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Digitales Entwerfen und Bauen mit Holz, Lehm und System

18.07.2019 | Face to face

Von Ute Wiedner

Computerunterstütztes Entwerfen und Bauen mit natürlichen Werkstoffen sind ein Widerspruch? Nicht für TU Graz-Architekten Urs Hirschberg, der digitale Planung als Chance für nachhaltige Architektur sieht.

Forschungsprojekte ganzheitlich zu denken und mit Studierenden umzusetzen – dafür schlägt das Herz von Urs Hirschberg, Leiter des Instituts für Architektur und Neue Medien und Koordinator des Field of Expertise „Sustainable Systems“. © Wiedner – TU Graz

News+Stories: Sie forschen im Bereich des digitalen Bauens, genauer gesagt der „Augmented Architecture“. Worum geht es dabei?

Hirschberg: Wir sehen „Augmented Architecture“ als kritischen Leitbegriff für die Anwendung der digitalen Medien in der Architektur: vom Entwerfen mit digitalen Entwurfswerkzeugen über neue Formen der vernetzten Zusammenarbeit bis hin zum Bauen mit Robotern oder zu Sensoren und Aktuatoren in Gebäuden.„Augmented Architecture“ bedeutet, dass ein echter Mehrwert entsteht, eine Erweiterung der Architektur. Wir entwickeln am Institut für Architektur und Medien (IAM) der TU Graz vieles quasi im virtuellen Raum, das heißt wir simulieren Dinge am Computer. Aber wir setzen unsere Ideen auch gerne in Prototypen um. Die Materialität, das Eins zu Eins ist eine ganz andere Sache als die Abstraktion am Computer. Deswegen ist die digitale Fabrikation eine besondere Herausforderung. Man kann neue, nachhaltige Bauweisen entwickeln, aber nur, wenn man das Material und die Maschine von Anfang an mitdenkt.
Neben der Entwicklung von neuartigen Bauweisen beschäftigen wir uns auch mit speziellen Formen der Visualisierung. Im Moment forschen wir im FWF-Projekt „Nagara Architecture“ unter anderem daran, wie Kulturdenkmäler auf digitale Weise erklärt, bewahrt und vermittelt werden können. Unser Forschungsspektrum am IAM ist breit, aber in allen Fällen geht es darum, dass digitale Medien neue Türen öffnen.

Die Fridays for Future-Bewegung mahnt mit neuer Dringlichkeit konkrete Klimaschutzmaßnahmen ein. Spielt Umweltschutz eine Rolle bei der digitalen Planung?

Hirschberg: Aktuelle Methoden der optimierten Planung wie „Building Information Modeling (BIM)“ tragen zum nachhaltigen Bauen bei. Architektinnen und Architekten können mit diesem Werkzeug vom Entwurf bis zum fertigen Bau wesentlich komplexere Informationen bearbeiten als früher und die Energieeffizienz von Bauten bereits im Entwurf überprüfen. So treffen wir früh Weichenstellungen, die Ressourcen und Kosten sparen – bevor die wichtigen Entscheidungen getroffen sind und der Aufwand, noch etwas zu ändern, viel größer wäre. Daran haben wir auch im FWF-Projekt „Augmented Parametrics“ gearbeitet.

Das FWF-Projekt „Erweiterte Parametrik – Simulation und Expertenwissen im parametrischen Entwerfen“ soll fehlende Entscheidungshilfesysteme in ein digitales Entwurfsprogramm für Holz-Architektur integrieren. Dadurch können Architektinnen und Architekten mit neuen, komplexeren Energieeffizienzbestimmungen im Rahmen eines normalen Entwurfsprozesses kreativer umgehen.

Wie finden diese Methoden Eingang ins Architekturstudium?

