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TU Graz/


von Birgit Baustädter veröffentlicht am 13.05.2025,
aktualisiert am 24.06.2025
Forschung

Talk Science to Me: Selina Wriessnegger über Biomedizinische Technik

Selina Wriessnegger ist Neurologin und Technikerin gleichzeitig. Sie versucht in ihrer Arbeit, Emotionen von Versuchspersonen mittels EEG zu messen.

Dieser Text ist ein wörtliches Transkript der Podcast-Folge.

Herzlich Willkommen bei Talk Science to Me, dem Wissenschaftspodcast der TU Graz. Schön, dass ihr heute wieder mehr über Forschung erfahren wollt. In dieser Folge spreche ich mit Selina Wriessnegger, die an der Schnittstelle zwischen Neurologie und Technik forscht. 

Talk Science to Me: Liebe Selina, vielen Dank, dass du heute hier bist und mit mir über Neurotechnologie sprechen wirst und über dein Forschungsgebiet, könntest du dich als erstes vorstellen?

Selina Wriessnegger: Ja, hallo Birgit, ich freue mich sehr hier sein zu dürfen heute und über meine Forschung zu berichten. Ich bin ja ein bisschen eine Exotin an der TU Graz, weil ich ja Neurowissenschaftlerin bin im Wesentlichen. Also ich habe auch Psychologie studiert in Graz, bin dann nach München ans Max-Planck-Institut, habe dort Kognitions- und Neurowissenschaften studiert und dort promoviert und bin dann wieder zurück nach Graz nach meiner Promotion. Ich habe an der Karl-Franz-Universität zuerst geforscht und bin dann über EU-Projekte quasi dann an die TU Graz gekommen und seit 2016 Professorin am Institut für Neurotechnologie.

Talk Science to Me: Woran forschst du momentan?

Selina Wriessnegger: Also momentan forsche ich an der Untersuchung mentaler Zustände im Gehirn. Und zwar, ich möchte herausfinden mit meinem Team, wo neuronale Korrelate sind sie und wie reliabel sind sie im Gehirn zum Beispiel für mentalen Stress, also mentale Zustände. Das können verschiedene Emotionen sein, wenn ich etwas sehr Positives empfinde, negative Emotionen oder auch eben Stress oder auch hohe mentale Überforderung oder Müdigkeit.

Also das sind alles so mentale Zustände, die eine Person durchlebt, ganz normal im Alltag oder auch wenn sie bestimmte Aufgaben ausführt. Und das untersuche ich mit Hilfe des EEG, also mit Hilfe der Elektroenzephalographie, weil wenn das Gehirn aktiviert ist, dann sind die Gehirnzellen aktiv und dann entstehen elektrische Felder und das kann man an der Kopfoberfläche dann mit dem EEG quasi messen. Und dann bekomme ich bestimmte Wellen, also die sind sichtbar und die sind bestimmten mentalen Zuständen

auch zugeordnet, ganz basalen. Die kann ich so quasi schon im Roh-EEG entdecken. Aber alles, was etwas komplexer ist, wie Stress zum Beispiel, da muss man natürlich etwas ausgeklügeltere Signalverarbeitung einsetzen, um das zu detektieren.

Aber im Wesentlichen forsche ich nach mentalen Zuständen und deren neuronalen Korrelaten im Gehirn.

Talk Science to Me: Das heißt, ich komme zu dir, ich habe Stress. Und du siehst es dann auf deinem Computer in Form einer Kurve oder wie schaut das aus? 

