Wo wäre die Zukunft der Bahn besser aufgehoben als in einem Projekt mit dem klingenden Namen Rail4Future? Erstmals arbeiten hier alle wichtigen Player des Bahnwesens eng zusammen und eröffnen einen gesamtheitlichen Blick auf das System Bahn. Der ist auch unbedingt notwendig, wenn der Schienenverkehr der Zukunft alle Anforderungen erfüllen soll. Angesichts einer geplanten Verdopplung des Personen- und Güterverkehrs in Österreich bis zum Jahr 2040 sind diese Anforderungen durchaus hoch.
Anhand einer möglichst genauen Simulation, einem digitalen Zwilling, wollen die Partner*innen des FFG-geförderten COMET-Projekts Rail4Future schon vor dieser geplanten Verdopplung eruieren, wie sich die Interaktion von Fahrzeug und Strecke bei erhöhtem Zugaufkommen gestaltet und welche Änderungen in unterschiedlichen Parametern welche Auswirkungen haben: in punkto Instandhaltung, Haltbarkeit und Verschleiß. Ein wichtiger Erfolg ist gleich mit dem Start des Projekts im März 2021 geglückt: Praktisch alle wesentlichen Bahn-Akteur*innen sind mit an Bord - von Infrastruktur über Stahlbau, Gleisbau, Schienenfahrzeugbau bis Maschinenbau. Dass sie für das gemeinsame Vorhaben alle auch ihre hochsensiblen Daten zur Verfügung stellen, ist einzigartig.
Fahrzeugbau und Streckenbau zusammenführen
Anders wäre die Umsetzung des Projekts auch gar nicht möglich. „Es geht darum, dass man die verschiedenen Komponenten aufeinander abstimmt“, erklärt Roman Weilguny vom Institut für Betriebsfestigkeit und Schienenfahrzeugtechnik der TU Graz. Teilt man die Bahn grob in die Bereiche Fahrstrecke und Fahrzeuge auf, dann haben diese beiden Seiten in der Vergangenheit wenig miteinander zu tun gehabt. Auf der einen Seite waren die Maschinenbauer*innen, die Fahrzeuge entwickelt haben, auf der anderen die Bauingenieur*innen, die sich um die Fahrstrecke gekümmert haben. Und beide Seiten haben unterschiedliche Ansätze, wie sie Dinge berechnen – auf Fahrzeugseite werden bis zu sehr hohen Frequenzen dynamische Rechnungen angestellt und auf Streckenseite sind eher statische Berechnungen gefragt.
Diese Ansätze gilt es bei Rail4Future in ein System zusammenzuführen, um damit die beispielhafte Strecke zwischen Bruck an der Mur und Graz so genau wie möglich zu simulieren und den besten Weg zum fahrwegfreundlichen Fahrzeug und dem fahrzeugfreundlichen Fahrweg zu finden. Das Fahrzeug wird dabei aus einzelnen Körpern für Räder, Fahrwerksrahmen und Wagenkasten erstellt, um eine Masse wie in der Realität zu simulieren und diese Teile werden dann virtuell mit Feder- und Dämpferelementen verbunden. Derartige Simulationen für Schienenfahrzeuge werden bereits seit einigen Jahren gemacht.
Zerstörerische Frequenzen
Recht neu ist allerdings die Simulation des Fahrwegs auf ähnliche Weise. „Eigentlich ist der Fahrweg im Computer auch nichts anderes als eine Linie für den Gleisverlauf und darunter habe ich ebenfalls Feder- und Dämpferelemente, die den Schotter und die Schwellen darstellen. Sobald das Fahrzeug drüberfährt, sinkt das ein bisschen ein und federt dann wieder aus. Und diese Kombination von Fahrzeug und Fahrweg macht es im Endeffekt aus“, sagt Roman Weilguny. Alles, was oben im Fahrzeug an Belastungen angeregt wird, kommt auch unten an und dadurch konnte beispielsweise schon festgestellt werden, welche Frequenzen den Schotter unter dem Gleis kaputt machen.
So einfach, wie es klingt, ist die Sache aber natürlich nicht. Denn trotz zahlreicher Normierungen im Bahnwesen gibt es nach wie vor einige Parameter, die nicht einfach so normiert werden können. Als Beispiel sei hier der Schotter angeführt, der beim Streckenbau zum Einsatz kommt. Einerseits gleicht kein Schotterteil dem anderen, andererseits kann der Schotter je nach Abbaugebiet in seinen Eigenschaften stark variieren. So etwas zuverlässig zu simulieren und daraus verlässliche Prognosen abzuleiten, ist daher ein äußerst schwieriges und vor allem rechenintensives Unterfangen – immerhin kann sich in der Realität der verwendete Schotter auf nur ein paar Metern Fahrweg stark unterscheiden.
