Niederspannungsnetze im Wandel

Herausforderungen zur Bewältigung des Übergangs vom passiven Endverbraucher zum aktiven Netznutzer

Das zukünftige Energieversorgungsnetz im Bereich der Niederspannung (Netzebene 6 bzw. 7) agiert nicht mehr nach dem bisher gängigen Top-Down-Prinzip, bei dem sich der Lastfluss vom übergeordneten Mittelspannungsnetz Richtung Niederspannungsnetz und damit zu dessen Verbrauchern einstellt. Die dort angeschlossenen Stromkunden, meist bestehend aus kleineren bzw. mittelgroßen Industrie-, Gewerbe- und Landwirtschaftsbetrieben sowie aus Haushalten, sind hier überwiegend ohmsch/induktive Verbraucher (zB Heizung/Antriebsmotoren). Dieses Prinzip wird jedoch zunehmend durch einen Netzbetrieb ersetzt, in dem die ursprünglich passiven Verbraucher auch zu aktiven Stromerzeugern werden. Verantwortlich für diese Entwicklung sind neue Technologien, darunter fallen die dezentralen, erneuerbaren Energiequellen (Renewable Energy Sources, RES) wie zB die Photovoltaik, aber auch dezentrale Stromspeicher. Ebenso durchdringen örtlich verteilte, leistungsstarke Verbraucher wie zB Ladestationen für Elektrofahrzeuge oder Klimaanlagen/Wärmepumpen sämtliche Stromverbrauchsschichten bis hin zum Einfamilienhaus. Aufgrund der zunehmenden Anzahl solcher Komponenten, deren Erzeugung bzw. Verbrauch oftmals stark schwankend ist, werden vormalige reine Verbrauchskunden auch zeitweise zu Erzeugern (Prosumern), zusätzlich wird sich deren Leistung und deren Verbrauch aufgrund von steigenden Volatilitäten am Strommarkt zukünftig erhöhen. Dies stellt neue Herausforderungen an das Niederspannungsnetz. Forschungsfragen in diesem Umfeld werden am Institut für Elektrische Anlagen und Netze der Technischen Universität Graz wissenschaftlich und praxisnah in Form von Forschungsprojekten, Kooperationsprojekten mit Industrie und Gewerbe behandelt.

Erzeugungsanlagen
Das Niederspannungsnetz ist aufgrund aktueller Entwicklungen mit einer immer größeren Durchdringung von dezentralen erneuerbaren Stromerzeugungsanlagen wie beispielsweise Photovoltaikanlagen konfrontiert.Diese Vielzahl an dezentralen Anlagen kann lokal zu einer Umkehr der konventionellen Richtung des Lastflusses in den überlagerten Netzebenen führen.

Begründet wird dies dadurch, dass sich gerade im Bereich von Stadtentwicklungs- bzw. Stadterneuerungsgebieten vermehrt Ansätze von autonomen Microgrids, oft in Verbindung mit lokalen Energiegemeinschaften bilden. Ebenso steigt die Anzahl an gemeinschaftlichen Erzeugungsanlagen im städtischen und im ländlichen Bereich. Diese und weitere Entwicklungen lassen bereits den Wunsch vieler nach Energieautonomie, wenn nicht sogar nach Energieautarkie, erkennen.

Im Rahmen dieses geänderten Betriebsweise ist die Involvierung eines der wichtigsten Fachbereiche der elektrischen Energietechnik unabdinglich: Der Schutz gegen elektrischen Schlag zur Gewährleistung des Personen- und Sachgüterschutzes. Durch die neuen Anforderungen aufgrund der Energiewende ergeben sich zu diesem Bereich neue Fragestellungen betreffend die Abschaltzeiten, die Selektivität der verbauten Schutzeinrichtungen, die Strombelastbarkeit von elektrischen Komponenten (zB Leitungen oder Kabeln) und viele mehr. Diesen und weiteren negativen Auswirkungen des elektrischen Stromes wie etwa Elektrobrände oder Elektrokorrosion ist eine eigene Rubrik gewidmet.