Selina Wriessnegger: Im Wesentlichen. Also die Experimente sind so aufgebaut: Du hast keinen Stress noch hoffentlich, wenn du zu mir kommst, aber wir setzen dich unter Stress. Du kommst ins Labor, wir erklären alles ganz genau, dann bekommst du die EEG-Haube montiert und dann checken wir mal, ob das EEG, ob die ganzen Sensoren alle passen und da da siehst du eben am Bildschirm deine Gehirnströme visualisiert. Du kannst sie mitverfolgen. Und dann gibt es bestimmte Aufgaben. Zum Beispiel

jetzt bei dem Experiment mit Stress. Da versuchen wir die Person unter Stress zu setzen. Und zwar bekommen sie eine arithmetische Aufgabe. Und die müssen sie unter Zeitdruck lösen. Also sie sehen am Bildschirm eine Aufgabe, mathematische Aufgabe, einfach so 123 minus 17 oder Multiplikation. Und wir versetzen die Person unter Stress dahingehend, dass sie einen Zeitdruck haben. Das heißt, du hast jetzt nicht fünf Minuten Zeit, um das zu lösen, sondern da läuft noch so eine Uhr oben und du bekommst wirklich Stress, weil du das richtig lösen willst. Und das wird halt so 20, 30, 40 Mal verschiedenste Aufgaben, Schwierigkeiten durchgeführt. Und wir messen dann gleichzeitig das EEG. Aber wir können jetzt diesen Stressfaktor nicht direkt im EEG sehen, sondern analysieren eben danach das EEG und schauen, zu welchem Zeitpunkt die Person eben welche Aufgabe gelöst hat, richtig, falsch. Und dann kann man quasi mit bestimmten Signalverarbeitungsmethoden, auch Machine Learning, herausfinden, ob diese Person genau zu diesem Zeitpunkt sehr unter Stress war, weil es bereits andere Studien gibt, die das sagen. 

Also wenn ich Stress habe, dann ist zum Beispiel meine Alpha-Aktivierung, das ist eine bestimmte Frequenz im Alpha-Frequenzband, das so zwischen 8 und 14 Hertz ist. Und im frontalen Bereich, also wo auch unser Arbeitsgedächtnis sitzt, wo wir auch wenn wir rechnen, sehr hoch aktiv sind. Und da kann man dann sehen, dass diese Alpha-Aktivierung unterdrückt ist, also niedriger ist, wie sie zum Beispiel aber erhöht ist, wenn du müde bist. Also da hast du dann ganz eine hohe Alpha-Aktivierung im frontalen Bereich. Und dann versuchen wir eben herauszufinden, die Person hatte sehr hohen Stress, das heißt Alpha und auch andere, es gibt noch andere Marker, passen dazu. 

Und dann versuchen wir das bei allen Versuchspersonen, also die zu uns kommen, herauszufinden, zu vergleichen, unsere Schlüsse daraus zu ziehen. 

Und das Ganze machen wir jetzt nicht nur für Stress und für Emotionsforschung oder für andere mentale Zustände. Also nur um das zu untersuchen, das ist die Grundlagenforschung dazu. Weil das Ganze hat ein Ziel, sagen wir so. Und das Ziel der Forschung ist es, im Endeffekt ein sogenanntes neuroadaptives System zu entwickeln. Also neuroadaptive Systeme sind Systeme, die sich dem mentalen Zustand der Person anpassen und das quasi bemerken und dahingehend dann gewisse Prozesse erleichtern oder die Person unterstützen in den Prozessen. Zum Beispiel, wenn du jetzt lernst und du bist eine halbe Stunde schon im Lernprozess und du hast das EEG auf und das System detektiert jetzt im EEG Müdigkeit oder, dass den mentalen Workload zu hoch ist, dass du überlastet bist. Dann kann das System reagieren in dem Sinne in Echtzeit, dass jetzt irgendwas passiert in dem Lernprozess. Dass zum Beispiel der Computer dir zu erkennen gibt, mach eine Pause und einfach runter fährt. Weil manchmal ist es ja so, man lernt einfach und hört nicht auf, weil man muss und da geht aber nichts mehr rein. Also man ist irgendwie schon wirklich komplett überfordert. Und solche Systeme unterstützen Lernprozesse. 

Die EEG-Kappe mit hohem modischen Wert. Bildquelle: Lunghammer - TU Graz

Aber solche Systeme können auch andere Bereiche unterstützen oder in anderen Bereichen eingesetzt werden. Es hängt immer davon ab, welchen mentalen Zustand man detektiert und wofür das System dann eingesetzt wird, um das zu verbessern und zu adaptieren.