Hirschberg: In Form von Projekten mit Studierenden, wo wir neue Bautechniken digital entwerfen, dann digital gestützt bauen und dabei auch noch nachhaltige Werkstoffe wie Holz oder Lehm verwenden. Ein Beispiel ist der Holzpavillon „Twist“, den wir im Masterstudium Architektur als Prototyp eines Infostands für die Region Murau entwickelt und am Gelände der alten Technik aufgebaut haben. Da ging es auch darum, eine neue Art und Weise, mit Holz umzugehen zu erfinden. Die neuen digitalen Techniken standen nicht im Mittelpunkt, aber das Ergebnis – vom Entwurf des Traggerüsts aus verdrehten Holzlatten bis zur Umsetzung – war nur durch die Arbeit damit möglich. Dass alles mit wenig Ressourcenaufwand so sauber gefügt werden konnte, dass nicht wie üblicherweise bei Holzbauten in dieser Größenordnung Stahlverbindungen und große Schrauben zu sehen sind, liegt daran, dass Computer gesteuert gefräst wurde. Uns geht es nie darum, mit neuen Technologien zu protzen, sie sind nie Selbstzweck.


Modernste digitale Planungs- und Fabrikationsmethoden, etwa der Einsatz der Abbundmaschine ROBOT-Drive der Firma Hundegger, die den Holzzuschnitt von der CAD-Zeichnung bis zum fertigen Bauteil hochpräzise erledigte, machten die Umsetzung des Entwurfs für den Pavillon aus Lärchenholz möglich.

Gab es auch mit dem Baustoff Lehm konkrete Projekte im Studium?

HIrschberg: Wir haben im letzten Semester das Masterstudio im Architekturstudium dem Lehmbau gewidmet, einen kleinen Pavillon auf dem Gelände der Taggerwerke errichtet und dabei viel mit dem Material ausprobiert. Für das ausgeführte Projekt haben wir aus Lehm und Bauschutt in den richtigen Körnungsgrößen Stampflehm zusammengemischt. Davor haben wir viele Materialproben gemacht und unterschiedliche Bearbeitungen ausprobiert. Die Studierenden lernen so im Masterstudium Architektur den Umgang mit einem Material, das im Zuge der Nachhaltigkeitsdiskussion stark an Relevanz gewonnen hat. Was die graue Energie angeht – also die Energiemenge, die inklusive Herstellung, Transport, Lagerung und Entsorgung aufgewendet wird – ist Lehm fast unüberbietbar. Meistens ist es möglich, den Aushub der Baugrube zu verbauen. Und es gibt ihn fast überall. Weil Bauen mit Lehm im Vergleich zu anderen Bauformen relativ langwierig ist, wurde es in der jüngeren Vergangenheit für absolut unmöglich gehalten. Mittlerweile gibt es Bauten von großen Architekturbüros wie Herzog & de Meuron oder die experimentellen Projekte im Umfeld des Keramikers und Bildhauers Martin Rauch in Vorarlberg. Wir haben im Rahmen des Masterstudios eine Exkursion nach Marokko gemacht und uns die dort traditionellen Lehmbauten angesehen. Auch bei uns existiert diese Tradition. Das Wissen wurde aber verschüttet.

Optimierte Planung, nachhaltige Materialien – sind das für Sie die zentralen Aspekte, wenn es um nachhaltiges Bauen geht?

Hirschberg: Ich habe eingangs die Forschungen am Institut für Architektur und Medien zum Thema „Cultural Heritage“ erwähnt. Aus meiner Sicht werden die kulturellen Aspekte von Nachhaltigkeit zu wenig diskutiert. Bauten müssen auch Identifikationsmöglichkeiten bieten.
Das Projekt der Infopavillons für die Region Murau ist ein gutes Beispiel dafür. Holz war als Baumaterial vorgegeben. Aber wir haben bewusst Lärchenholz eingesetzt, mit dem man sich in der Region Murau identifiziert – und es mit unserem Know-how auf zeitgenössische Art und Weise verarbeitet. Das hat funktioniert. Zwei Studierende und ein Betreuer setzen die Pavillons nun um. Es muss keine Entkoppelung geben von dem, was „die Verrückten an der Hochschule“ tun und dem, was in den ländlichen Regionen gefällt.
Oft denkt man bei Nachhaltigkeit ausschließlich an Energiekennzahlen, aber eine lebenswerte Architektur, in der ich mich wohlfühle, ist auch ein gutes Stück Nachhaltigkeit.

