Fortifikation und Repräsentation

Das Österreichisch-Ungarische Befestigungssystem in Bosnien, der Herzegowina und im südlichen Dalmatien als Instrument der Sicherheit und des Herrschaftsanspruches (1878–1914)


Inhalt dieser Dissertation sind die von der ehemaligen Habsburgermonarchie errichteten Befestigungsanlagen in Bosnien, der Herzegowina und im südlichen Dalmatien. Diese Bauten wurden bislang weder in ihrer Gesamtheit inventarisiert noch einer architekturgeschichtlichen Betrachtung unterzogen. Angesichts dieses Forschungsdesiderats stellt sich die Dissertationsschrift die Aufgabe, einen Beitrag zur Erforschung der österreichischen „architectura militaris“ am Vorabend des Ersten Weltkriegs, sowie zur Architekturgeschichte des Langen 19. Jahrhunderts in Bosnien, der Herzegowina und im heutigen Montenegro zu leisten. 
In den vier Jahrzehnten nach der Okkupation Bosniens und der Herzegowina durch Österreich-Ungarn im Jahr 1878 entstand zur Sicherung des südlichsten Teils der Habsburgermonarchie ein System aus mehr als 150 Befestigungsanlagen. Im Gegensatz zu anderen Grenzregionen der Habsburgermonarchie wurde hier von den militärischen Stellen ein Gesamtkonzept für ein in die Tiefe entwickeltes Befestigungssystem zwischen der Adriaküste und der Save erarbeitet und dieses auch weitgehend umgesetzt. Für die spezifische Funktion dieser Bauten und im Hinblick auf das projektierte Gesamtbauvolumen mussten neue Typen von Befestigungsanlagen entwickelt werden. Bemerkenswerterweise bediente man sich dabei der in dieser Region seit dem Mittelalter gebräuchlichen Bauform der „Kula“. Dieser mehrgeschossige, primär für Verteidigungszwecke konzipierte Typus wurde als zentrales Element übernommen und dem jeweiligen Zweck angepasst. Selbst die Begrifflichkeit Kula fand Einzug in die militärische Fachterminologie. Nach Maßgabe der verfügbaren Finanzmittel wurde dieses Fortifikationssystem in den folgenden Jahrzehnten ausgebaut und das gegenständliche Gebiet in eine befestigte Region transformiert.  Anhand der untersuchten Bauten wird die technologische Entwicklung im Festungsbau des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts rekonstruiert. Einerseits betrifft das die Einführung der „neuen“ Baustoffe Stahl und Beton als planerische Reaktion auf die sich stetig entwickelnde Waffentechnik. Andererseits ermöglichte die immer komplexer werdende technische Ausstattung der Fortifikationen den sukzessiven Übergang von konventionellen Hochbauobjekten über Bunker zu unterirdischen Kavernenwerken. Insbesondere im sogenannten Okkupationsgebiet, das durch Österreich-Ungarn eine tiefgreifende Umgestaltung erfahren hat, wird neben dem militärisch-funktionellen Zweck dieser Bauten auch die Frage ihrer Repräsentationsfunktion beleuchtet. In diesem von zunehmenden Spannungen zwischen den ethnischen Gruppen und der omnipräsenten Staatsmacht geprägten Teil des Balkans muss zudem die Wechselwirkung zwischen Militärverwaltung und Zivilgesellschaft reflektiert werden.
Das Militär, und im Speziellen dessen unzählige Baustellen, war durchaus willkommener Arbeitgeber und Einnahmequelle. So wurden viele Befestigungsanlagen von lokalen Baufirmen ausgeführt. Dem Bauprozess folgte die Versorgung der zahlreichen Garnisonen. Diesen Impulsen für die Bau- und Landwirtschaft und einem nicht zuletzt dem Militär geschuldeten Ausbau der Verkehrsinfrastruktur standen strenge Regularien gegenüber, die vor allem das Wachstum der Städte einschränkten. Als Primärquelle der Dissertationsschrift dienten die Bestände des österreichischen Staatsarchivs in Wien, hier wiederum hauptsächlich die des Kriegsarchivs. Für die Bewertung der sich z.T. deutlich unterscheidenden architektonischen Gestaltung war eine eingehende Betrachtung sowohl des Entwurfs- als auch des Ausführungsprozesses notwendig.  Neben den historiographischen Aspekten wird auf den Erhaltungszustand der Befestigungsanlagen und die problematische Situation des Denkmalschutzes eingegangen.
Status: laufend
© Kriegsarchiv Wien, Volker Pachauer