Talk Science to Me: Du hast jetzt sehr viel über Stress gesprochen oder über mentale Workload. Welche Arten von mentalen Zuständen kann man denn sonst detektieren? Also gibt es da Grenzen?

Selina Wriessnegger: Es ist eigentlich alles, was du so erlebst. Es gibt Marker im Gehirn, es gibt ja schon ganz, ganz viel Forschung dazu. Das Problem ist nur, dass jede Person anders ist. Und wenn man ein System entwickeln will, will man einerseits eine Generalisierbarkeit haben, also dass man sagt, okay, das ist jetzt der Marker und das System lernt jetzt, diesen Marker zu erkennen und sich demnach zu verhalten. Oder man macht das für eine Einzelperson, das ist meist im klinischen Bereich. 

Wenn man jetzt nur eine Person hat, dann ist es einfacher, weil dann kann man genau das System anhand dieser Person anpassen. Aber diese mentalen Zustände können auch Emotionen sein, positive, negative. Und da machen wir auch Forschungen dahingehend zum Beispiel, dass wir Personen nicht in positive oder negative Situationen, also Depressionen oder was auch immer, versetzen, sondern dass wir einfach Bilder zeigen, die etwas mit einem machen. Also wirklich schreckliche Bilder, da gibt es so Datenbanken, also die sind doch alles ethisch vereinbar. Aber wenn man das Bild sieht, dann hat man einfach eine Emotion auf dieses Bild. Also man ist entweder erregt oder findet es super positiv oder super negativ. Also diese Bilder können ganz, ganz schreckliche Unfallszenen beinhalten oder es sind einfach ganz schöne Landschaften. Und solche Reize werden auch verwendet in unseren Studien, um zu sehen, wie die Person auf dieses Bild reagiert. Also positiv, dann kann man auch bestimmte Gehirnaktivierung entdecken und

im Vergleich zu negativen Emotionen auch. Und was wir auch noch zusätzlich einsetzen zum EEG, ist die Herzratenmessung. Also wir messen auch die Herzrate. Das ist auch ein sehr guter Indikator. Wenn man aufgeregt ist, hat man eine hohe Herzrate.

Talk Science to Me: Sind diese Signale bei allen Menschen sehr, sehr ähnlich oder gibt es da sehr große Unterschiede?

Selina Wriessnegger: Im Prinzip sind also die Rohsignale, so wie das Roh-EEG, was ich früher gemeint habe, mit den unterschiedlichen Frequenzbändern, denen man bestimmte mentale Zustände wie Müdigkeit oder Koma, das sind sehr ähnlich bei allen Personen.

Also es gibt bestimmte Frequenzbereiche, aber wenn man jetzt bestimmte Aufgaben löst, zum Beispiel wenn du jetzt eine Mathematikaufgabe löst und ein anderer das Gleiche macht wie du, dann kommt das sehr häufig vor, dass die Muster nicht gleich sind,

weil ja jede Person anders ist, auch das Gehirn von allen ist anders und alle haben eine andere Herangehensweise, Dinge zu lösen. Das heißt, diese interindividuellen Unterschiede sind sehr hoch in diesem Bereich und das macht es auch sehr schwierig,

wirklich reliable Ergebnisse zu finden. Und was noch dazu kommt, wenn ich dich jetzt am Vormittag messe, zum Beispiel mit der gleichen Aufgabe und am Abend nochmal, kann es auch sein, dass die Ergebnisse schon anhand dieser unterschiedlichen Tageszeit sich unterscheiden. Und das macht das Ganze schwierig und deswegen ist so viel Forschung notwendig mit ganz, ganz vielen Personen, um da bessere Auswertungsmethoden zu finden, um quasi einen wirklich guten Marker für bestimmte mentale Zustände zu entdecken.

