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TU Graz/


von Birgit Baustädter veröffentlicht am 13.05.2025,
aktualisiert am 24.06.2025
Forschung

I Spy Science: Was ist Kernfusion?

Wissenschaft einfach erklärt: Energieerzeugen wie es die Sonne tut? Das könnte in Fusionskraftwerken Wirklichkeit werden. Markus Markl, Forscher an der TU Graz, erklärt.
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TU Graz-Physiker Markus Markl fragt: Können wir auf der Erde die Sonne nachbauen? 

Und gibt gleich selbst die Antwort: Noch nicht. Die lange Antwort:

Wie ihr vielleicht wisst, generiert die Sonne Energie über Kernfusion. Bei der Kernfusion prallen leichte Atomkerne bei unglaublich hohen Temperaturen aufeinander, überkommen die Coulomb-Barriere und fusionieren. Die Produkte dieser Reaktion besitzen in Summe weniger Masse als die anfänglichen Atomkerne. Da die Gesamtmasse aber gleichbleiben muss, wandelt sich laut Einsteins berühmter Formel E=mc2 die fehlende Masse in Energie um – nämlich in die Bewegungsenergie oder kinetische Energie der produzierten Teilchen. Das heißt, die bei der Kernfusion entstanden Teilchen sausen mit einer unglaublichen Geschwindigkeit hin und her. In der Sonne findet dieser Prozess schon seit Jahrmilliarden statt und wird auch noch mehrere Milliarden Jahre weiterlaufen. Er versorgt die Erde und die Menschheit direkt oder indirekt mit Energie. Ist es also möglich, dass wir uns diesen Prozess zum Vorbild nehmen, um auf der Erde einen Reaktor zu bauen, der wie die Sonne funktioniert? 

Diese Frage stellen sich kluge Köpfe schon seit der Mitte des letzten Jahrhunderts. Immer wieder wurde von Durchbrüchen gesprochen und regelmäßig wurde versprochen: „In 30 Jahren wird es Kraftwerke geben“. Doch warum gibt es noch keine? Ganz einfach: Weil es im Vergleich zu Kernspaltreaktoren unheimlich kompliziert ist, einen Fusionsreaktor zu bauen. 

Es würde sich aber lohnen, denn im Gegensatz zu den Kernspaltungsreaktoren, die es heute schon gibt, sind Fusionsreaktoren sicher. 

Sie sind aber sehr komplex: Zuerst müssen wir ein Gasgemisch aus den Wasserstoff-Isotopen Deuterium und Tritium auf eine Temperatur bringen, die eine Kernfusion überhaupt erst möglich machen. Das ist gar nicht mal so einfach, weil die ideale Temperatur bei über 100 Millionen Grad Celsius liegt. Also fast so heiß, wie sich der Sand im Strandurlaub anfühlt. Also… fast… 

Bei so hohen Temperaturen ionisieren die Wasserstoff-Atome vollständig und es entsteht ein Gas aus geladenen Teilchen. Wir nennen das Plasma. Weil wir aber kein Material kennen, dass 100 Millionen Grad Celsius aushalten kann, können wir das Plasma nicht einfach in einem Metall-Kessel oder einem Beton-Topf einfangen. Wir müssen uns etwas anderes überlegen. 

Im Laufe der Forschungsjahre haben sich einige vielversprechende Konzepte hervorgetan. Besonders spannend finde ich die Idee, das Plasma nicht in ein Gefäß aus einem Material einzuschließen, sondern in einem Magnetfeld. Nachdem die einzelnen Teilchen des Plasmas geladen sind, können sie von sehr starken Magnetfeldern auf geschlossene Bahnen gezwungen werden. Wenn die Teilchen dann bei hohen Geschwindigkeiten oder Temperaturen kollidieren, besteht eine Wahrscheinlichkeit, dass sie fusionieren. Durch die Fusion von Deuterium-Tritium entstehen ein Alpha-Teilchen, also ein Atomkern mit zwei Neutronen und zwei Protonen, und ein freies Neutron. Weil, wie wir vorher schon besprochen haben, bei der Reaktion weniger Masse herauskommt und die Masse beziehungsweise Energie erhalten sein muss, besitzen die zwei produzierten Teilchen eine sehr hohe Bewegungsenergie. Das freie Neutron ist ungeladen und kann deshalb nicht im Magnetfeld eingeschlossen werden. Es verlässt das Plasma und interagiert mit der Wand des Reaktors. So heizen die Neutronen die Wand auf und können sie zwar beschädigen, aber die Wärme kann verwendet werden, um eine Dampfturbine zu betreiben. 

