Tomografische Analyse von Hochspannungs-Isoliersystemen
Die sichere Versorgung mit elektrischer Energie ist eine Grundvoraussetzung moderner Gesellschaften und spielt eine zentrale Rolle im Rahmen der Energiewende. Ein wesentlicher Bestandteil dieser Infrastruktur sind Hochspannungsleitungen und -komponenten wie Energiekabel oder Verbindungsmuffen. Ihre Zuverlässigkeit ist entscheidend für die Netzstabilität – insbesondere bei wachsender Nutzung von Hochspannungs-Gleichstromtechnologien (HVDC). Ein oft unterschätztes Risiko stellen dabei sogenannte Raumladungen dar: Ansammlungen elektrischer Ladungsträger innerhalb der Isoliermaterialien. Diese verändern über die Zeit das elektrische Feld in der Isolation, beschleunigen die Alterung und können im Extremfall zum Durchschlag und vollständigen Ausfall der Komponente führen. Ein einzelner Fehler in einem HVDC-System kann Reparaturzeiten von Wochen und erhebliche Kosten verursachen – mit Auswirkungen bis hin zu großflächigen Stromausfällen. Um solche Risiken frühzeitig zu erkennen und ihnen gezielt begegnen zu können, ist die präzise Messung und Analyse von Raumladungen in Isolationsmaterialien notwendig. Hier setzt das Projekt TAHIS an: Ziel ist die Entwicklung neuartiger Methoden zur Bestimmung von Ladungsverteilungen, die die Grenzen bestehender Verfahren überwinden. Die bislang vorherrschende Pulsed-Electroacoustic-Methode (PEA) gilt grundsätzlich als geeignet, stößt bei komplexeren Systemen jedoch rasch an ihre Grenzen. Die Signalverarbeitung ist störanfällig, liefert oft nur eingeschränkte Ortsauflösungen und ist empfindlich gegenüber Messrauschen. Zudem beruhen viele Auswerteverfahren auf heuristischen oder vereinfachten Modellen, was die physikalische Aussagekraft begrenzt. TAHIS verfolgt einen innovativen Ansatz, indem die Raumladungsmessung als inverses Problem formuliert wird – eine Methodik, die sich in der Bildgebung, der Geophysik und anderen Disziplinen bewährt hat. Physikalische Modelle des Messprozesses werden mit modernen statistischen Auswerteverfahren kombiniert. Dadurch lassen sich nicht nur die Messdaten besser ausnutzen, sondern auch Unsicherheiten systematisch berücksichtigen und vorhandenes Vorwissen gezielt integrieren. Ein zentraler Baustein des Projekts ist die vollständige Modellierung des Messprozesses – von der Wechselwirkung der Ladungsträger mit dem Material bis zur Erfassung des elektrischen Signals. Diese Modelle werden durch gezielte Experimente validiert und bilden die Grundlage für neue Rekonstruktionsalgorithmen, die eine deutlich robustere und genauere Bestimmung von Raumladungsverteilungen ermöglichen sollen. Parallel dazu wird ein neues Messverstärkersystem entwickelt, das optimal auf diese Anforderungen abgestimmt ist. TAHIS trägt damit zur Weiterentwicklung zerstörungsfreier Diagnostik in der Hochspannungstechnik bei und eröffnet neue Perspektiven für langlebigere, sicherere Isoliersysteme – insbesondere bei innovativen, umweltfreundlichen Materialien. Langfristig soll das Projekt Grundlagen schaffen für weiterführende Forschung etwa im Bereich Echtzeitdiagnostik oder digitaler Zwillinge elektrischer Infrastrukturen.