Talk Science to Me: Das war eher ein Thema, das ich mich vorher noch gefragt habe. Wenn du jetzt zum Beispiel Stress messen willst, da kommen ja ganz viele andere Faktoren auch mit rein. Eben Müdigkeit aus ganz anderen Gründen oder so. Kann man das irgendwie rausrechnen?

Selina Wriessnegger: Das ist auch oft so. Bei Stress und Müdigkeit schon. Also da gibt es schon unterschiedliche Marker. Das ist einfacher. Aber bei mentalen Workloads, also wenn du überlastet bist, und Müdigkeit, da gibt es so Überlappungen.

Das ist auch recht schwierig, teilweise das wirklich zu trennen. Aber im Wesentlichen macht das auch nichts in dem Zusammenhang, weil in beiden Fällen, wenn ich zu müde bin oder mein Workload zu hoch ist, muss irgendwas passieren. Also das System reagiert in ähnlicher Weise. Deswegen ist es in dem Bereich nicht so tragisch, wenn die Muster sich überlappen. Aber bei anderen Zuständen gibt es eigentlich keine große Überlappung. Da kann man schon sehr genau feststellen, wo was im Gehirn aktiv ist und welchem mentalen Zustand es zugeordnet werden kann.

Talk Science to Me: Inwieweit geht es dann schon in Richtung Gedankenlesen?

Selina Wriessnegger: Das ist noch weit entfernt, zum Glück würde ich sagen. Gedankenlesen, das ist so, ich kann ein Beispiel nennen. Es gibt Gedanken oder Vorstellungen, die sehr gut detektierbar sind. Also wenn ich zum Beispiel sage, ich stelle mir eine Handbewegung vor, dann habe ich genau ein Muster, das sehr distinkt, also sehr eingrenzbar über dem motorischen Kortex ist. Und das ist bewiesen mit unzähligen Studien und das kann ich einfach sehr gut feststellen.

Gernot Müller-Putz spricht im Podcast-Interview über seine Arbeit an Brain-Computer-Interfaces.

Wenn du aber jetzt an eine Katze denkst, dann habe ich ein diverses Muster und ich habe einfach keinen Anhaltspunkt. 

Also im Prinzip ist das ganze Gehirn aktiv, weil jeder hat eine andere Beziehung zu Katzen. Wenn du eine Katze zu Hause hast, ist deine emotionale Verbindung zu der Katze ganz anders. Das heißt, andere Gehirnregionen, die für die Emotionsverarbeitung zuständig sind, werden höher aktiviert sein.

Oder du hast eine Abneigung gegen Katzen, weil du eine Katzenallergie hast. Da spielen so viele Faktoren mit und es ensteht einfach ein diffuses Aktivierungsmuster. Dann tue ich mir schwer irgendwo einen Marker oder das eine Korrelat herauszufinden. Aber andere Zustände, andere Vorstellungen, ich kann mir auch Musik vorstellen, da kann man auch gut detektieren. Aber bei Bewegungsvorstellungen funktioniert das ganz, ganz gut. Über den motorischen Cortex, weil die Muster sehr ähnlich der tatsächlichen Bewegung sind.

Talk Science to Me: Aber du könntest zumindest sagen, ob ich der Katze positiv oder negativ gegenüber eingestellt bin.

Selina Wriessnegger: Ja, das kann ich anhand des Katzenbildes. Das stimmt.

Talk Science to Me: Okay. Was interessiert dich am menschlichen Gehirn?

Selina Wriessnegger: Es ist einfach so faszinierend, was unser Gehirn einfach leistet, tagtäglich. Und wenn man weiß, wie das im Detail funktioniert, dass die Neuronen, wie sie miteinander kommunizieren, dass wir überhaupt hier sitzen können oder sprechen können, das ist unglaublich, wie faszinierend das ist. Und wir wissen noch so wenig darüber. Das heißt, man glaubt immer, man hat alles erforscht, aber es kommen immer wieder neue Erkenntnisse, wo man denkt, oh, wirklich, so ist das. Und das ist noch immer nicht zu Ende. Das heißt, man weiß relativ viel schon über das Gehirn und versucht auch immer Maschinen dem Gehirn nachzuahmen, vor allem mit der ganzen künstlichen Intelligenz, aber es ist so weit entfernt. Die Plastizität des Gehirns ist auch so hoch. Dass heißt, wenn mal etwas nicht so gut funktioniert, gibt es andere Wege, um die Funktion wiederherzustellen. Also diese Plastizität, die ist einfach unglaublich und das passiert alles automatisch teilweise, auch mit Training, aber es ist einfach unglaublich und das fasziniert mich einfach, was das Gehirn leistet tagtäglich.

