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Im Fitnesscheck: Energiewende, Stromnetze und Elektromobilität

19.07.2023 | Planet research | FoE Mobility & Production | FoE Sustainable Systems

Von Birgit Baustädter

Herwig Renner und Daniel Herbst forschen an der TU Graz an unserem elektrischen Energiesystem und erklären im Interview, ob unsere Stromnetze für die Elektromobilität gewappnet sind.

Können unsere Stromnetze dem Wandel in der Mobilität standhalten? Bildquelle: Lunghammer - TU Graz

News+Stories: Sie beide beschäftigen sich mit den Stromnetzen, deren Sicherheit und deren Ausbau. Sind unsere Stromnetze für den steigenden Strombedarf, vor allem aufgrund der Elektromobilität, gewappnet?

Herwig Renner: Wenn wir in Zukunft unsere Fahrzeuge sehr schnell laden wollen, dann werden wir sehr hohe Leistungen brauchen. Mit unseren aktuellen Niederspannungs- und Mittelspannungsnetzen wird das vermutlich nicht schaffbar sein. Alleine schon deswegen, weil neben der Elektromobilität auch eine große Nachfrage nach Wärmepumpen und der Wunsch nach eigenen Photovoltaikanlagen gegeben ist. Natürlich könnte es jetzt heißen: Was die Photovoltaik zusätzlich an Energie ins Netz einspeist, entnehmen Wärmepumpen und Elektrofahrzeuge wieder – das Gleichgewicht ist also gegeben. Aber so ist das nicht, weil das ja nicht gleichzeitig und auch nicht am selben Ort passiert.

Daniel Herbst: Es kursieren unterschiedliche Zahlen. Einmal wird von 1,6 Millionen Elektrofahrzeugen bis 2030 gesprochen, ein anderes Mal von 1.500 Ladepunkten mit jeweils 150 Kilowatt Ladeleistung für E-Pkw und 1.300 Ladepunkte für E-Lkw mit jeweils 1 Megawatt an Verkehrsknotenpunkten in ganz Österreich. Wenn diese Zahlen zutreffen, dann sprechen wir nicht von einigen zusätzliche Transformatoren, sondern eher von ganzen Umspannwerken, die neu errichtet werden müssten, um diese Leistungen bereitzustellen.

Renner: Wir müssen natürlich nicht nur die Schnellladestationen an Verkehrsknotenpunkten betrachten, sondern auch die Ladestationen bzw. Wallboxen bei Einzelhaushalten, wo Nutzerinnen und Nutzer ihre Fahrzeuge zuhause laden wollen. Ist das eine Person in einer Siedlung, dann wirkt sich das kaum auf das Verteilernetz aus. Wenn es aber 100 Haushalte gleichzeitig sind, dann kann die zusätzliche Last eine kritische Schwelle übersteigen. Hier liegen die großen Herausforderungen vor allem in der Regelung und im netzdienlichen Verhalten der einzelnen Haushalte.

Daniel Herbst. Bildquelle: Lunghammer - TU Graz

Was meinen Sie damit?

Renner: Wenn ich ein Fahrzeug am Abend anstecke und in der Früh wieder für die Fahrt zur Arbeit benötige, dann muss es nicht unbedingt auf der Stelle geladen sein. Hier könnte zum Beispiel eine künstliche Intelligenz autonom dafür sorgen, dass das Auto dann geladen wird, wenn die Last im Netz gerade niedrig ist oder gerade viel Strom zur Verfügung steht.

Herbst: Das gleiche gilt für andere Haushaltsgeräte wie eine Waschmaschine oder einen Geschirrspüler. Als Nutzerin oder Nutzer äußere ich nur den Wunsch, dass mein Fahrzeug um 7 Uhr morgens geladen und meine Wäsche um 6 Uhr abends gewaschen ist. Und den Rest regelt das System von selbst.

Ist es damit getan? Sind wir so für die Herausforderungen der Energiewende gewappnet?

Renner: Nein. Es ist durchaus erstrebenswert, Wege zu finden, wie unsere bestehende Netzinfrastruktur effizienter genutzt werden kann. Sie ist derzeit auf selten erreichte Spitzenleistungen ausgelegt. Aber um einen rascheren Netzausbau werden wir nicht herumkommen.

Herwig Renner (Mitte) mit Robert Schürhuber und Katrin Friedl. Bildquelle: Lunghammer - TU Graz

Was ist dafür notwendig oder aus Forschungssicht wünschenswert?

