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Macht uns Physik-Wissen zum Sport-Ass?

01.12.2020 | TU Graz screenshots | TU Graz news | Forschung | Studium

Von Dr. Daniela Müller

Standup-Paddling, die Bernoulli-Gleichung und der Lottosechser: Das alles hat mit Physik zu tun. Im Gespräch mit Gernot Pottlacher, Experimentalphysiker an der TU Graz.

Was hält das Boot eigentlich auf dem Wasser? Und wie kann Physik-Wissen Sportlerinnen und Sportlern helfen? Experimentalphysiker Gernot Pottlacher verrät das und mehr im Interview.

Albert Einstein sagt man nach, während seiner Zeit an der ETH Zürich so unverständliche Vorlesungen gehalten zu haben, dass die Studierenden ausgeblieben sind. Kann man Physik einfach und ohne großes Formelwissen erklären?

Gernot Pottlacher: Ja, es ist möglich, das machen mein Team und ich jedes Jahr in meiner Weihnachtsvorlesung.

Dann erklären Sie uns bitte kurz und einfach: Was genau hält uns auf dem Wasser?

Gernot Pottlacher: Als erstes brauchen wir einen Auftrieb. Der ist dann gegeben, wenn das Volumen des Körpers das Wasser verdrängt. Ein schweres Schiff kann schwimmen, weil es verhältnismäßig wenig Metallvolumen im Vergleich zum Gesamtvolumen hat. Also: Das Wasservolumen, das verdrängt wird, bestimmt den Auftrieb. Und wenn das der Fall ist, kann das Objekt schwimmen. Zweitens: Der Gegenstand, der aufgetrieben wird, muss die richtige Schwerpunktlage haben. Nehmen wir einen Bleistift: Wenn ich den aufrecht in das Wasser stelle, wird er schnell umfallen. Man spricht von einer labilen Gleichgewichtslage. Legt man den Bleistift quer, entsteht ein stabiles Gleichgewicht. So ist es möglich, auf einem Paddleboard auf dem Wasser zu sitzen. Dann kommt als dritter Punkt die Paddelbewegung hinzu, die sogenannte Impulserhaltung: Die gleiche Kraft, die ich mit der Paddelbewegung nach hinten einbringe, treibt mich nach vorne, wie beim Flugzeug, wo Luft durch die Turbine gewirbelt und hinten mit einer hohen Geschwindigkeit ausgestoßen wird, was das Flugzeug nach vorne fliegen lässt (das besagt die Bernoulli-Gleichung, Anm.). Beim Paddeln kommt noch die Drehimpulserhaltung dazu.

Bitte um Erklärung.

Gernot Pottlacher: Beim Radfahren haben Sie zwei Kreisel, die Stabilität geben: die Räder. So ein stabilisierender Kreisel fehlt beim Paddleboard oder beim Kajak. Dazu kommen auch noch Wellen, Strömungen und Steine, die das Kajak instabil machen. Ein Kajakfahrer muss deshalb die Eskimorolle beherrschen, damit er sich beim Kentern weiterdreht und wieder nach oben kommt. Um das Kentern zu verhindern, haben die Polynesier ihren Booten, den Einbäumen, einen Ausleger verpasst, damit sie im Wasser stabiler sind und sich nicht drehen.

Was passiert, wenn der menschliche Körper dazukommt?

Gernot Pottlacher: Dann verlagert sich der Schwerpunkt nach oben und das System ist nicht mehr so ausgewogen. Das bedeutet für die SportlerInnen, das Gleichgewicht halten zu müssen. Der Körper muss nun spüren, was zu tun ist: mit den Knien abfedern, mit dem Paddel ausgleichende Bewegungen machen oder sich hinsetzen oder -legen, damit der Schwerpunkt nach unten gelangt.

Hat der Körper so etwas wie ein physikalisches Wissen, dass er automatisch das Richtige tut?

Gernot Pottlacher: Der eine mehr, der andere weniger. Das muss man trainieren. Übung macht den Meister.

Können Sie als Physiker vor anderen erkennen, dass jemand vom Kajak oder Boot ins Wasser fallen wird?

Gernot Pottlacher: Ich glaube schon. Das ist ähnlich wie bei dem zu schnell fahrenden Auto, bei dem man schon beim Hinsehen erahnen kann, dass es nicht in der Kurve bleiben wird.

Hätten wir weniger Probleme in der Welt, wenn wir uns in Physik besser auskennen würden?

Gernot Pottlacher: Ich würde sagen: Überall dort, wo Technik im Spiel ist, würde uns mehr Physik-Wissen sehr wohl helfen.

Warum ist vieles in der Physik so schwer vorstellbar, die Unendlichkeit des Universums zum Beispiel?

Gernot Pottlacher: Räumlich oder zeitlich? Beides ist schwer vorstellbar. Aber alles ist relativ: Fünf Minuten können unendlich lang sein, wenn man mit einer Person mit Herzinfarkt auf die Rettung wartet, und unendlich kurz, wenn man mit etwas Spannendem beschäftigt ist. Auch für mich ist die Lichtgeschwindigkeit eine relativ unbegreifliche Größe. Das hängt auch damit zusammen, dass wir nie in diese Geschwindigkeitsbereiche kommen (300.000 Kilometer legt das Licht in der Sekunde zurück, Anm.).

Worin unterscheiden sich Physikerinnen und Physiker des Mittelalters von denen des 21. Jahrhunderts?

Gernot Pottlacher: Leonardo da Vinci war ein Universalgenie, Menschen wie er hatten den gesamten Wissensstand intus. Heute gibt es unendlich viel Wissen, das man unmöglich überblicken kann. Heute gilt eher: „Scio me nihil scire“ – „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“

Welche Chancen haben Physikstudierende heute auf dem Arbeitsmarkt?

Gernot Pottlacher: Universalgenie-Chancen! (lacht). Physikerinnen und Physiker sitzen in allen möglichen Positionen. In Versicherungen rechnen sie Wahrscheinlichkeiten aus oder wie es mit Corona weitergehen wird, sie führen Hochrechnungen zu Wahlen durch, viele sind im Management, weil Physikerinnen und Physiker gute Teamplayer sind.

Die Forschenden der TU Graz suchen Lösungen für die brennenden Probleme der Gegenwart. Welche Themen sie derzeit auf dem Schirm haben und was man studieren kann, um wie sie die Zukunft zu verändern, erfahren Sie auf TU Graz screenshots.

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Schon bald werden übrigens alle Physikinstitute von TU Graz und Uni Graz an einem Standort zusammengeführt. Mit dem Graz Center of Physics entsteht in Österreich ein markantes Physik-Zentrum mit internationaler Strahlkraft.

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Kontakt

Gernot POTTLACHER
Ao.Univ-Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn.
TU Graz | Institut für Experimentalphysik
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Tel.: +43 316 873 8149
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