„Richtiges“ Wohnen? Disziplinierung und Kontrolle des Wohnverhaltens „asozialer“ Familien in den Niederlanden mittels Architektur

Nadine Regenfelder

Betreuung:
Assoc.Prof. Mag.phil. Dr.phil.
Antje Senarclens de Grancy
Institut für Architekturtheorie, Kunst- und Kulturwissenschaften
2024

Link zur Diplomarbeit

 

Anfang des 20. Jahrhunderts führten Industrialisierung, Wohnungsnot und der Abriss unbewohnbarer Häuser in den Niederlanden zur Herausbildung der „Problemgruppe“ der „unzulässigen“ Familien. Diese Familien wurden von den Gemeinden und Wohnbaugesellschaften als „unzulässig“ für die verbleibenden und neugebauten Wohnungen angesehen und aus dem regulären Wohnungsmarkt ausgeschlossen. Als Reaktion auf diese soziale Herausforderung schuf die Stadt Amsterdam sogenannte „Wohnschulen“, spezielle, temporäre Unterkünfte für die als „asozial“ geltenden Familien. Ziel dieser Einrichtungen war es, die Bewohner*innen zu „ordentlichen“ Familien zu erziehen, die sich an die vorherrschenden gesellschaftlichen Normen und Wohnstandards anpassten. Die Wohnschulen waren dabei weit mehr als bloßer Wohnraum; sie dienten als Instrument sozialer Disziplinierung. Das tägliche Leben der Bewohner*innen wurde von Aufseher*innen streng überwacht, Regelverstöße wurden dokumentiert und sanktioniert, und es wurde kontinuierlich versucht, Verhaltensweisen im Sinne eines normativen Wohn- und Familienmodells zu steuern.

Die vorliegende Diplomarbeit widmet sich der Frage, wie Architektur in den Amsterdamer Wohnschulen Asterdorp und Zeeburgerdorp gezielt als Mittel der sozialen Kontrolle und Disziplinierung eingesetzt wurde. Sie untersucht, wie die räumliche Gestaltung genutzt wurde, um die Bewohner*innen zu überwachen, ihr Verhalten zu lenken und sie an ein normatives Wohnkonzept anzupassen. Dabei steht die Wechselwirkung zwischen gebauten Strukturen und sozialen Praktiken im Fokus. Architektur wird nicht als neutraler Hintergrund verstanden, sondern als aktives Werkzeug eingesetzt, mit dem Normen, Werte und Machtverhältnisse vermittelt und durchgesetzt werden. Die theoretische Auseinandersetzung macht deutlich, welche zentrale Rolle die Architektur beim Erlernen und Erzielen des „richtigen“ Wohnens spielte und welch integraler Bestandteil dieser umfassenden Disziplinierungsmaßnahme sie war.