Jeder Bereich hat seine Tücken
Ferdinand Pospischil vom Institut für Eisenbahn-Infrastrukturdesign an der TU Graz kennt noch zahlreiche weitere Faktoren, die für die Simulation der ganzen Strecke zwischen Graz und Bruck an der Mur nur schwer hundertprozentig genau darstellbar sind. „Da kommt etwa unterhalb der Strecke ein Durchlass, wie ein kleines Rohr, und die vorhandenen Steifigkeiten des Unterbaus sind nicht prognostizierbar. Dann haben wir beispielsweise lokale Temperaturunterschiede durch Tunnel, Brücken und Böschungen oder es gibt Entwässerungsprobleme und so weiter. Und so hat eben jeder Bereich seine Tücken“, sagt Ferdinand Pospischil. Auch das unterschiedliche Alter verschiedener Streckenabschnitte oder von Unterbauelementen wie Brücken spielt hier eine Rolle. Dennoch erkennt Ferdinand Pospischil auch das Potenzial, das Rail4Future bietet. „Ich glaube, das Projekt wird auf jeden Fall weiterhelfen, dass wir in der Planung mehr wissen, was wir eigentlich tun und die Zukunft von der Instandhaltung, vom Verschleiß, von der Nutzung auch vorhersehen können.“
Besonders wichtig wird es sein, die Auswirkungen von Veränderungen im System schon vorab digital vorhersagen zu können – etwa, wenn andere Schwellentypen und elastische Elemente eingesetzt werden oder andere Zugantriebe zum Einsatz kommen. Durch die zuverlässige Simulation von Veränderungen wird sich auch die Entwicklung neuer Bauteile beschleunigen. Musste ein neu konstruiertes Teil, beispielsweise ein Schienenstützpunkt, bislang nach der Entwicklungszeit erst einmal jahrelang im Realbetrieb getestet werden, wird dies dann digital möglich sein. Vor- und Nachteile des neuen Bauteils offenbaren sich so viel schneller.
Zukunftsprognosen für veränderte Bedingungen
Angesichts des angestrebten Zugzuwachses sind auch für altbekannte Bauteilen Prognosemöglichkeiten dringend gefragt. Für Stefan Marschnig vom Institut für Eisenbahnwesen und Verkehrswirtschaft der TU Graz kann so etwas nur digital funktionieren. Er hat sich unter anderem auf das Thema Weiche spezialisiert, die als bewegliches Teil im Gleis ihre ganz eigenen Herausforderungen mit sich bringt. Mit den Messdaten, die bislang gesammelt werden, kann Stefan Marschnig zwar abschätzen, wie sich Weichen bei gleichbleibendem Fahrzeugmix verhalten. Das wird für die Zukunft aber nicht genügen.
Auch er sieht das Problem der vielen Parameter, die nur schwer und jedenfalls nur mit enormen Rechenleistungen in eine Simulation gebracht werden können. „Wir simulieren da jetzt nicht das Triebwerk von einem Flugzeug. Das ist ein gebautes Teil. Das geht halt bei uns nicht. Erstens liegt alles draußen. Zweitens ist die Fahrbahn so wie sie ist. Jede Schwelle ist anders. Unterhalb ist Schotter. Das ist ein Naturprodukt. Da können wir nicht einfach so sagen, dass wir genau wüssten, wie sich jedes Schotterkorn verhält“, sagt Stefan Marschnig. Und trotz dieser Einschränkungen sieht er die Vorteile von Rail4Future, besonders wenn es darum geht, sich die Entwicklungen für das gesamte Bahnnetz anzusehen. „Was passiert denn, wenn viel mehr Züge fahren? Das ist etwas, was einen größeren Betrachtungsumfang braucht. Den werden wir zur Verfügung stellen.“
Eine Vorlesung für alle Seiten
Dieser Betrachtungsumfang vergrößert sich durch Rail4Future aber auch an der TU Graz selbst. Durch das Projekt hat sich der Austausch der drei beteiligten Institute erheblich intensiviert. Mittlerweile ist sogar eine neue, gemeinsame Vorlesung entstanden. Unter dem Titel „Messung, Monitoring und Design im Eisenbahnbau“ beleuchten Lehrende der Institute für Eisenbahn-Infrastrukturdesign, für Betriebsfestigkeit und Schienenfahrzeugtechnik sowie für Eisenbahnwesen und Verkehrswirtschaft alle Seiten des Eisenbahnbaus– somit hat Rail4Future auch hier völlig neue Zugänge zum Thema Bahn eröffnet.
Dieser Artikel ist Teil des TU Graz Dossiers „Alles auf Schiene: Was braucht die Bahn von morgen?”. Sie möchten die aktuellen Stories, News, Forschungsgeschichten, Interviews oder Blogbeiträge der TU Graz direkt auf Ihr Smartphone oder in Ihren E-Mail-Eingang erhalten? Abonnieren Sie kostenfrei den TU Graz-Telegram-Newsletter.