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Smarte Medizin: Digitalisierung des Gesundheitswesens

06.10.2022 | TU Graz news | Forschung | Planet research | FoE Human & Biotechnology

Von Susanne Filzwieser

Fitnesstracker, Pflaster zur Messung der Körpertemperatur, Telemonitoring von kardialen Parametern: Das Internet of Things macht auch vor der Medizintechnik nicht Halt, weiß Christian Baumgartner von der TU Graz.

Auch smarte Medizinprodukte müssen das europäische Zulassungsverfahren durchlaufen und Normen und Standards entsprechen. Geprüft und zertifiziert wird unter anderem an der TU Graz. Bildquelle: cutimage - AdobeStock

Das Pflaster, das die Körpertemperatur monitort, der implantierte Chip, der die Medikamenteneinnahme überwacht oder kommunizierende Herzschrittmacher. Die Digitalisierung gepaart mit der zunehmenden Miniaturisierung eröffnet der Medizintechnik im Internet of Things eine ganze Reihe von Anwendungs- und auch Geschäftsfeldern. Die Basisanforderungen für Smart Things sind in der Medizintechnik ähnlich wie beim Einsatz in Gebäuden oder Fahrzeugen: Sie müssen vernetzt, konfigurierbar und regelbar sein.

Doch gerade smarte Medizintechnik bringt spezielle Rahmenbedingungen und Herausforderungen durch Sicherheits- und Leistungsanforderungen mit sich, betreffen sie doch basierend auf sensiblen medizinischen Daten den höchstpersönlichen Lebensbereich von Menschen. „Auch smarte Medizinprodukte müssen das europäische Zulassungsverfahren durchlaufen und den geforderten Normen und Standards entsprechen“, sagt Christian Baumgartner. Er leitet das Institut für Health Care Engineering der TU Graz, dem eine Europaprüfstelle für Medizinprodukte angeschlossen ist. Geprüft und zertifiziert werden dort neben klassischen Medizinprodukten wie Röntgengeräte oder Herzschrittmacher zunehmend auch Software und smarte, vernetzte Medizinprodukte.

Smartphones als „Medical Devices“

Beispielhaft genannt werden kann hier ein Produkt des Grazer Unternehmens Steadysense, das sich der Messung von Körpertemperatur verschrieben hat. Das mittlerweile zugelassene Temperaturmesssystem besteht aus einem Pflaster mit integrierten Temperatursensoren und einer App, die mit Hilfe von AI basierten Algorithmen die gemessenen Daten analysiert und anzeigt. Der Sensor im aufgeklebten Pflaster wird mittels App aktiviert und ausgelesen, so lässt sich die Körpertemperatur kontinuierlich überwachen und aufzeichnen. Das System kommt auch im Ovulationstracker von Steadysense zum Einsatz. Die fruchtbaren und weniger fruchtbaren Tage werden aus der konstant gemessenen Körpertemperatur der Frau berechnet. Sobald ein Eisprung erkannt wurde, gibt das System Bescheid.

Die Produktentwicklung, Herstellung und Vermarktung der Steadysense-Produkte müssen dabei der Medizinprodukteverordnung der EU (Medical Device Regulation MDR 2017/745) entsprechen. Das für diese Prozesse erforderliche Qualitätsmanagementsystem wurde von der Europaprüfstelle für Medizinprodukte an der TU Graz zertifiziert und wird laufend überwacht. Und es gibt es weitere Verbindungen, wie Christian Baumgartner verrät: „Ein Teil des Gründungs- und Führungsteams hat selbst an der TU Graz studiert.“ 

Im Sinne einer verbesserten Patientensicherheit verschärfen die beiden EU-Verordnungen MDR 2017/745 und IVDR 2017/746 die Anforderungen für eine Produktzertifizierung. Das stellt gerade für Start-ups in diesem Bereich eine große finanzielle Herausforderung dar. Mit der Europaprüfstelle für Medizinprodukte bietet die TU Graz den Unternehmen eine entsprechende Hilfestellung bzw. entsprechende Prüf- und Zertifizierdienstleistungen an. Mehr Infos im Artikel Prüfstelle für Medizinprodukte: Sicherheit für Patient*innen

Diagnose dank Handykamera

Die für die medizinische Diagnostik vielleicht nützlichste Funktion von Smartphones ist die beeindruckend hohe Auflösung der Kameras. Es gibt beispielsweise ein digitales Otoskop, das eine Smartphone-Kamera zur Ferndiagnose von Ohrinfektionen bei Kindern verwendet, oder eine Muttermalvorsorgeuntersuchung mittels Foto-App.