Renner: Das ist sehr schwer zu quantifizieren. Insbesondere im Bereich der Mittel- und Niederspannungsebene müssen wir ausbauen. Oder überlegen, ob nicht in bestimmten Fällen ein technologischer Wechsel hin zu Gleichstromnetzen sinnvoll wäre. Damit könnten höhere Leistungen über größere Strecken zu einem großen Teil unterirdisch transportiert werden. Aber auch dieses Netz müsste erst neu gebaut werden.

Herbst: Mit Blick auf die Elektromobilität gibt es auch die Möglichkeit von speicherintegrierter Ladeinfrastruktur. Das sind Ladestationen an exponierten Stellen, die nicht laufend genutzt werden und deshalb einen Speicher nutzen könnten, der langsam über mehrere Tage geladen wird. Oder Batterietauschsysteme: Eine Batterie wird langsam geladen, während die andere im Einsatz ist.

Renner: Die große Herausforderung liegt derzeit bei den Netzbetreibern. Damit ich zu Hause ein Fahrzeug langsam laden kann, brauche ich nur wenig an meiner eigenen Hausinstallation ändern. Wenn das aber zu viele Personen in meiner näheren Umgebung tun, dann wird es spätestens am Niederspannungstransformator zum Problem. Hier müssen Netzbetreibende mit Ausbau und Regelungstechnik gegensteuern.

Die Netze werden ja laufend ausgebaut und erweitert. Aber kann der Ausbau mit den aktuellen Veränderungen in der Gesellschaft mithalten?

Renner: Derzeit wandelt sich die Gesellschaft schneller, als unsere Netze ausgebaut werden. Wenn wir die Klimaziele 2030 erreichen wollen, dann ist das viel zu langsam. Derzeit sind auch die Lieferzeiten für Infrastruktur enorm und es fehlt an qualifiziertem Personal.

Netzausbau bedeutet ja auch mehr Leitungen, oder?

Renner: Wir sprechen hier vom Verteilernetz und das spielt sich überwiegend unter der Erde ab. Es sind aber nicht nur die Leitungen. Auch gegen neue Photovoltaik-Anlagen im Grünland und gegen Windräder auf Bergen gibt es Widerstand. Den ich ja auch verstehe.

Warum werden solche neuen Anlagen nicht auf bestehender Infrastruktur wie Parkplätzen, Dächern oder Straßen gebaut?

Renner: Es tut sich immer mehr. Mehrere Unternehmen bieten bereits Ständer für Photovoltaik-Paneele an, die auf Parkplätzen aufgestellt oder in Fassaden integriert werden können. Nicht zuletzt können solche Anlagen für zusätzliche Beschattung eingesetzt werden. Bei bestehender Infrastruktur ist aber immer die Statik eine Frage - und natürlich auch die Kosten. Die billigste und schnellste Variante, möglichst viele Quadratmeter an Photovoltaik-Fläche zu bekommen, ist noch immer der Bau im Grünland.

Woran arbeiten Sie aktuell?

Herbst: Ich beschäftige mich mit Forschungs- und Unternehmenspartnern vor allem mit dem Thema Vehicle to Grid – also der Möglichkeit, nachhaltigen Strom in Elektro-Fahrzeugen zwischenzuspeichern. Auf der anderen Seite beschäftige ich mich mit dem sicheren Betrieb von Ladeinfrastruktur. Öffentliche Ladestationen sind sehr oft exponiert und müssen mechanische Einflüsse sowie die Witterung aushalten. Und ich bin auch in der elektrotechnischen Normung im Österreichischen Verband für Elektrotechnik tätig. Elektromobilität ist ein multidisziplinäres Thema, von der Erzeugung der elektrischen Energie, der Verteilung, den Installationen, der Übergabe zur Ladeinfrastruktur bis hin zur Ladung des Fahrzeugs. Da arbeiten sehr viele Branchen gemeinsam um die Herausforderungen zu stemmen.

Dieser Artikel ist Teil des aktuellen TU Graz-Dossiers "Aufgeladen" zum Thema Elektromobilität. Unter www.tugraz.at/go/dossiers finden sich regelmäßig zu einem neuen Schwerpunktthema Newsmeldungen, Interviews, grundlegende Informationen, Kontakte zu Expertinnen und Experten, Videos, Podcasts und Fachmeinungen.

Kontakt

Herwig RENNER, Ao.Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn.

Daniel HERBST, Dipl.-Ing. BSc

Institut für Elektrische Anlagen und Netze
Inffeldgasse 18/1
8010 graz
Tel.: +43 316 873 7551