Talk Science to Me: Habt ihr schon einmal ausprobiert, ob diese Lernmethode funktioniert? Also, dass man den Workload anpasst und die mentale Situation der Person, die getestet wird?

Selina Wriessnegger: Also, jetzt neben der Stressstudie, die ich schon erwähnt habe, hatten wir eine Studie durchgeführt zum Erlernen von Klavierspielen. Und zwar, das ist eine Studie im Zusammenhang mit, wie eben der mentale Workload, also die mentale Überlastung einen Einfluss hat, wenn ich eine neue Fähigkeit erlerne, also eine neue Aufgabe. Das ist jetzt so ein Musikinstrument zu spielen. Das war so eine Idee. Diese Studie wurde von einem Masterstudent von mir und mir entwickelt und der war eben Klavierspieler. Können Personen das schneller lernen und leichter lernen? Und dazu hatten wir auch eine Kooperation mit einem anderen Institut an der TU Graz, die eben spezialisiert sind auf Mixed Reality und Augmented Reality. Und die haben eben dieses Augmented Reality, das heißt, man hat eine Brille auf und man sieht, man sieht so grüne Tropfen auf die Tasten runterfallen und man weiß dann, welche Tasten man drücken muss. Und das war der Part eben von dieser Arbeitsgruppe und wir haben quasi versucht, den mentalen Workload, also den mentalen Zustand, in Echtzeit zu detektieren und das System anzupassen. Das heißt, wenn die Person jetzt beginnt, ein leichtes Stück zu spielen, die haben null Erfahrung und das System entdeckt, der mentale Workload ist okay, das heißt, das nächste Stück könnte etwas schwieriger sein. Die Person spielt weiter und dann plötzlich detektieren wir, die Überlastung ist zu hoch, also die Person ist überfordert. Dann wird einfach das Stück nochmal von Anfang, das leichtere Stück wieder gespielt und das passiert alles automatisch. Das ist so ein neuroadaptiver Prozess. Das Stück, also das Klavierspiel, das Level passt sich dem mentale Zustand berücksichtigt wurde, schneller lernen konnten und weniger Fehler machten als Personen, die jetzt nur diese Augmented Reality-Unterstützung hatten, quasi mit den grünen Tropfen, die auf die Tasten fallen. Das war eigentlich ganz ein spannendes Projekt und da sind wir jetzt auch weiter dran, das jetzt vielleicht auf andere Musikinstrumente auszuweiten, beziehungsweise auch andere Methoden zu verwenden, es vielleicht direkt in der virtuellen Umgebung auszuprobieren. Aber Fakt ist, dass wir zeigen konnten, und es gibt auch viele Studien dazu, dass Lernprozesse wirklich verbessert, erleichtert werden können, wenn man berücksichtigt, in welchem Zustand die Person sich befindet mental.

Talk Science to Me: Kannst du dich noch erinnern, wann das letzte Mal dieser Aha-Moment bei dir eingesetzt hat, wo es so neue Erkenntnisse gegeben hat zum menschlichen Gehirn?