Christian Baumgartner: „Smartphones werden uns als Medizingeräte in der Diagnostik, Überwachung und Diagnosebereitstellung immer mehr begegnen. Abgesehen von der Bildfunktion erlauben in Smartphones integrierte Beschleunigungssensoren und Gyrosensoren das Monitoring von Bewegungen von Patient*innen und sind insbesondere in der Sturzüberwachung interessant. Gängig ist auch das Monitoring von Vitalparametern wie Herzfrequenz oder Blutdruck.“ Aktuell ist nur ein Bruchteil der Gesamtanzahl von Gesundheits-Apps als Medizinprodukt zugelassen. Fitnesstracker oder Diätguides sind ausgenommen, Software zur Diagnose oder Therapie von Krankheiten muss aber als reguläres Medizinprodukt klassifiziert und zertifiziert werden.

Cybersecurity in der Medizintechnik

Für smarte Medizinprodukte ein besonders heikles Thema sind Viren der anderen Art: „Cybersecurity ist gerade bei vernetzen Medizintechnikanwendungen eine große Sache. Die smarten Medizingeräte müssen sicher sein, vor unerlaubten Zugriffen, Datendiebstahl und insbesondere vor Manipulation. Sicherheitslücken bei vernetzten Hochrisikoprodukten sind nicht nur hinsichtlich Datensicherheit problematisch – hier kann ganz reale Gefahr für Leib und Leben bestehen. In der Medizinprodukteverordnung der EU wird zwar diese Anforderung gefordert, es fehlen jedoch noch konkrete Umsetzungsguidelines“, weist Christian Baumgartner auf einen massiven blinden Fleck hin.

Telemonitoring medizinischer Werte

„Grundsätzlich sind Gesundheitseinrichtungen auch in Österreich mittlerweile offen für Smart-Health-Anwendungen im weiteren Sinne. Man ist jedoch noch am Beginn der flächendeckenden, landesweiten Implementierungen“, sagt Christian Baumgartner und meint damit etwa das Telemonitoring und medizinische Online-Betreuungen, wie HerzMobil Steiermark oder HerzMobil Tirol. Das HerzMobil-System besteht aus einer Körperwaage, einem Blutdruck- und Pulsmessgerät und einem speziellen Mobiltelefon inkl. HerzMobil-App. Damit können Patient*innen selbstständig zuhause  erhobene Messdaten, ihre aktuelle Befindlichkeit und die Einnahme der relevanten Medikamente einfach und rasch an medizinische Fachleute übertragen. Eine Verschlechterung der Erkrankung wird dadurch eher erkannt und durch eine frühzeitige Änderung der Medikation kann möglicherweise einen erneuten Krankenhausaufenthalt verhindern.

„Telemonitoring bietet ein umfassendes Versorgungsprogramm für Patient*innen ohne häufige Arztbesuche“, sagt Christian Baumgartner. Bei HerzMobil sind bereits Patient*innen, Ärzt*innen und Kassen mit an Bord. Das Programm wird gerade für die Routineanwendung fit gemacht. Es ist aber teilweise noch Überzeugungsarbeit notwendig, nicht zuletzt auch bei Patient*innen“, so Baumgartner.

Kontakt

Christian BAUMGARTNER
Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn.
TU Graz | Institute of Health Care Engineering mit Europaprüfstelle für Medizinprodukte
Tel.: +43 316 873 7377
christian.baumgartnernoSpam@tugraz.at