gefördert über das Programm FEMtech der FFG und unterstützt von Partnerin HEIMOMED, einer Firma aus Deutschland, die sich auf die Herstellung von Produkten für Menschen ohne Kehlkopf spezialisiert hat, will man langfristig verschiedene Ansätze kombinieren und die Entwicklung einer neuen elektronischen Sprechhilfe möglich machen. 

Genderexpertin Corinna Bath und das Kernteam der TU Graz Martin Hagmüller und Anna Katharina Fuchs. 

Dieses Forschungsgebiet ist an der TU Graz im Field of Expertise „Information, Communication & Computing“ verankert, einem von fünf strategischen Schwerpunktfeldern.

Kontakt

Martin HAGMÜLLER
Dipl.-Ing. Dr.techn.
Institut für Signalverarbeitung und Sprachkommunikation
Inffeldgasse 16c
8010 Graz
Tel.: +43 316 873 4377
hagmuellernoSpam@tugraz.at