Selina Wriessnegger: Ach, das war, als herausgefunden wurde, welche Funktionen Gliazellen haben. Im Gehirn gibt es ja verschiedene Nervenzellen. Also nicht nur die Neurone, sondern auch Gliazellen. Das sind so unterstützende Zellen, die den Neuronen quasi helfen, die Sauerstoff transportieren. Sie halten sie am Leben sozusagen, halten sie am Ort, wo sie sind, halten sie am Leben, transportieren geschädigte Neuronen ab. Also sie haben verschiedenste Funktionen. Und man dachte immer, das sind nur so diese unterstützenden Zellen. Und jetzt hat man herausgefunden, dass spezifische Zellen auch aus dem Gliazellenbereich wichtige Funktionen bei Gedächtnis und Lernen haben und auch verantwortlich sind für viele, viele Erkrankungen und in Zusammenhang stehen mit Alzheimer und so weiter. Also das war eine Erkenntnis, das mich selbst erstaunt hat, weil ich dachte auch immer von der Ausbildung her oder was man in den Vorlesungen gelernt hat, was ich selber in meiner Vorlesung immer gebracht habe vor Jahren noch, diese Gliazellen sind die unterstützenden Zellneuronen. Aber dass sie selber eigentlich so wichtige Funktionen haben, nicht nur um andere Zellen zu unterstützen, sondern als eigene Funktionen im Bereich Gedächtnis und Lernen mitbringen.

Das war eine Erkenntnis, die mich erstaunt hat.

Talk Science to Me: Wo liegen da eigentlich die Grenzen in der Forschung? Warum wissen wir relativ wenig noch über das menschliche Gehirn? Das ist ja jetzt auch schon relativ lang da und relativ lang beforscht worden. Wo sind da die Probleme oder die Herausforderungen? 

Selina Wriessnegger: Früher war es ja so, dass mit der Entwicklung der Technologie, mit zunehmender Entwicklung, wie zum Beispiel der Entwicklung neurowissenschaftlicher Methoden, der Verbesserung wie funktioneller Magnetresonanz, wo man wirklich tief ins

Gehirn reinschauen kann, die Auflösung immer besser wurde, man einzelne Strukturen besser erkennen konnte. Also dahingehend wurde die Entwicklung dann auch immer besser, also man wusste dann auch immer mehr und mehr. Ja, teilweise sind ja auch die Forschungen begrenzt dahingehend, dass man jetzt mit EEG kommt man sehr weit. Aber ich kann mit EEG natürlich habe ich auch gewisse Probleme. Ich messe viele Artefakte. Ich kann nicht, das Signal ist nicht so eindeutig oder so klar wie jetzt zum Beispiel, wenn ich Elektrokortikogramm verwende. Das heißt Elektroden implantieren und direkt dort messe. Natürlich ist das Signal da viel viel besser und da kann ich viel, viel mehr machen. Und man kann halt dann immer auch nur einen kleinen Bereich erkunden, weil ich kann jetzt nicht das ganze Gehirn in einer Person mit tausenden von Elektroden bestücken, das ist ja ein invasiver Eingriff. Das heißt, man macht dann auch immer kleine Bereiche und dann tastet man sich vor und in den nächsten Bereich, das hängt auch immer von der Fragestellung ab, was man hat, in welche Richtung es geht. Aber die Technologie ist mittlerweile schon recht gut, dass man wirklich immer wieder neue Erkenntnisse gewinnt, was das Gehirn betrifft.

Talk Science to Me: Aber du hast dich auf diesen nicht-invasiven Bereich fokussiert.

Selina Wriessnegger: Die Forschung an sich jetzt, was die Cognitive Neuroscience anbelangt, ist man natürlich an der Oberfläche begrenzt. Aber man kann mit EEG auch sehr, sehr, sehr viel herausfinden und täglich neue Erkenntnisse gewinnen. Meistens liegt es daran, dass wir zu wenig Versuchspersonen bekommen, die an unseren Studien teilnehmen wollen. Kannst du dich noch erinnern, wo für dich das begonnen hat, also dieser Weg in diese Richtung mehr so Cognitive Neuroscience, also eine Methode zu nehmen, um irgendwelche Prozesse im Gehirn zu erforschen. 