Oft denkt man bei Nachhaltigkeit ausschließlich an Energiekennzahlen, aber eine lebenswerte Architektur, in der ich mich wohlfühle, ist auch ein gutes Stück Nachhaltigkeit.

Sie haben schon einiges über Projekte im Architekturstudium erzählt. Ist es die Lehre, die Sie an Ihrem Beruf begeistert?

Hirschberg: Mir machen viele Dinge Spaß – etwa auf einer Konferenz über den Zusammenhang von Architektur und Musik zu sprechen, den wir in unserer „Scripting Class“, einem Kurs im Bachelorstudium Architektur ausprobiert haben. Aber am meisten liebe ich es an Themen zu forschen, die ich in Lehrveranstaltungen im Architekturstudium eins zu eins umsetzen kann. Natürlich ist ein Lehmbau, den wir mit Studierenden in einem Semester realisieren, nicht wirklich vergleichbar mit der Tiefe der Auseinandersetzung, die wir in einem FWF-Projekt erreichen. Trotzdem ist die Herangehensweise eine forscherische. Das Schöne an der Architektur ist, dass wir die Möglichkeit haben, Forschung und Lehre relativ eng zu führen. In der Architektur gab es immer eine entwurfsgeleitete Forschung, die sich nicht in etablierten akademischen Formen bewegt. Es gab wenige Dissertationen und diese setzten sich entweder mit historischen Themen oder technischen Fragestellungen auseinander. Das ändert sich langsam. Es gibt jetzt auch Dissertationen zu entwurfsgeleiteten Themen. Ich bin Koordinator des Netzwerks Architectural Research European Network Association (ARENA), das sich mit der Förderung der Architekturforschung beschäftigt. Die Architektur ist heute weltweit stärker gefordert zu forschen und ihre Forschung zu publizieren.

Urs Hirschberg koordiniert die Forschung rund um das Thema Nachhaltigkeit im Field of Expertise (FoE) „Sustainable Systems“ der TU Graz. „Ich sehe hier die Möglichkeit, das ganzheitliche, systemische Denken, das neben technischen Kennwerten auch soziale, gestalterische und kulturelle Kriterien berücksichtigt, aus der Architektur stärker in andere Forschungsbereiche einzubringen – und unsere Erfahrung mit der Zusammenarbeit in Netzwerken“, erklärt Hirschberg. Große Themen der Nachhaltigkeit – wie bauen wir unsere Städte, wie funktioniert Mobilität – sind nur durch Zusammenarbeit über die Grenzen der wissenschaftlichen Fachbereiche hinweg zu lösen. Genau das geschieht im interdisziplinären Gefüge des Field of Expertise.

In Ihrer Forschung haben Sie sich mit kreativer Zusammenarbeit in Netzwerken intensiv auseinandergesetzt. Entspricht es nicht eher dem Berufsbild von Architekten oder Architektinnen autonom kreativ-künstlerisch zu entwerfen?

Hirschberg: Das ist eine verbreitete Vorstellung, die den Architektenalltag völlig falsch widergibt. Es heißt immer „ein Bau von Frank Gehry“ oder „von Zaha Hadid“ oder „von Norman Foster“ – aber letztlich sind hunderte von Personen an jedem dieser Bauwerke beteiligt. Vieles entsteht im Austausch. Ich habe mich ab Mitte der 1990er-Jahre, damals als Assistent an der ETH Zürich, mit datenbankgestützten Plattformen für die Lehre beschäftigt, die den Studierenden schon in den Anfängen des World Wide Web erlaubten, besser voneinander zu lernen. Nachdem ich 2002 an die TU Graz gekommen bin, haben wir das vernetzte Zusammenarbeiten auf verschiedenste Art und Weise ausprobiert und als Werkzeug in der Lehre weiter entwickelt. Der Grundgedanke: Es entsteht ein Mehrwert, wenn wir einander offen zeigen wie und woran wir arbeiten, und nicht nur das – man darf auch Ideen klauen. Die einzige Spielregel ist: Wenn ich die Arbeiten von Kolleginnen oder Kollegen aufnehme und dran weiter arbeite, muss ich das deklarieren. Ich habe meine Dissertation über kollektive Kreativität geschrieben. Im Grunde wollte ich die Art, wie in der Anfangszeit der Informatik freie Betriebssysteme aufgenommen und weiter entwickelt wurden, auf die kreativen Prozesse in der Architektur anwenden.