Das Alpha Teilchen aus den zwei Neutronen und zwei Protonen, das im Magnetfeld gefangen werden kann, ist geladen und soll idealerweise eingeschlossen bleiben, bis es seine Energie an das Plasma abgegeben hat. Dadurch wird die benötigte Heizleistung von außen reduziert und das Plasma „entzündet“ sich. Voila, fertig ist der funktionierende Reaktor! 

Nun ja, so einfach ist es leider nicht. 

Um Plasma mit Magnetfeldern einzuschließen, müssen viele Details berücksichtigt werden, denn das Plasma wirkt oft so, als hätte es einen eigenen Willen und will nicht dort bleiben wo es sein soll. 

Derzeit arbeiten die Forschenden vor allem an zwei Fusionsreaktor-Typen, die mit Magnetfeldern arbeiten: den Stellarator und den Tokamak. Während der Stellarator ein optimiertes Magnetfeld mit komplexen Magnetfeldspulen erzeugt, ist der Tokamak achsensymmetrisch und setzt einen starken Strom im Plasma voraus, um einen Teil des Magnetfelds zu erzeugen. An beiden Konzepten wird heute ausgiebig gearbeitet. 

Instituts-Leiter Enrico Arrigoni spricht im Podcast-Interview über theoretische Physik.

International Thermonuclear Experimental Reactor

Noch hat kein Forschungsreaktor gezeigt, dass es wirklich möglich ist, elektrische Energie aus dem Kernfusionsprozess zu gewinnen. Das wird sich bald ändern, nämlich mit dem International Thermonuclear Experimental Reactor, kurz ITER. ITER, Latein für „Weg“, wird demonstrieren, dass mehr Energie durch Kernfusionsprozesse gewonnen werden kann, als durch die Heizung des Plasmas aufgewendet werden muss. Aktuell wird ITER im Süden von Frankreich gebaut und Mitte des nächsten Jahrzehnts soll er mit seinem vollständigem Funktionsumfang in Betrieb gehen. Viele Forschungsgruppen auf der ganzen Welt arbeiten zusammen, um ITER zu einem Erfolg zu machen und die Energie aus Kernfusion Wirklichkeit werden zu lassen. Das gilt auch für die Arbeitsgruppe Plasmaphysik am Institut für Theoretische Physik – Computational Physics der TU Graz. Denn, obwohl der Tokamak bereits einen weiten Weg hinter sich gebracht hat, sind noch einige Fragen ungeklärt. 

Wenn Tokamaks im sogenannten high-confinement mode betrieben werden, also in einer Betriebsart die sehr gute Einschlusseigenschaften besitzt, wird der Rand des Plasmas instabil. Durch edge localized modes oder ELM-Instabilitäten werden Plasma und Wärmeenergie an die Wand des Vakuumgefäßes geschleudert. Und das dutzende Male in der Sekunde. Bei heutigen Forschungsreaktoren sind diese Instabilitäten kein Problem und der Verlust an Teilchen und Energie im Plasma ist per se auch kein Problem in zukünftigen Reaktoren wie ITER. Aber, die Wärmemenge, die an die Wand geschleudert wird, skaliert mit der Größe des Reaktors. Für ITER wird deshalb prognostiziert, dass die deponierte Wärme in den Wänden zum Schmelzen vom Material führen wird! Das ist definitiv nicht brauchbar, um einen Reaktor für mehrere Jahrzehnte zu betreiben. 