Und was bei mir auch noch hinzukam, ich habe während meines Studiums schon als Hilfswissenschaftlerin an der TU gearbeitet, eben im Brain-Computer-Interface-Labor früher noch und habe da ganz, ganz viel mitgenommen. Und mir hat das einfach so Spaß gemacht, dieses interdisziplinäre Arbeiten. In verschiedene Richtungen zu gehen, nicht nur unter Psycholog*innen zu sein oder nur unter Neurowissenschafter*innen, sondern wirklich mit Techniker*innen zu sprechen und auch Physiker*innen. Also komplett wirklich aus diversen Gebieten Leute zu haben, mit denen man diskutieren kann, einen anderen Blickwinkel auf die Sachen bekommt, aber auch viel dazulernt. Und ich habe mir eigentlich alles selbst beigebracht, was jetzt in dem Bereich Programmierung betrifft. Also ich muss ja auch die Experimente erstellen, ich muss die Signalverarbeitung machen und das wird jetzt im Studium ja nicht angeboten. Und auch in meinem Promotionsstudium musste ich zwar selbst programmieren, aber der wesentliche Part lag dann natürlich beim EEG, die Auswertung auch der EEG-Daten damals. Aber die Sachen Wille ist, ist auch ein Weg. Und wenn man wirklich ein Interesse dafür zeigt, für eine bestimmte Richtung, dann kann man auch unkonventionelle Wege gehen. Und das ist eigentlich ganz wichtig, dass man nicht aufgibt sozusagen.

Talk Science to Me: Und warum hast du dich am Anfang für die Psychologie entschieden?

Selina Wriessnegger:  Am Anfang, mich hat das irgendwie so fasziniert, eben auch schon das Gehirn, vor allem die Biopsychologie. Ich habe mich so erkundigt, das Curriculum angesehen, welche Vorlesungen gezeigt wurden. Also das hat mich schon immer interessiert.

Also weniger die Therapie, aber das Gehirn an sich schon sehr früh eigentlich. Und ich wollte jetzt nicht Medizin studieren oder Neurochirurgin werden, sondern eher wirklich kognitive Neurowissenschaften in dem Bereich, also in diese Richtung gehen. Und das ist mir dann auch gelungen über diesen Weg. Und ich bin sehr froh, dass ich das so gewählt habe und auch zur richtigen Zeit am richtigen Ort auch war, um diese Sachen durchführen zu können. Weil über diese ganzen EU-Projekte bin ich immer weiter dann auch in das Thema reingekommen und konnte dann auch mit der TU Graz immer enger zusammenarbeiten und letztendlich dann mich auf eine Stelle bewerben, die ich dann bekommen habe. Und dann eben jetzt hier arbeite, seit über zehn Jahren.

Talk Science to Me: Hat sich eigentlich dein Blick auf Emotionen verändert, seitdem du in diesem Bereich forschst?

Selina Wriessnegger: Also meine Emotionen, also dass ich meine Emotionen besser verstehe, meinst du? Nein, eigentlich nicht. Aber was ich besser verstehe, dass natürlich Emotionen sehr individuell sind und dass man das auch im Gehirn sieht, also die Gehirnmuster von den Personen. 

Und was ich auch gelernt habe, dass es verschiedene Einflussfaktoren gibt, die das verursachen können. Das heißt zum Beispiel, dass Personen Bilder zum Beispiel positiver oder negatativ beurteilen, auch Unterschiede in ihrem sozioökonomischen

Status aufweisen, Unterschiede zwischen Geschlechtern sind ganz, ganz, ganz hoch in dieser Emotionsforschung vor allem. Aber auch zum Beispiel Persönlichkeitsfaktoren spielen auch eine Rolle. Also es gibt ganz, ganz viele Faktoren, die Entscheidungen oder die Wahrnehmung, emotionale Wahrnehmung beeinflussen. Und das habe ich aus den Studien, die wir gemacht haben, gelernt. Und das nutzen wir auch jetzt für zukünftige Studien, dieses Wissen und nutzen auch ganz, ganz viele Fragebögen in den Untersuchungen,

um dann zu schauen, welche Faktoren korrelieren wirklich mit unseren Gehirnfaktoren und dann noch besser Bescheid zu wissen, neuere Erkenntnisse zu finden.