Niemand fängt bei null an. Wir haben gesagt: Es ist okay, auch Mozart hat abgekupfert. Wir lernen viel mehr, wenn wir nicht versuchen, alles nur aus uns selber zu schöpfen, sondern bewusst Ideen übernehmen und – das ist natürlich ganz wichtig – dann selbst weiter entwickeln.

Der Open Source Gedanke, bezogen auf Kreativität?

Hirschberg: Genau. Der Open Source Gedanke wird in sogenannt kreativen Disziplinen wie der Architektur zwar gelebt, aber nach außen negiert. Jeder und jede ist selber genial. Niemand übernimmt von irgendjemandem etwas – und man weiß natürlich: Die Wahrheit ist eine andere. Alle verwenden Zeitschriften und Architekturportale. Bilder und Ideen werden nicht immer bewusst gestohlen, sie verselbständigen sich in den Köpfen, gerade in der Architekturausbildung. Niemand fängt bei null an. Wir haben das explizit gemacht und gesagt: Es ist okay, auch Mozart hat abgekupfert. Wir lernen viel mehr, wenn wir nicht versuchen, alles nur aus uns selber zu schöpfen, sondern bewusst Ideen übernehmen und – das ist natürlich ganz wichtig – dann selbst weiter entwickeln. Die Austauschplattformen, die wir in der Lehre verwenden, helfen den Studierenden, sich im Vergleich mit anderen besser einschätzen zu können. Aber sie steigern auch das Niveau insgesamt: wo mehr Austausch ist, entsteht auch mehr Fortschritt.
Das gilt im Übrigen natürlich auch für die Arbeit an den Problemen der Nachhaltigkeit: Wir sind geradezu verpflichtet, über Fachgrenzen hinweg gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Und unsere Chancen auf Erfolg steigen, wenn wir das tun.

Im Jahr des 15-jährigen Bestehens des Instituts für Architektur und Medien (IAM) finalisiert Urs Hirschberg mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Arbeitskreis Architekturinformatik, einem Zusammenschluss der deutschsprachigen CAD-, Architektur- und Medienprofessuren, einen Atlas digitaler Architektur. Außerdem entsteht eine Publikation über 15 Jahre Forschung und Lehre am IAM.

Urs Leonhard Hirschberg

Geboren 1966 in Zürich, hat Urs Leonhard Hirschberg an der ETH Zürich Architektur studiert und seine Doktorarbeit abgeschlossen. 1993 bis 2000 forschte und lehrte er dort im Bereich Architektur und CAAD. Mit einem Partner gründete er parallel ein Start-up basierend auf der Idee offener Architekturdatenbanken. 2000 schloss er das Start-up und ging als Assistant Professor of Design Computing an die Harvard Graduate School of Design. 2002 folgte er dem Ruf als Professor für Darstellung der Architektur und Neue Medien an die TU Graz, wo er das 2004 gegründete Institut für Architektur und Medien leitet. Von 2004 bis 2013 stand er als Dekan der Fakultät für Architektur vor. Seit 2013 leitet er das Field of ExpertiseSustainable Systems“ der TU Graz. Privat entspannt er sich beim Spiel von Geige, Bratsche oder Klavier, beim Radfahren, Wandern, Schwimmen oder auf der Schipiste.

Kontakt

Urs Leonhard HIRSCHBERG
Univ.-Prof. Dipl.-Arch. Dr.sc.ETH
Institut für Architektur und Medien
Kronesgasse 5
8010 Graz
Tel.: +43 316 873 4728
hirschbergnoSpam@tugraz.at