Dieses Problem ist schon seit längerem bekannt und mehrere Lösungsansätze wurden dafür vorgeschlagen. Der vielversprechendste Ansatz und der, der auch in ITER verwendet werden wird, ist die Anwendung von zusätzlichen Magnetfeldern. Diese Magnetfelder stören das Gleichgewichtsmagnetfeld, welches das Plasma einschließt, und führen zur Stabilisation des Plasmarands. Soweit die Idee. Die Details dieser Methode sind aber noch nicht ausreichend verstanden, insbesondere die physikalischen Prozesse, die involviert sind. Wir sollten aber diese Methode vollständig verstehen, um sicherzugehen, dass ITER nicht beschädigt wird. Nicht vergessen: Schmelzende Wände. 

Obwohl heutige kleine Forschungs-Fusionsreaktoren genutzt werden, um ITER zu unterstützen und Szenarien zu entwickeln, gibt es keinen, der die Bedingungen herstellen kann, mit denen wir es in ITER zu tun haben werden. Das macht es natürlich schwierig auszutesten, ob die Unterdrückung von ELMs mittels Magnetfeldstörungen in ITER funktionieren wird. Wir müssen uns deshalb voll und ganz auf Modelle verlassen. 

Hier in Graz arbeiten wir mit und an Modellen, welche auf der sogenannten kinetischen Theorie von Plasma basiert. 

Mit dieser Theorie beschreiben wir die Teilchen im Plasma, aber anstatt alle Teilchen einzeln zu beschreiben, erlaubt es die kinetische Theorie Statistiken der Teilchen zu betrachten. Dadurch lassen sich mikroskopische Effekte wie die Bewegung der Teilchen um Magnetfeldlinien mit makroskopischen Größen wie elektrische Ströme verbinden. Wir können uns mit den kinetischen Modellen verschiedene Effekte der Magnetfeldstörungen ansehen, wie zum Beispiel das Drehmoment das ins Plasma induziert wird, oder die Ströme die im Plasma induziert werden.

Neben dem Tokamak ist der Stellarator Kandidat für einen zukünftigen Reaktor. Der Vorteil vom Stellarator ist, dass darin die Magnetfelder komplett von Magnetfeldspulen erzeugt werden, im Gegensatz zum Tokamak in dem ein Plasmastrom induziert wird. Dieser Plasmastrom im Tokamak führt zu einem zeitlich gepulsten Betrieb und er kann auch zu Instabilitäten führen. Pulse in ITER sollen zum Beispiel bis zu 3.000 Sekunden dauern. Aber auf der anderen Seite ist das Design von Stellaratorspulen äußerst komplex. Um einen guten Einschluss zu gewährleisten, ist es notwendig, das erzeugte Magnetfeld so zu optimieren, dass möglichst wenige Teilchen durch Kollisionen verloren gehen. Die Optimierung der Magnetfelder und Spulen ist ein äußert komplexes und rechenintensives Problem. Deshalb wurde die Forschung in Stellaratoren erst in den letzten Jahrzehnten wieder intensiviert, dadurch das die Rechenleistung von Computern rasant zugenommen hat. 

Bei uns in der Arbeitsgruppe gehen wir der Frage nach, wie sich Teilchen entlang der Magnetfeldlinien bewegen. Eine Metrik, die bei der Stellarator-Optimierung berücksichtigt werden muss, ist die Einschlusszeit von Alpha-Teilchen, die bei der Kernfusion von Deuterium und Tritium entstehen. Denn, die Alpha-Teilchen sollen ihre Energie an das umgebende Plasma abgeben bevor sie es verlassen. Eine effiziente und schnelle Klassifizierung ist bei der Bestimmung von guten Magnetfeldstrukturen wichtig.

Relativ früh in der Geschichte der Fusionsforschung kam die sogenannte „Fusionskonstante“ auf: „In 30 Jahren haben wir Fusionskraftwerke“. 

Leider hat sich das bis heute nicht bewahrheitet und so manch einer macht sich gerne lustig darüber. Und ja, die Euphorie, die über die Jahrzehnte immer wieder aufgeschwungen ist, war verfrüht. Doch heute sieht die ganze Sache anders aus. Die Berge an Erkenntnissen der letzten Jahrzehnte und die immer zunehmende Rechenleistung von Computern gepaart mit privatwirtschaftlichen Initiativen lässt die Hoffnung wachsen. Vielleicht sagen wir heute ja zum letzten Mal: „In 30 Jahren haben wir Fusionskraftwerke“.

Kontakt

Markus MARKL