Talk Science to Me: Wo sitzen für dich die Emotionen, im Bauch oder im Kopf?

Selina Wriessnegger: Das ist eine gute Frage. Also ich bin ja eher der Bauchmensch. 

Also, wenn es um Entscheidungen geht, entscheide ich meistens so aus dem Bauch heraus. 

Aber natürlich sind die im Kopf verarbeitet, also das Gehirn verarbeitet alle unsere Emotionen. Im Wesentlichen entscheiden wir viel, viel vorher, als uns die Dinge bewusst sind. Das ist auch ein ganz spannender Forschungsbereich, aber da würde ich jetzt wieder ausschweifen. Aber im Wesentlichen werden Emotionen im Gehirn verarbeitet. Also es gibt dann Menschen, wo man sagt, das sind so Kopfmenschen, also die wägen halt alles ab. Aber Menschen, die sehr emotional sind, die entscheiden recht schnell und man sagt, es ist aus dem Bauch heraus entschieden. Aber das Gefühl oder die emotionale Verarbeitung ist ja dennoch im Kopf basiert. Das Empfinden ist aus dem Bauch heraus.

Talk Science to Me: Aber du könntest dir ja ganz einfach anschauen, wie du jetzt wirklich zu Dingen stehst oder wie du wirklich Dingen gegenüber fühlst, wenn du dir einfach im Labor die Wellen anschaust.

Selina Wriessnegger: Das wäre schwierig, das Experiment aufzusetzen. Man muss da immer sehr, sehr viele Faktoren beachten, aber man könnte das auch untersuchen. Das ist ein guter Hinweis. Danke.

Talk Science to Me: Kann man dann das nächste Mal darüber sprechen.

Selina Wriessnegger: Genau, gerne.

Talk Science to Me: Damit wären wir eigentlich schon bei meiner letzten Frage. Mir würde einfach interessieren, gibt es irgendwas, was du, eine Fragestellung, die du gern beantworten möchtest oder ein Ziel, das du erreichen möchtest im Laufe deiner Karriere in der Forschung. 

Selina Wriessnegger: Eben diese, wie ich schon erwähnt habe, diese interindividuellen Unterschiede, die sind ganz, ganz spannend und man weiß auch nicht, warum manche Personen jenes Muster zeigen im Gehirn und andere ein komplett anderes Muster. Liegt es an anatomischen Strukturen oder woran liegt es wirklich? Liegt es an der Erziehung, wie die Personen aufgewachsen sind? Es können so viele Umweltfaktoren auch mit eine Rolle spielen und natürlich ist jeder Mensch verschieden, aber wenn man vergleicht auf gewisse Aktivitäten oder wenn man Dinge löst, Problemlöseaufgaben oder egal, irgendwelche anderen kognitiven Aufgaben, dann sind die Muster sehr, sehr ähnlich. Aber in der Emotionsforschung und auch bei anderen mentalen Zuständen gehen die sehr auseinander. Oder auch generell bei Vorstellungen, allein bei Bewegungsvorstellungen, was ja auch ein weiterer Forschungsbereich von mir ist, also nicht eine Bewegung durchzuführen, sondern einfach die Bewegung sich vorzustellen. Alleine da gibt es schon so viele verschiedene Muster und man weiß nicht, warum eine Person jenes Muster zeigt, was 70 Prozent der Personen zeigen, aber 30 Prozent zeigen ein komplett anderes Muster. Da sind noch so viele offene Fragen und das möchte ich einfach in Zukunft weiter vorantreiben, diese Fragestellung und auch irgendwann hoffentlich lösen können.

Talk Science to Me: Vielen Dank für das Interview. 

Selina Wriessnegger: Ich danke auch. 

Schön, dass ihr heute wieder zugehört habt. In der nächsten Folge spreche ich mit Martin Uecker, der MRT-Untersuchungen verbessert.