Herausforderungen in Haushalt und Industrie
Die jüngsten Entwicklungen zeigen, dass auch zukünftig das Konzept von lokalen Energiegemeinschaften, inklusive gemeinschaftlicher Erzeugungsanlagen und Energiespeichern eines der zentralen Themen im Bereich des Niederspannungsnetzes darstellt. Basierend auf diesem Ansatz werden in aktuellen Forschungsprojekten bereits zusätzlich die Möglichkeiten von direkten und indirekten Demand Response Schemen, als Option von Demand Side Management, erforscht. Dadurch werden wiederum vermehrt Smart Home / Home Automation Technologien im Bereich der Endkunden etabliert, wodurch die Kunden selbst einen besseren Einblick in den Energiefluss der eignen vier Wände, des Bürogebäudes oder des Industriestandorts erlangen. Dieser Energiefluss kann durch den intelligenten Betrieb von Ressourcen wie Heizung und Klimaanlagen ebenso wie Warmwasserbereitung und -speicherung entsprechend gelenkt werden.

Gekoppelt an den Zuwachs elektrischer Komponenten im Endnutzerbereich bedarf es jedenfalls auch eines entsprechend ausgelegten Schutzkonzeptes, um vor allem Personen und Sachgüter und die Anlagen und Komponenten selbst zu schützen.

Ebenso stellt die Energiespeicherung in Batterien (bzw. Akkumulatoren) ein aufstrebendes Anwendungsfeld dar, wobei die Kapazität und Leistung gemäß dem Kundenbedarf inklusive der entsprechenden Anwendungsfälle ausgelegt werden muss. Der Einsatz von Batteriespeichersystemen (en. Battery Energy Storage System) ist dabei zumeist mit bereits vorhandenen Erzeugungsanlagen gekoppelt und kann vom industriellen Großkunden über gewerbliche und landwirtschaftliche Betriebe bis hin zu Haushaltskunden stattfinden.     
Batteriespeicher gestatten auch den Netzbetreibern neue Möglichkeiten: Aufgrund der sehr schnellen Regelung und der Vier-Quadranten-Betrieb der Wechselrichter erlauben sie es beispielsweise durch Wirk- und Blindleistungsregelung aktiv in den Lastfluss einzugreifen sowie diesen zu steuern. Zusätzliche Anwendungsfälle bieten die inselnetz- und schwarzstartfähigen Wechselrichter, welche nicht nur für die Notstromversorgung von Endkunden, sondern auch für den Netzwiederaufbau im Falle eines Blackouts eine bedeutende Rolle tragen können.

Publikationen
2020
Herbst, D., Lagler, M. A., Schürhuber, R., Schmautzer, E., Fickert, L., Einfalt, A., Brunner, H., Schultis, D-L., Frühwirth, T. & Prüggler, W.
Zukünftige Anforderungen an Niederspannungsnetze und deren Lösungsansätze am Beispiel des Projekts PoSyCo

In: 16. Symposium Energieinnovation EnInnov 2020: ENERGY FOR FUTURE - Wege zur Klimaneutralität - Technische Universität Graz, Graz, Österreich, 13.02.2020 [Paper und Vortrag]

2019
Herbst, D., Schürhuber, R., Schmautzer, E.
Methods for the verification of protective measures for safety of DC charging stations for electric vehicles

In: Renewable Energy & Power Quality Journal, 17, 390-393., https://doi.org/10.24084/repqj17.320, 01.07.2019 [Journal Paper]

Herbst, D., Schürhuber, R., Schmautzer, E.
A contribution to protective measures against electric shock at DC charging station

In: IEEE Transportation Electrification Conference and Expo - ITEC 2019, Novi, USA / Vereinigte Staaten, 21.06.2019 [Paper und Vortrag]

Projekt Information
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Kontakt


Prof. Robert Schürhuber

 


Fakten

  • Laufzeit: Jänner 2019 – Dezember 2021
  • Projektleiter: Prof. Robert Schürhuber
  • Mitwirkende: Daniel Herbst, Mike Lagler

 


Partner

  • AIT
  • ASCR
  • Siemens AG
  • TU Wien (ESEA und ASG)
  • Moosmoar Energies
  • Wiener Netze
  • Wien Energie